Tyrannei der Logik oder Die fantasielosen Nerds

20.06.2012 - 08:50 UhrVor 11 Jahren aktualisiert
Chernobyl Diaries
Warner Bros. Pictures
Chernobyl Diaries
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Ein bestimmtes Publikum scheint es sich zum Hobby gemacht zu haben, Filme auf angebliche Fehler hin zu schauen. Besonders gern spüren Nachwuchscineasten dabei so genannte Logikfehler auf, die alles über den Rezipienten und nichts über den Film sagen.

Immer wieder suchen sie Flucht im Innern, laufen in marode Gebäude oder alte Keller. Immer wieder beschwören sie damit erst recht jene unheilvollen Schrecken herauf, vor denen sie sich eigentlich in Schutz zu bringen versuchten. Die Protagonisten in Chernobyl Diaries tun das, was von ihnen erwartet wird – und was natürlich nie jemand selbst tun würde. Denn niemand schätzt die Gefahrensituationen in einem Horrorfilm besser ein als der Zuschauer, niemand ist so klug und hellsichtig wie er, wenn das irrationale Verhalten der Figuren an den eigenen kruden Vorstellungen von Logik abgeglichen wird. Nie würde er, wäre er in einem verlassenen, kontaminierten Areal gefangen, so handeln wie die Gruppe hilfloser Extremtouristen des morgen in den Kinos startenden Films. Und deshalb, natürlich, muss er sich gegen diese ihm präsentierte Unwahrscheinlichkeit behaupten, muss er die so genannten Logikfehler aufdecken und akkurat gegen den Film ausspielen.

Auf der Suche nach Belegen für die Unart einer solchen Rezeption genügt es schon, das Wort Logiklöcher zu googeln. Gleich im ersten Treffer heißt es beispielsweise, das Drehbuch zu Transformers 3 sei „ein wahrer Schweizer Käse – voller Logiklöcher“. An anderer Stelle, in einer Filmdatenbank, ist zu lesen, dass bei Avatar – Aufbruch nach Pandora über selbige hinweggesehen werden müsse, um sich nicht den Spaß mit ihm zu verderben. Auf unzähligen Seiten ebenso unzähliger Internetforen werden sie zusammengetragen, die angeblich größten Logikfehler der Filmgeschichte. Da kommen sie ganz zu sich, die Nerds und vermeintlichen Filmfreunde, die nichts Besseres zu tun haben, als Filme auf ihre Handlung abzuklopfen. Und die, wenn sie darin erst einmal an bestimmte Grenzen der (subjektiven) Plausibilität stoßen, dann selbstverständlich auch entsprechend abgewatscht werden müssen.

Dabei ist eines doch sowieso klar: Logikfehler im Film, die kann es gar nicht geben. Kino erleben ist keine Mathematik. Ein falsch berechneter Algorithmus hat logische Schwächen. Ein toter Mensch atmet nicht, das kann der Philosoph Kraft seiner formalen Logik belegen. Alles andere ist nur Rhetorik. Und die führt, ganz besonders in der Filmrezeption, zu einer gleichermaßen unschönen wie unsinnlichen, krampfhaften wie überflüssigen Kunstfeindlichkeit. An der sich letztlich doch einzig die eigene Überlegenheit messen lassen soll, das Bescheidwissen, das Aufplustern vor einem demonstrierten Zusammenhang, der die eigene Vorstellung zu übersteigen droht. Mit Spürnasen-Gestus der vermeintlichen Unlogik einer Fiktion auf den Grund zu gehen, was kann es nur langweiligeres geben.

Denn wer weiß denn eigentlich schon, ob die offenbar unwahrscheinlichen Verhaltenmuster der Protagonisten in Chernobyl Diaries nun wirklich logisch sind oder eben nicht. Und ob sie das überhaupt sein sollen. Ob sie nicht vielmehr in einem typischen Genreverhältnis gedacht sind und ob die Figuren eben gerade dahingehend nicht logisch zu handeln scheinen, damit ihnen jenes Grauen widerfährt, für das wir letztlich eine Kinokarte zu lösen bereit waren. Unlogik im Sinne der Kunst! Welchen Aussagewert in Filmkommentaren oder -Kritiken soll es haben, dickwanstig auf Logiklöcher hinzuweisen? Wie sehr doch entscheiden persönliche Erfahrungen, Ansichten und Vorstellungen über das eigene Bild von Vernunft und Logik, und wie sehr doch haben gerade diese glücklicherweise nichts mit alldem zu tun, was das Kino für uns bereitzuhalten imstande ist.

Gewiss, die Exegeten mögen nun anmerken, dass Filme aber ja zumindest einer, so heißt es gerne mal, inneren Logik Folge tragen müssten. Dass sie sich innerhalb ihrer selbst abgesteckten Grenzen glaubwürdig verhielten, mit nahtlosen Schnittstellen, garantiert schlüssig. Würde nicht genau darin das eigentliche Problem liegen: Wenn Filmen demnach schon eine innere, also eigene Logik zugestanden wird, warum dann mag nicht respektiert werden, dass sie genau diese befolgen? Dass ein Science-Fiction-Film immer auch dann noch über sein eventuelles Zeitreiseparadoxon stolpern wird, wenn er es kunstvoll mit Handlung verschleiert. Dass das Opfer im Horrorfilm auch dann zum Opfer wird, wenn es nicht von A nach B läuft, nur weil C und D irgendeinem Zuschauer logischer erschienen wären. Wenn gerade im phantastischen Film das Einhalten einer inneren Logik, die natürlich genauso vage ist wie die äußere, obere, untere oder jene in den Hirnwindungen ihrer Fetischisten, gefordert wird, offenbart sich doch erst die absolute Fantasielosigkeit eines solchen Publikums. Eine über alle Maßen begrenzte Vorstellung von dem, was möglich ist und was eben nicht. Und, Gott sei Dank, ist im Kino alles möglich. Selbst Logikfehler, die es gar nicht gibt.

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