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Der lange Weg zum Lieblingsmonster

19.10.2016 - 09:00 Uhr
Ein unmenschlicher Schrecken
20th Century Fox/moviepilot
Ein unmenschlicher Schrecken
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Dieser Artikel entstand im Rahmen der Aktion Lieblingsmonster.

Wenn Ihr mich fragen würdet, welche Monster für mich die schlimmsten, besten, einprägsamsten sind, würde ich definitiv keine wählen, die in irgend einer Form spaßig, krachig, knallig oder gar bunt im Mittelpunkt stehen würden. Es sind nicht die Darth Vaders, Godzillas, titelgebenden Pixar-Geschöpfe oder Spielberg-Dinos, die bei mir einen bleibenden Eindruck hinterlassen haben. Ja, schon, sie sind gewaltig, laut, böse, und die Filmemacher sparen nicht, ihnen Screentime zu spendieren. Und dass viele Filmfans auf sie aufmerksam werden, weil sie eben so sehr im Scheinwerferlicht stehen, kann ich sehr gut nachvollziehen. Ich bin ja auch ein Fan von solchen - sei es eine Urgewalt wie der Tyrannosaurus Rex, der manipulative Charakter des Imperators oder auch der bedauernswerte King Kong.

Sie haben es jedoch nicht geschafft, ganz tief drin dauerhafte Effekte in mir auszulösen. Ich bin eher für solche subtilen, hinterlistigen, schwer zu fassenden Monstren anfällig. Das kann ein Virus sein wie der in „Andromeda – Tödlicher Staub aus dem All“ oder auch das „Das Ding aus einer anderen Welt“, die ihrer Natur entsprechend leben, agieren und vielleicht gar nicht wissen, was sie den Charakteren antun, völlig ohne Empathie und auf Überleben programmiert. Wenn eines dieser Wesen es schafft, dir mindestens einen ganzen Tag zu versauen, dann hast du neben einer starken Angsterfahrung auch etwas Bleibendes erlebt, das auf dich in zwielichtiger Hinsicht und langfristig eingewirkt hat.

Ich möchte Euch an einer meiner lebhaftesten Kindheitserinnerungen teilhaben lassen, das mich als Filmfan wahrscheinlich nicht mehr loslassen wird. Machen wir also eine Zeitreise ins Jahr 1989, als VHS-Kassetten noch das Maß der Dinge waren und „Star Wars“ seinen zweiten Frühling erlebte. Es ist eine Erinnerung, die nichts mit Hochglanz-SciFi und schlichten Gut-Böse-Schemata zu tun haben. Hier ging es um Schmutz, Staub, Hinterlistigkeit und den Willen eines Filmbetrachters, sich des Öfteren irreführen zu lassen...

Am freudlosen Tag des Herren

Es war einer dieser ungewöhnlichen Sonntage gewesen. Ihr wisst vielleicht, was ich meine: Man hatte am Samstag vorher schön gefeiert, fiel spät ins Bett und erwachte jenseits des alltäglichen Ablaufs, fühlte sich trotzdem ziemlich fertig. Da ich ein Frühaufsteher bin, war an dem Sonntag auch klar, dass ich ein paar Stunden alleine herumkriegen musste, bevor meine Eltern mal ans Aufstehen denken würden. Normalerweise wusste ich mich zu beschäftigen, aber an dem Tag fiel mir das schwer. Keine Lust auf dieses, für jenes zu faul. Im TV lief auch nichts Gutes, und die vielen VHS-Kassetten im Schrank sagten mir spontan nicht zu.

Bis auf eine.

Die Leihkassette aus der Videothek lag so unbedarft da wie der Planet, auf dem die Protagonisten des darauf überspielten Filmes landeten. „Wie die Jungfrau zum Kinde“ bin ich also an diesen Science Fiction-Horrorfilm geraten, und das nur, weil ich auf überhaupt nichts anderes Lust verspürte. „Okay, dann schaue ich mir mal „Äälien“ an.“, dachte ich verschlafen und unter lautem Gähnen. Ich hatte überhaupt keine Vorstellung von dessen Inhalt, hatte kein Cover, keine Screenshots oder sonstige Infos darüber vernommen und nahm sogar an, dass der Film vielleicht so etwas wie die „Gremlins“ sein würde: ein wenig gruselig, vielleicht auch lustig. Warum die Kassette da lag und wieso meine Eltern davon nichts erwähnt hatten, war mir in dem Moment schleierhaft gewesen.

Also schob ich das Teil in den Videorekorder und kam zu meiner ersten Begegnung mit dem „Alien“ - oder dem – etwas naiv formulierten Untertitel- „unheimlichen Wesen aus einer fremden Welt“.

