Verstörender Schocker: Einer der besten Horrorfilme des Jahres bietet 100 Minuten surreales Grauen

24.05.2022 - 07:30 UhrVor 2 Jahren aktualisiert
Jessie Buckley in MenKoch Films/Studiocanal
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Nach seinem Netflix-Drama Auslöschung entführt Alex Garland in ein 100-minütiges Urlaubs-Grauen. Men gehört schon jetzt zu den besten Horrorfilmen des Jahres.

Die Leiche ist seltsam verbogen und verbeult, durchlöchert und zerrissen. Es ist ganz sicher ein Mensch, der da nach dem Sturz aus dem attraktiven Londoner Apartment an einem gusseisernen Zaun liegt, halb aufgespießt. Er sieht aus wie Harpers (Jessie Buckley) Noch-Ehemann, aber scheint drauf und dran, in seine Einzelteile zu zerfallen. Im Verlauf von Men, dem neuen Film von Alex Garland (Ex Machina), wird er sich wieder zusammensetzen, aber mit einem anderen Gesicht. Er wird aussehen wie Rory Kinnear, der mehrere Männer in einem hübschen englischen Dorf spielt, die alle eines im Sinn haben: Harper terrorisieren.

Alex Garland gestaltet die surreale Verarbeitung dieses Todes als grauenhaften Horror-Trip mit überraschend viel Humor und einem unvergesslichen Ende. Men ist schon jetzt einer der besten Horrorfilme des Jahres.

In Men ruiniert der reinste Horror die idyllische Natur

Nach dem Tod von James (Paapa Essiedu) sucht Harper Klarheit und Abwechslung in einem majestätischen englischen Landhaus. Das Gras strahlt bei ihrer ersten Wanderung in einem saftigen Grün. Die Natur strotzt vor Furchtbarkeit. Ein neuer Lebenszyklus beginnt. Vielleicht auch für Harper. Dann steht ein Mann am Ende eines Tunnels. Er schreit.

Schaut euch den Trailer für Men an:

Men - Teaser Trailer (Deutsch) HD
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Er ist der erste von vielen Men in Men, die den Urlaub in ein verstörendes Spiegelkabinett verwandeln. Wohin man blickt, überall schauen einem die Augen von Rory Kinnear entgegen. Es spricht für den Schauspieler und die Inszenierung, wie unheimlich konkret der Blick von Kinnears Männern auf die einzige Frau in der Gegend wirkt. Schon dieser Blick drängte mir das allzu bekannte und allzu weibliche Gefühl auf, nachts allein durch eine dunkle Straße zu gehen und fremde Schritte zu hören.

Alex Garland, der auch das Drehbuch geschrieben hat, belässt es nicht bei Blicken. Men entwickelt sich schnell zum effektiven Home Invasion-Horror, in dem hinter jeder Tür einer der Männer warten könnte, der sich auf Jessie Buckleys Harper stürzt.

Dabei geizt Garland nicht mit Humor, wenn der nackte Kinnear wie ein Running Gag vor dem Fenster steht, während Harper ihre Freundin nichtsahnend per Smartphone durchs Haus führt. Oder wenn Ferienwohnungs-Besitzer Geoffrey, der einprägsamste von Kinnears Männern, ein amüsantes Bonmot nach dem anderen ausspuckt. Men bietet erstaunlich viele Lacher für einen Alex Garland-Film, gerade im Vergleich zu seinen letzten Verlust-Arbeiten, dem Netflix-Film Auslöschung und die Sci-Fi-Serie Devs.

Dank Jessie Buckley vereint Men gekonnt Drama und Horrorfilm

Garlands neuer Film gibt sich reduziert, geradezu archaisch und reichert seinen Horror mit urtümlichen Motiven an. Beißt Harper nach Ankunft wie Eva in einen verbotenen Apfel, wirkt das wie der Initiationsritus in eine altertümliche Welt mit ebenso althergebrachten Ressentiments gegen die Weiblichkeit.

Men zeigt seine Stärken jedoch weniger in der großen Aussage über die physische und psychische Gewalt, die Frauen zu Händen von Männern erleiden. Sondern vielmehr in der persönlichen Geschichte, getragen von einer berührend resoluten Jessie Buckley. Nach Frau im Dunkeln beweist sie sich erneut als eine der derzeit aufregendsten Schauspielerinnen im englischsprachigen Film.

Neben Kinnears virtuos gespieltem, multiplen Bösewicht, erdet Buckley den Horrorfilm. Sogar im alptraumhaften Finale, das die beiden Herzen des Films, Horror und Drama, grandios vereint. Dann verschmilzt alles, was vorher in Einzelteilen lag zu einem denkbar einfachen und doch verstörenden Bild – für Harper und für uns.

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