Will Smiths Ausraster beim Oscar: Das ist peinlicher als alle Dschungelcamp-Folgen der Geschichte

29.03.2022 - 09:00 UhrVor 2 Jahren aktualisiert
Will Smiths Ausraster stellte alle Oscar-Nominierten in den SchattenWarner Bros.
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Die Oscar-Verleihung 2022 wollte alles anders machen und dann kam Will Smith und stellte mit seinem gewalttätigen Übergriff alles in den Schatten.

Die Oscars 2022 waren egal. Und dann betrat Will Smith die Bühne. Der spätere Preisträger ging auf Comedian Chris Rock los. Er schlug Rock ins Gesicht, nachdem dieser einen Witz über Smiths Ehefrau Jada Pinkett Smith gemacht hatte. Will Smith kehrte daraufhin zu seinem Platz zurück und beschimpfte den perplex auf der Bühne stehenden Kollegen aus der Ferne.

Der gewalttätige Übergriff des Hollywood-Stars kam knapp eine Stunde vor Ende der Verleihung. Doch das war erst der Anfang einer bizarren Reality-Show, neben der das Dschungelcamp wie ein seriöser Austausch gesunden Menschenverstands aussieht.

Bis zum "Auftritt" von Will Smith sabotierten sich die Oscars fleißig selbst

In den drei Stunden zuvor zeigten die Oscars alle Symptome einer undurchdachten Verjüngungs-Kur. Der Wunsch danach ist verständlich, sinken die Quoten der Verleihung doch seit Jahren. Die Verwirklichung überzeugte nicht. Dazu gehörten:

  • Die große Musiknummer mit Beyoncé sollte die Verleihung eröffnen und brachte sie zum Stillstand.
  • Diverse Clips und Nostalgie-Trips für die James Bond-Filme, Weiße Jungs bringen's nicht (?), die Pate-Reihe, Juno (??) und das 28. Jubiläum (???) von Pulp Fiction wirkten wahllos eingestreut, auch weil die Produzenten sich für nichts wirklich Zeit nahmen.
  • Mehrere Kategorien wurden aus der Konserve und in verkürzter Form präsentiert, was die Verleihung weiter zerfaserte.
  • Ausgerechnet diese Kategorien gehörten ironischerweise Dune, einem der wenigen erfolgreichen Blockbuster im Oscar-Feld.
  • Man biederte sich mit Mini-Auftritten von etwa BTS bei der Wunsch-Zielgruppe ein, die einen wegen ihrer Kürze nur verwirrt zurückließen.
  • Man hatte weder Zeit noch Muße für den groß angekündigten Oscars Fan Favorite-Wettbewerb. Fans kamen nicht vor, nur weitere Clip-Shows mit den jeweils fünf Gewinnerfilmen. Als würde jemand bei einer dreieinhalbstündigen Awards-Show für einen einzelnen Clip aus Army of the Dead und Zack Snyder's Justice League einschalten.

Die Oscar-Verleihung hatte wenige gewaltfreie Höhepunkte

Die drei gut aufgelegten Hosts Amy Schumer, Regina Hall und Wanda Sykes mühten sich redlich ab, der Verleihung einen Rahmen zu geben, nicht immer mit überzeugendem Material.

Coda - Trailer (Englisch Subs) HD
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Troy Kotsur, Gewinner des Nebendarsteller-Oscars für Coda, traf mit einer großartigen Dankesrede in Mark und Bein. Die Schauspielerinnen Ariana DeBose (West Side Story) und Jessica Chastain (The Eyes of Tammy Faye) überwältigten mit ihren autobiografisch geprägten Appellen für Toleranz und Diversität. Vielleicht hätte Riz Ahmeds Dankesrede für den Kurzfilm-Oscar eine ähnliche Wirkung erzielt, wäre er nicht wie alle Kurzfilmpreise zur gekürzten Clip-Show degradiert worden.

Auch er wäre aber vermutlich untergegangen im Trubel bzw. Tribunal in der letzten Stunde der Oscars 2022. Die gehörte Will Smith.

Zu peinlich fürs Dschungelcamp: Will Smith verwandelt die Oscars in eine Trash-Show

Vor dem Moment, der die 94. Verleihung der Academy Awards für immer zeichnen wird, war Chris Rock auf die Bühne gekommen, um den Preis für den Besten Dokumentarfilm zu verleihen. Der Oscar ging an Questlove, doch statt seinem Herzensprojekt Summer of Soul (...Or, When The Revolution Could Not Be Televised) Raum zur Würdigung zu schenken, saugte Will Smith alle Aufmerksamkeit aus dem Dolby Theatre in sich auf. Auch weil alle versuchten, den Schlag zu ignorieren oder wegzuwitzeln.

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Niemand fühlte sich verantwortlich. Alles sollte weiter gehen, als wäre nichts geschehen. Dabei war alles geschehen. Bei einer Veranstaltung, in der Hollywood sich selbst feiert, hatte ein Star einen anderen geschlagen. Statt durch glamouröse Selbstbeweihräucherung den Olymp der Traumfabrik zu erklimmen, hatte die Verleihung einen Kopfsprung in den Bodensatz des Reality-TVs gemacht. In irgendeiner Trash-Talk-Show, wo sich die Leute wegen Vaterschafts-Tests kloppen, tauchte sie wieder auf.

Die Oscars lieferten eher zufällig ein Plädoyer für ihre Existenz

Das Bizarre an der Sache ist natürlich, dass das funktioniert hat. Will Smiths Übergriff und seine spätere Dankesrede für den Oscar als Bester Hauptdarsteller waren das Plädoyer für die Relevanz von Live-Fernsehen – und damit den Oscars. Erst schlug ein A-Lister einen anderen. Dann stellte sich der Täter auf die Bühne und schwadronierte über das, was Gott ihm als Aufgabe gegeben habe (offenbar seine Familie mit Gewalt gegen geschmacklose Witze zu beschützen).

Oscar-Dankesrede und Plädoyer der Verteidigung gingen in einander über. Ergebnis war ein Geständnis mit messianischem Einschlag. Unterstützt wurde es durch Macbeth-Darsteller Denzel Washington in einer Gastrolle, der Smith zuvor geflüstert haben soll: "Auf deinem Höhepunkt musst du vorsichtig sein. Dann kommt der Teufel zu dir." Es war schlicht unglaublich, was da ablief.

The Eyes of Tammy Faye - Trailer (Deutsch) HD
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Dieser Höhepunkt stand aber nun vor aller Augen und der "Teufel" offenbar auch. Smith verwandelte sich quasi zum Hauptdarsteller einer dieser evangelikalen Prediger-Shows aus The Eyes of Tammy Faye. Absolut lachhaft, unangenehm intim, Fremdscham triggernd und so perfekt, dass es real sein muss.

Nichts an dieser Oscar-Verleihung gab bis dato nämlich den Anschein, jemand könnte so etwas Schockierendes inszenieren. Will Smith war es ein Leichtes, sie an sich zu reißen. Für sein tränenreiches Geständnis erhielt er im Saal sogar Applaus. Es war Applaus für den Schauspieler aus King Richard und für den beliebten Star, der sich vor aller Augen jenem überkommenen Männlichkeits-Ideal hingab, das in Jane Campions The Power of the Dog dekonstruiert wird. Wegen Gott. Und Liebe. Und so. Wie gesagt: Dafür erntete er Applaus!

Die Oscars 2022 gehen wegen dieser freiwilligen Bloßstellung von Will Smith und Teilen Hollywoods in die Geschichte ein: als schlechte Verleihung, aber großes Fernsehen.

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