Der lange Weg zur Furcht

Es ist ein Fakt, dass der Streifen länger vor sich hinsiecht und damit den lauten, effektvolleren Filmen sozusagen hinterherläuft. Was sollte also diese triste, müde Umgebung eines Raumschiffes, das ständig vor sich hinbrummt und „nur“ Rohstoffe transportiert? Das ist gar nicht sexy, genauso wie diese Morgenmuffelcrew, die sich gerne mal anzickt und mit monotoner Stimme Kommandos herunterbetet. Nein, das ist nicht die ultimative Vorstellung von einem unterhaltsamen Film. Während in anderen Monsterfilmen wahrscheinlich schon zwei Actionszenen abgelaufen wären, suhlt sich dieser Film in seiner komponierten Tristesse.

Als die Crew dann endlich auf diesem unwirtlichen Planeten aufsetzt und trotz des erlittenen Schadens noch mehr gepflegte Langeweile versprüht, spielte ich schon mit dem Gedanken, den Rekorder auszuschalten. Was interessierte mich die chemische Zusammensetzung der Luft? Vulkanisches Gestein? Ja, schön. Auch wenn ich gedanklich schon die Stop-Taste betätigte, gab ich dem Film noch eine letzte Chance. Ich wollte letztlich doch wissen, was sich hinter dem Signal verbarg, weswegen sie von Mutter auf diese öde, grau-schwarze Vulkangesteinskugel gelotst wurden.

Mit der Entdeckung des u-förmigen Raumschiffes gerieten dann endlich mal die Rädchen subtiler Spannung in Bewegung. In H.R. Gigers Handschrift thronte das fremdartige Fluggerät leblos über der Landschaft, und Ridley Scott hielt es nicht mal für nötig, das Teil gebührend zu zeigen. Ein paar kurze, mit Nebelschwaden überdeckte Totalen, eine zweisekündige Einstellung der ovalen Eingangsöffnungen – mehr nicht. Einen Schnitt später sind sie auch schon eingetreten, schritten durch Gänge, die optisch den Eindruck vermittelten, im Innern eines Brustkorbes umher zu laufen. Bis hierhin entging mir beinahe, dass mir richtig mulmig wurde. Zum Höhepunkt wurde dieses Gefühl, als sie das Skelett des mit dem seltsamen Stuhl verwachsenen Aliens entdeckten – ein leichtes Schaudern ging durch meinen Körper, als die Musik ganz seicht anschwoll und sich im Schatten die dünne Silhouette eines Totenschädels abzeichnete.

Es muss für den ein oder anderen Jumpscare-Fan seltsam wirken, aber ich war plötzlich in einer Spirale gefangen. Allmählich dämmerte mir, dass an diesem grotesk wirkenden Ort etwas nicht stimmte, und ich wurde das Gefühl nicht los, dass der Crew etwas Schreckliches zustoßen würde.

Brust raus, Angst rein

Mit Kains Absteigen in das dunkle Loch war die Marschrichtung des Films endgültig besiegelt. Die unzähligen Eier in einer gigantischen Höhle, versteckt unter einem elektronischen Dunstschleier ließen meinen Adrenalinspiegel ansteigen. Ich hatte Angst um diesen sonst behäbig agierenden Menschen, wie er sich in blinder Neugier den ledrig-schmierigen Gebilden näherte. Was dann folgte, kann ich nur noch als dämmrige Sekundenerfahrung beschreiben, als ein lautes Zischen und wacklige Bilder eine beispiellose Filmodyssee des Grauens begründeten.

Ich begann zu begreifen, dass „Alien“ nicht nur kurze Szenen zur ruckweisen Ängstigung des Zuschauers verwendet. All die Szenen davor, die so öde und scheinbar nebensächlich anmuteten, hatten einem perfiden Zweck gedient: Den Zuschauer in eine allumfassende Tristesse hinein zu ziehen, mit Hände reibender Raffinesse ausgeklügelt, bis das Monstrum im richtigen, schaurigen Ambiente die Bühne betreten konnte.

Als mit Kains Zustand diverse Gemütswallungen wie Ekel, Unwissenheit, Unsicherheit und später ein Anflug von Hoffnung durchlebt werden, wird der nächste Dampfhammer quasi nur vorbereitet. Dieser bohrt sich dir sogleich in die Lungen, das Herz sowie das Gefühlszentrum in deinem Rumpf wie der Chestburster durch Kains Brust. Und da platzte er nun heraus: Der Albtraum vieler Nächte, besudelt von Kains Eingeweiden, ungläubig begafft von den Crewmitgliedern.

Die ganz miese Tour

Wer zu diesem Moment noch dachte, dass man ihn nun endlich nicht mehr an der Nase herumführen würde, ihm nicht noch ständig andere miesen Storytwists aufhalsen würde, ihm endlich einen offenen Schlagabtausch anbieten würde, der sah sich getäuscht. Das Monstrum wuchs in rasanter Geschwindigkeit unbemerkt zu einem Hünen heran, bewegte sich im Raumschiff umher, ohne auch nur daran zu denken, sich im großen Stil ins Spotlight zu bewegen. Es tötet mit List und Präzision, und wir Zuschauer bekommen nur Teile von ihm zu Gesicht. Mal einen meterlangen Schwanz, das doppelte, charakteristische Gebiss, die längliche Kopfform. Erst zum Schluss lässt sich die vollständige Körperform im Blitzlichtgewitter erahnen, als das Drehbuch den x-ten Überraschungseffekt zum Besten gab und das Alien einer Rohrkonstruktion scheinbar gleichsetzte.

