Zu erbärmlich fürs Dschungelcamp: Schlagersänger stolpert durch zerstörtes Urlaubsparadies im neuen Ulrich Seidl-Film

13.02.2022 - 12:55 UhrVor 2 Jahren aktualisiert
Rimini
Ulrich Seidl Filmproduktion
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Neun Jahre nach dem Ende seiner Paradies-Trilogie meldet sich Ulrich Seidl mit einem neuen Spielfilm auf der Berlinale zurück. Rimini ist ausgestellte Tristesse und sorgfältige Beobachtung zugleich.

Rimini. Das italienische Urlaubsparadies an der Adriaküste lockt mit Sommer, Sonne, Strand und Meer. Die meisten Menschen kommen hierher zur Erholung oder zum Feiern. Wenn sich Ulrich Seidl mit seiner Kamera zügigen Schrittes durch den Sand bewegt, dürfte es jedoch die wenigsten überraschen, dass wir von all dem nichts zu Gesicht bekommen. Sein neuster Film zeigt ein trostloses, verlassenes Touri-Grab.

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Ein dichter Nebel liegt über der Stadt, kalter Wind bläst durch die Straßen und der Regen verwandelt jeden Strandspaziergang in ein einziges Trauerspiel. Trotzdem stolziert Ritchie Bravo (Michael Thomas) die Dielen hoch und runter, während links und rechts obdachlose Menschen zusammengekauert in ihren Jacken der Kälte trotzen. Für den heruntergekommenen Schlagersänger ist die Party noch nicht vorbei.

Ulrich Siedl seziert auf der Berlinale Orte und Menschen

Obwohl seine besten Tage längst hinter ihm liegen, streift er jeden Tag erneut seinen Pelzmantel über, schlüpft in seine Cowboy-Stiefel und singt von der ewigen Liebe. Voller Inbrunst posaunt er "Amore" ins Mikrofon und gibt seinem älteren Publikum die Illusion, gerade einen besonderen Moment zu erleben. Es ist geradezu bemerkenswert, mit welcher Überzeugung er seine erbärmliche Existenz im Scheinwerferlicht überspielt.

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Genau genommen kann von Scheinwerfern keine Rede sein. Richie tritt nur noch in freudlosen Hotelhallen auf und verkauft seinen Körper, um über die Runden zu kommen. Selbst sein eigenes Heim, die mit Postern und Pappaufstellern aus besseren Zeiten tapezierte Richie-Bravo-Villa, vermietet er an Fans. Er selbst schleicht sich in ein geschlossenes Hotel. Seidl suhlt sich mit großem Gefallen in diesem Elend.

Es ist nicht das erste Mal, dass er ein Urlaubsparadies auseinandernimmt. In Paradies: Liebe, dem ersten Teil seiner Paradies-Trilogie (Paradies: Glaube, Paradies: Hoffnung), folgte er einer 50-jährige Frau, die sich als Sextouristin nach Kenia begibt. Nachdem er die letzten Jahre mit Dokumentarfilmen verbracht hat (Im Keller und Safari), schließt er mit Rimini nahtlos an die ausgestellte Tristesse seiner vorherigen Spielfilme an.

Jedes Mal, wenn man denkt, Richie könnte sich nicht noch mehr demütigen, verliert er ein weiteres Stück des Reststolzes, der ihm geblieben ist. Seidls Aufmerksamkeit gilt aber nicht nur Richie, sondern auch seinem Umfeld. In der niederösterreichischen Heimat wartet ein Bruder (Georg Friedrich) im Familienhaus und ein Vater (Hans-Michael Rehberg in seiner letzten Rolle) im Altersheim. Die Mutter ist gerade gestorben.

In Ulrich Seidls Rimini folgt auf das Bittere das Berührende

Bewegung kommt in den Film, wenn Richies erwachsene Tochter, Tessa (Tessa Göttlicher), auftaucht. Das letzte Mal, als sich die beiden gesehen haben, war sie ein Kind. Richie erkennt sie nicht und macht sich mit den gleichen peinlichen Sprüche an sie heran, mit denen er bei seinen armseligen Gigs den Seniorinnen den Kopf verdreht. Das Wiedersehen ist zum Scheitern verurteilt. Seidl lässt seinen Protagonisten auflaufen.

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Eine Familienzusammenführung scheint anfangs sowieso nicht Tessas Ziel zu sein. Sie ist gekommen, um sich das Geld abzuholen, dass Richie ihr und ihrer Mutter schuldet. Eine pragmatische Angelegenheit, die ohne Gefühle geklärt werden könnte, wenn der Kreditautomat mehr als trotzige Worte ausspucken würde. Genau auf die Gefühle hat es Seidl aber abgesehen, egal wie zynisch manche Momentaufnahmen anmuten.

Wo sich zu Beginn des Films eine groteske Situation an die andere reiht, schürfen Seidls Beobachtungen mit zunehmender Laufzeit tiefer. Er will nicht nur ausstellen, begaffen und provozieren. In dieser Bestandsaufnahme von Richies Erbärmlichkeit schwingt ebenfalls eine Tragik mit. Jedes Mal, wenn er eine Lüge oder eine Ausrede auspackt, versucht er, nicht nur andere, sondern vor allem sich selbst davon zu überzeugen.

Rimini lebt von Michael Thomas' unglaublicher Darbietung

Er ist gefangen in einem ewigen Loop, der ihn nie über den Tellerrand hinausblicken lässt. In seinem Kinderzimmer hängen nach wie vor die Poster von Winnetou und Ben-Hur. Er kommt nicht einmal auf die Idee, diese Bilder zu überdenken, geschweige sich selbst im Spiegel zu betrachten. Sein Bild von sich ist dermaßen festgefahren, dass es den größtmöglichen Druck braucht, um ihn aus seinen alkoholisierten Träumen zu holen.

Grandios spielt Michael Thomas diesen Rolle. Wie er sich mit Mantel und Stiefeln aufbaut. Wie er zwischen völliger Erschöpfung und Stolz den Strand entlang marschiert. Wie ihm die Haare ins Gesicht hängen, als würde der größte Star der Welt aus ihm ausbrechen. Thomas schafft mit seinem Spiel eine Figur, von der man den Blick nicht abwenden kann: Es ist ein Mann, der zum professionellen Manager seines Versagens geworden ist.

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Seid ihr gespannt auf den neuen Film von Ulrich Seidl?

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