Sisi & Ich: Sandra Hüller über Abnehmzwang und warum sich Leute im Film nicht "in der Nase bohren" dürfen

30.03.2023 - 14:35 UhrVor 1 Jahr aktualisiert
Sandra Hüller in Sisi & IchDCM / Bernd Spauke
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Egal ob in Fack ju Göhte 3, Toni Erdmann oder mit Sisi & Ich aktuell im Kino: Niemand spielt zutiefst menschliche Figuren so unterhaltsam wie Sandra Hüller. Im Interview verrät sie, warum manche das "seltsam" finden.

Dieser Artikel ist keine Filmkritik, aber: Sisi & Ich von Frauke Finsterwalder ist der witzigste Sisi-Film der letzten Jahre – vielleicht sogar aller Zeiten. Im Kern steht die Beziehung zwischen Kaiserin Elisabeth von Österreich-Ungarn (Susanne Wolff) und ihrer Vertrauten Irma (Sandra Hüller), die alles tun würde, um es ihrer launenhaften Chefin Recht zu machen. Im wahrsten Sinne des Wortes. Dabei verschwimmen die Grenzen zwischen übergriffigem Arbeitsverhältnis und Freundschaft, vielleicht sogar Liebe.

Dass das nicht nur hochemotional, sondern auch wahnsinnig unterhaltsam ist, liegt vor allem an Sandra Hüller. Die Schauspielerin beweist am laufenden Band, dass kaum jemand unangenehme Momente so "echt" und mitfühlbar machen kann wie sie. Wen auch immer sie spielt, was auch immer sie tut, man will nicht weggucken. Sonst könnte man eine kleine Geste oder einen Gesichtsausdruck verpassen, der ihre unterschiedlichen Figuren so unglaublich lebendig macht.

Egal, ob sie als Lehrerin im Publikumserfolg Fack ju Göhte 3 das alltägliche Schulchaos bändigen muss, in Toni Erdmann als überforderte Unternehmensberaterin blank zieht und für einen der besten deutschen Filmmomente der letzten 10 Jahre sorgt – oder eben in Sisi & Ich als Teil des kaiserlichen Rekrutierungsprozesses einen Hindernisparcours bewältigen muss. Nicht zu Pferd, zu Fuß.

Im Moviepilot-Interview: Sandra Hüller kann "nicht verstecken", was sie fühlt

Sisi & Ich läuft ab dem 30. März 2023 in deutschen Kinos. Im Interview mit Moviepilot verrät die Ausnahmeschauspielerin, warum Menschliches im Film oft als "seltsam" gilt – und weswegen sie nie wieder für eine Rolle abnehmen will.

Moviepilot: Ich fand wahnsinnig spannend, wie modern der Film sich in vielem angefühlt hat. Da dachte ich mir irgendwann: Ist es nicht ein totaler Fehler zu glauben, dass Menschen, die in einem anderen Jahrhundert gelebt haben, auch ganz anders gefühlt haben müssen? So als hätten die im Kern nicht dieselben Konflikte gehabt wie wir heute?

Sandra Hüller: Ich glaube, das hat ganz viel mit der Sprache zu tun. Wenn ich am Theater spiele, haben wir auch mit alten Stoffen zu tun und versuchen immer herauszufinden: Was hat das denn jetzt noch zu erzählen? Was können wir jetzt noch damit anfangen? So ähnlich verhält es sich ja mit historischen Figuren. Wenn man die Körperlichkeit und die Sprache verändert, verändern sich komischerweise auch die Gefühle.

Das ist komisch. Man kriegt das dann selten getrennt. Das sind plötzlich edlere Gefühle, edlere Zusammenbrüche, die weiter weg sind von einem. Dass wir das nicht gemacht haben, fand ich toll. Weil es dadurch unsere eigenen Emotionen waren, die da eine Rolle gespielt haben.

Sandra Hüller (links) und Susanne Wolff als Irma und Sisi

Du hast in einem Interview mal gesagt, dass du es nicht magst, wenn deine Charaktere als "seltsam" beschrieben werden. Das seien einfach nur Menschen in Extremsituationen. Ist das so ein Filmding, dass Dinge direkt als seltsam gesehen werden, wenn sie zu echt werden?