Denke ich so viele Jahre später in analytischer Art und Weise über das Alien nach, bin ich erstaunt, wie wenig die reine Optik über meine geistige Abhängigkeit zu diesem Monster entschieden hat. Angst und Faszination tragen oft zum bleibenden Erlebnis mit einem Filmmonster bei, doch die Mittel, mit der mich „Alien“ in seinen Strudel zog, sind mitunter hinterlistig gewählt und wirken seltsam beiläufig. Eine beständig negativ geladene Atmosphäre, die Symbiose des Alienkörpers mit der architektonischen Optik der „Nostromo“, die tödliche Effizienz seiner Handlungen. Und als wäre das nicht schon genug des Grauens, setzen Konzerninteressen im weiten Sinne noch eins drauf. Die Story zielt metaphysisch nicht darauf aus, ein Problem aus dem Nichts zu erschaffen, welches man stets mit Glück und Geschick aus der Welt schaffen kann. „Alien“ setzt seine Besatzung gezielt einem bekannten Problem aus und stellt ihnen so gut wie gar nichts zur Verfügung. Keine Superkräfte, kein Waffenarsenal (wie etwa in James Camerons Sequel), kein zufällig vorgelegtes Allheilmittel, der Bedrohung Herr zu werden.

Vielleicht liegt es daran, dass ich das Alien als mein Lieblingsmonster ansehe. Die Realität wird im Film schematisch wiedergegeben, deshalb wird es für uns Betrachter zu einer nachvollziehbaren Umgebung hochgezogen. Das Monster selbst ist trotz seiner organischen Hülle ein Musterbeispiel für maschinelle Präzision, gewissenlos, es kennt keine Ausflüchte, kein Bedauern. Vielleicht ist seine simple Struktur des Handelns das, was mich so fesselt. Während ich im Alltag ständig abwägen muss, empathisch sein sollte, Gefühle zeigen kann, ist das Giger-Geschöpf diesen Menschlichkeiten nicht unterworfen. Es kann so sein, wie wir Menschen vermeiden zu sein, nämlich emotional befreit und ohne die Berücksichtigung der Konsequenzen unseres Tuns.

Vielleicht mag ein Hannibal Lector in seiner Art ähnlich geformt, der „Andromeda“-Virus noch ein Stück weit kompromissloser gestrickt sein, doch ist das Alien trotz seiner Gnadenlosigkeit immer noch eine Art Tier, das naturgemäß seinen Fortbestand sichert. Das macht es für mich bei aller Abscheulichkeit doch wieder irgendwie akzeptabel und sogar sympathisch.

Bis zum bitteren Ende

Es passte wie die Faust auf´s Auge, als meine Eltern pünktlich zu den Credits in der Wohnzimmertür und in mein verstörtes Gesicht blickten. Was denn los sei, fragte meine Mutter, doch schon im nächsten Moment wusste sie schon bescheid. Ein kurzer Blick auf den Bildschirm verriet ihr, dass ich, der gerade mal mit den Gremlins zurecht kam und einige Zeit vorher bei der Altversion von „Die Fliege“ schon schlecht geschlafen hatte, soeben einen Film gesehen hatte, der zutiefst grausam und ohne Rücksicht auf Verluste mit den Urängsten von Menschen spielt. Ich hatte mich danach den ganzen Tag nicht gewagt, alleine in meinem Zimmer zu sitzen. Während noch die Angsterfahrung diesen Sonntag bestimmte, war mir nicht bewusst, wie einschneidend dieses Erlebnis für meine Zukunft sein würde.

Es kamen und gingen so viele Monster, gute wie schlechte, doch keines von ihnen würde einen derart bleibenden Eindruck bei mir hinterlassen wie dieses Alien. Ich bewundere nicht nur sein Tun, sondern auch das bizarre, beispiellose Giger-Design, die hinterfotzige Dramaturgie, die vielen Mindfucks, die man als beim ersten Sehen des Streifens durchmachen muss. Vielleicht ist es auch die Erkenntnis, dass nichts und niemand für mich wieder denselben Effekt hervorrufen konnte. Die Ikonie dieses Monstrums wird wohl bis zu meinem Ableben strahlen, dass mir jeder noch so nostalgische Seufzer im Halse stecken bleiben wird...

Wir bedanken uns ganz herzlich bei den Sponsoren der Aktion Lieblingsmonster:

Aktion Lieblingsmonster


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