Nosferatu bricht mit seiner 103 Jahre alten Vorlage: Die Veränderung ist genial und entfesselt erst den wahren Horror

10.01.2025 - 10:01 UhrVor 4 Tagen aktualisiert
Graf Orlok in Nosferatu - Der Untote
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Graf Orlok in Nosferatu - Der Untote
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Das Nosferatu-Remake orientiert sich stark am Horror-Original von 1922. Mit einer genialen Entscheidung weicht es aber von der Vorlage ab – und entfacht damit echtes Grauen.

Totgeglaubte leben länger. Das gilt nicht nur für das titelgebende Monster in Nosferatu, sondern auch für dessen Filmuniversum. Immerhin ist der Originalfilm von F.W. Murnau mittlerweile 103 Jahre alt. Die Neuauflage, die seit dem 2. Januar im Kino läuft, verehrt den Klassiker. Viele begeistert das, manche halten es für einen öden Sklavendienst. Aber wo das Remake mit dem Original bricht, ist es genial: In der Darstellung seines Monsters, die viel mehr Grauen erregt als sein Pendant von 1922.

Nosferatu ist Horror-Kreatur und Mensch zugleich

Das Remake erzählt die gleiche Geschichte wie der Originalfilm und Werner Herzogs erste Neuauflage von 1979: Die junge Ellen (Lily-Rose Depp) quälen finstere Träume, in denen ein namenloses Monster von ihr Besitz ergreift. Als ihr Ehemann Thomas (Nicholas Hoult) geschäftlich nach Transsylvanien reist, enthüllt er, was dahintersteckt: Der untote Vampir Graf Orlok (Bill Skarsgård) will sich Ellens bemächtigen, setzt ihren Gatten in seinem Schloss fest und reist zu ihr, um seine düstere Begierde zu stillen.

Schaut hier den Nosferatu-Trailer:

Nosferatu: Der Untote - Trailer (Deutsch) HD
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Der Name aller drei Nosferatu-Filme verrät bereits ihr wichtigstes Element: das Monster. Wie der Regisseur mit der Figur des liebestollen Blutsaugers umgeht, entscheidet über Qualität, Bedeutung und Horror-Faktor des Films. Robert Eggers geht mit seiner Neuauflage einen genialen neuen Schritt.

Eggers' Aufgabe war nicht einfach: Nosferatu ist nicht einfach nur eine grauenerregende Kreatur, er ist auch Rumäne, Fürst, Liebhaber, Mann. Der deutsche Ausnahmeregisseur Werner Herzog hat sich 1979 dazu entschieden, seinen Nosferatu-Darsteller Klaus Kinski einen labilen, morbiden Romantiker spielen zu lassen. Eggers geht bewusst einen anderen Weg.

Robert Eggers macht Orlok zur lebenden Leiche eines rumänischen Fürsten

Sein Nosferatu ist ganz und gar eine lebende Leiche, die Grauen verursacht. Der Regisseur von Der Leuchtturm und The Northman wollte das Original wohl für das Horror-Publikum der 2020er modernisieren: Auch Max Schrecks Orlok von 1922 ist ein echtes Monster. Aber so sehr ich seine Darstellung auch bewundere, ihr Potenzial an Grauen ist 103 Jahre alt. Sein Vampir wirkt auf mich heute wie eine Karikatur, ein Schreckgespenst für Zuschauende, die von langen Fingernägeln und spitzen Ohren allein erschauderten. Das ist kein Makel der Inszenierung, sondern das logische Schicksal einer über die Jahrzehnte derart oft kopierten Ikone.

Eggers' Genie liegt darin, dass er Nosferatu als den Schlächter zeigt, als der das real existierende Vorbild Vlad III. berüchtigt war. Sein Monster trägt nicht einfach nur einen schlichten schwarzen Rock, sondern eine Art Husarenuniform. Sein Gesicht ist keine expressionistische Fratze, sondern das ausgemergelte Antlitz eines verstorbenen rumänischen Fürsten, mit Schnurrbart und schütterem Haar. Eggers verankert seine Figur in der Geschichte, ohne sie dadurch menschlicher zu machen.

Nosferatus Geschichte entfacht ein völlig neues Grauen

Der Nosferatu in Eggers’ Vision bleibt in den Schatten verborgen, bleibt ganz die finstere Bedrohung: Anders als in Herzogs Vorgänger offenbart er nie ganz seine menschlichen Gesichtszüge und damit irgendeine Verständlichkeit. Dass er Geschichte hat, macht ihn uns nicht gleich, sondern unheimlich: Die finsteren, vergessenen Grausamkeiten aus dem Transsilvanien des 15. Jahrhunderts gruseln mich, so wie es die 1920er-Partygäste aus Shining, der Opferkult der Maya aus Apocalypto oder die Hexe aus Eggers' The Witch tun.

Eggers verdeutlicht damit, wie gut er modernen Horror versteht: Horrorgestalten dürfen nicht länger nur bizarr sein, wie etwa in Der Schrecken vom Amazonas. Vermenschlicht man sie aber zu sehr, verwässert ihre Tragik das Grauen. Wenn der Regisseur die Borten von Orloks Uniform im Dunkeln aufblitzen lässt, geht er einen präzisen Mittelweg. Und das, wenn auch nichts anderes, ist der große Geniestreich seines Films.

Ich gehöre zu denen, für die Eggers' Nosferatu zu wenig Neues bietet. Aber gerade sein Orlok legt mir nahe, genauer hinzusehen: Hinter diesem Fürstenschnurrbart steckt ein Meister.

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