The Straight Story - Ungefilterte Weisheit

25.07.2011 - 08:50 Uhr
Aktion Lieblingsfilm: Eine Wahre Geschichte - The Straight Story
Senator Film/moviepilot
Aktion Lieblingsfilm: Eine Wahre Geschichte - The Straight Story
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The Straight Story von David Lynch ist ein Film, der zu Herzen geht. Auch dieser moviepilot-User wurde von dem Werk gefangen genommen, weshalb er einen Text zur Aktion Lieblingsfilm über diesen Film geschrieben hat.

Der US-amerikanische Regisseur David Lynch ist nicht übermäßig für stringente und chronologische Erzählungen bekannt. Geschätzt und verehrt wird er vielmehr wegen seines teils surrealen, dystopischen und immer im Wesen des Film noir gehaltenen unkonventionellen Erzählstils. Eine wahre Geschichte – The Straight Story ist hingegen ein grundlegend anderer Film, der nicht so richtig zu Lynchs sonstigem Schaffen passen mag und wohl das am wenigsten diskutierte Werk des Regisseurs darstellt.

Der knapp zweistündige Film erzählt die tatsächlich wahre Geschichte – so erklärt sich schon einmal der deutsche Filmtitel – des rüstigen Amerikaners Alvin Ray Straight. Als dieser vom Schlaganfall seines im Sterben liegenden Bruders erfährt, beschließt er diesen zu besuchen. Es ist der Beginn eines Roadtrips der ganz besonderen Art, von Laurens, Iowa, bis Mount Zion, Wisconsin. Besonders bemerkenswert ist dabei, dass der 73-jährige Alvin wegen seines fortgeschrittenen Alters und seiner schlechten Augen keinen Führerschein mehr besitzt und die über 400 Kilometer zu seinem Bruder deshalb mit einem bescheiden motorisierten Aufsitzrasenmäher zurücklegen muss. Was auf den ersten Blick nach einem simplen Plot klingen mag, entfaltet eine tiefgründige und hochemotionale Odyssee durch das amerikanische Niemandsland kleiner Orte und menschenleerer Natur.

Auf seinem teils beschwerlichen Weg begegnet Alvin den unterschiedlichsten Menschen. Er trifft auf eine schwangere Tramperin, eine Gruppe Radsportler, einen Weltkriegsveteran und eine Frau, die in überspitzter Regelmäßigkeit mit ihrem Auto Rehe anfährt (vielleicht ein Anklang an die typische Bizarrheit Lyncher Charaktere). Außerdem ist der Protagonist immer wieder wegen seines mäßig verlässlichen Rasenmähers auf die Hilfe Anderer angewiesen. Bei all diesen Begegnungen widerfährt Alvin nur Gutes, die fremden Leute zeigen sich barmherzig und verständnisvoll – man würde es als kitschig erachten, kennt man den wahren Ursprung der Erzählung nicht. David Lynch zeigt uns aber bei weitem keine sorgenfreie und perfekte Welt, in der ländlichen Idylle des mittleren Westens zeigen sich die Sorgen und Probleme der Menschen eher im Verborgenen.

Während des Films begegnen wir somit den unterschiedlichsten Schicksalen. Lynch schafft es allerdings jederzeit, die Poesie, Spiritualität und Sentimentalität des Films bemerkenswert geerdet darzustellen. Für die zahlreichen herausragenden Dialoge im Film wird bewusst auf gestellte und übertrieben gekünstelte Wortakrobatik verzichtet und genau hier zeigt sich die ihnen innewohnende Stärke. Durch die hemdsärmelige und mitunter umgangssprachliche Wortwahl und Topologie wirken sie besonders nachvollziehbar und ehrlich. So erzählt Alvin im Rahmen schönster Lagerfeueratmosphäre: “Als meine Kinder noch klein waren, hab ich immer ein Spiel mit ihnen gespielt. Ich hab ihnen einen Stock in die Hand gedrückt, jedem einen. Und dann sollten sie ihn durchbrechen, was natürlich leicht ging. Und dann gab ich ihnen dieselben Stöcke in einem Bündel, und das sollten sie auch durchbrechen, was natürlich nicht ging. Dann sagte ich ihnen, dieses Bündel ist die Familie…” Das ist die ungefilterte Weisheit und Wahrheit des Lebens.

Auf die Frage, was das Schlimmste am Altwerden sei, antwortet Alvin später: „Das Schlimmste ist die Erinnerung an die Jugend!“ Jeder Mensch trägt seine persönliche Last, so plagen Alvin Straight vor allem die traumatischen Erinnerungen an den Zweiten Weltkrieg, aber auch die Sorgen um die eigene zurückgebliebene Tochter, der ihre Kinder genommen wurden. Auch die Fremden offenbaren ihre Leiden, Abhilfe bietet der Film hier aber nicht und überlässt die einzelnen Figuren in ihr Schicksal. Lynchs Werk regt vielmehr zum Nachdenken an und ist mit den Themen um Familie, Freunde, Liebe und Leben fraglos ein Film, der jeden Zuschauer anspricht.

Natürlich ist dieser Effekt auch den authentischen Schauspielern, allen voran dem fabulösen Richard Farnsworth (Der Unbeugsame) geschuldet. Der Film lebt geradezu von der glaubwürdigen Aura, die Farnsworth mit seinem unvergleichlich ehrlichen und emotionalen Schauspiel schmückt. Zurecht wurde er für diese Leistung im Jahr 2000 mit einer Oscar-Nominierung bedacht, leider sollte es aber auch seine letzte Filmrolle sein, da er wegen seiner unheilbaren Krebserkrankung im Anschluss an die Dreharbeiten Suizid beging.

Eine wahre Geschichte – The Straight Story, so gradlinig ,straight‘ und bodenständig erzählte Lynch zuletzt beim Drama Der Elefantenmensch, vor allem das Vertrauen auf die Langsamkeit und Unaufgeregtheit prägt dieses Meisterwerk aber ganz explizit. Zwischen den zahlreichen menschlichen Begegnungen findet der Film so auch immer wieder die nötige Zeit, um die Natur und fließenden Landschaften in das Blickfeld zu rücken. So weicht die Kamera streckenweise vom Protagonisten ab und zeigt beispielsweise im Lauf der Wolken am Himmel das bloße Wirken der Natur. Der Stellenwert des Lebens zeigt sich hier erst im entschleunigten Gesamtzusammenhang von Mensch und Natur.

Viele Jahre hatte Straight keinen Kontakt zu seinem Bruder. Im Angesicht des Todes und der unvermeidlichen Endlichkeit besinnt er sich aber auf seinen Ursprung, die geschätzten Erinnerungen an die eigene Kindheit. Der letzte Akt: Wer ist dieser Bruder, wegen dessen Alvin diese leidliche aber auch unvergessliche Reise auf sich nimmt? Lynch findet letztlich ein versöhnliches und rundherum gelungenes Finale, das die Odyssee ohne klischeehaften Pathos und schmierigen Kitsch gekonnt ausklingen lässt.

Letztlich ist der Roadtrip nicht nur die Überbrückung von Raum, es ist eine Art gedankliche Zeitreise – bodenständig, unaffektiert, ehrlich und poetisch – durch das ereignisreiche Leben des Protagonisten. Kurz gesagt: eine wahre Geschichte.


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