Ich habe beobachtet, dass diese Zuschreibung sofort passiert, wenn jemand sich traut auszurutschen. Ich habe Spaß daran, wenn Leute sehen, was ich empfinde. Das ist das, was ich kann. Vor allem kann ich es nicht verstecken. Selbst wenn ich in einer Szene wollte, dass es niemand mitkriegt, würde man es leider trotzdem merken! (lacht) Das ist im Leben manchmal hinderlich. Etwas, was im Film nicht komplett kontrolliert ist, was einer bestimmten Perfektion oder einem bestimmten Bild von Ordentlichkeit und Schönheit nicht entspricht, empfinden die Leute dann als "seltsam".

Obwohl die Menschen, die sie die ganze Zeit umgeben, genau so sind. Leute bohren sich in der Nase, die krabbeln sich im Gesicht, die ziehen sich an der Ampel den Pulli aus der Po-Ritze. Im Film darf man das nicht. Das macht man nicht. Das ist ja pfui. Aber so sind wir eben und es macht mir Spaß, diese Dinge zu tun. Sonst ist das so … tot. Es gibt viele Kolleg:innen, die so eine Unberührbarkeit total toll verkörpern können. Ich kann das nicht so gut.

Diät vor und hinter der Kamera: Sandra Hüller musste für Sisi & Ich abnehmen

Der Schönheitswahn von Sisi spielt eine sehr große Rolle im Film. Den Glauben, möglichst dünn sein zu müssen, gibt es auch in der Filmbranche. Hast du damit in deiner Karriere schon Erfahrungen gemacht?

Ja, tatsächlich für diesen Film. Wir haben von Anfang an die Ansagen bekommen, dass wir das so, wie wir sind, nicht spielen können. Wir sollten Gewicht verlieren. Erst haben wir uns gewehrt und uns untereinander verbündet. Wir haben gesagt: "Es wäre doch viel spannender, wenn das so Frauen sind wie wir und man erzählt darüber etwas, dass man die ganze Zeit denkt, die müssten doch eigentlich dünner sein." Aber es hat ungefähr zwei Wochen gedauert und dann waren wir drin in der Nummer. Dann fängt man an, über Essen nachzudenken und über Sport, und dann zählt man Kalorien.

Seht hier den zweiten Trailer zu Sisi & Ich:

Sisi und ich - Trailer 2 (Deutsch) HD
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Was hat das mit dir gemacht?

Ich habe ein paar Sachen gelernt, die mir wirklich guttun. Aber ich habe auch gemerkt: Sobald so etwas von außen vorgegeben ist, macht das für mich überhaupt keinen Sinn. Ich würde das nie wieder machen. Dann muss das eben jemand anderes spielen. Wenn wir über die Beweggründe gesprochen hätten, warum diese Figuren dieses Problem haben, wäre das ein psychologischer Trick gewesen. Aber wir haben nicht darüber gesprochen, dass es darum geht zu lernen, wie es sich in diesem Gefängnis anfühlt. Es gab keine Meta-Ebene. Stattdessen sind wir einfach in das Gefängnis gegangen.

Ich frage mich jetzt im Nachhinein, wie das funktioniert hat. Wie ging das so schnell? Warum sind Susanne und ich so schnell in einen kleinen Wettbewerb gekommen, bei dem wir uns gefragt haben: "Wie viel hast du abgenommen? Was hast du jetzt gemacht?" Auch beim Dreh haben wir versucht, nach diesem Ernährungsplan zu essen, den wir erstellt haben. Das war wahnsinnig schwer durchzuhalten. Es drehte sich ganz viel um das Thema und gar nicht mehr um die Zeit, oder wie man dieses oder jenes jetzt macht. Es ging nur noch ums Essen.

Ist das romantische Liebe zwischen Irma und Sisi? Verliebt sich Irma?

Ich weiß, dass die Erzählung das mitgibt und man das so lesen kann. Ich habe das aber nie so empfunden, eher als unendliche Bewunderung. Ich glaube, dass Irma gar keine Vokabeln dafür hat, was "sich verlieben" heißt. Sie weiß: Für diesen Menschen würde ich alles tun. Ob das jetzt Liebe ist, kann ich nicht so genau sagen. Ich würde Liebe für mich nicht so definieren, den Gedanken finde ich komisch.

Eher umgekehrt: Ich glaube, dass die Elisabeth manchmal verliebt ist. Wenn sie sich das Theaterstück anguckt, das Irma für sie aufführt, zum Beispiel. Da gibt es Momente, wo sie sich kurz in die Irma verliebt, aber dann ist es wieder weg.

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