Deutsche Filme, die mehr als 10 Millionen Menschen sahen, lassen sich an zwei Händen abzählen. Einer dieser Filme ist Ehe im Schatten, der erfolgreichste deutsche Film der Nachkriegszeit. Kurt Maetzig ist der Regisseur dieses Dramas aus dem Jahre 1946, welches die Geschichte des Schauspielers Joachim Gottschalk nacherzählt, der – weil seine jüdische Ehefrau deportiert werden soll – sich gemeinsam mit ihr und seinem Sohn umbringt. In die klassisch inszenierte Tragödie strömen 12 Millionen Menschen und schlagartig ist Kurt Maetzig neben Wolfgang Staudte (Die Mörder sind unter uns) in aller Munde. Die Geschichte kann er vielleicht deshalb so emotional nachvollziehbar gestalten, weil seine Mutter, auch Jüdin, Selbstmord beging, weil ihr das nationalsozialistische System keine andere Möglichkeit ließ.
Er blieb auch viele Jahre in aller (ost)deutschen Munde, aber heute kennen ihn nur noch Insider. Dabei hat der Mann einiges vollbracht: 1946 die DEFA mitgegründet, die ersten “Augenzeugen” (die ostdeutsche Wochenschau ) verantwortet, als Rektor die erste deutsche Filmhochschule nach dem Zweiten Weltkrieg gegründet, mit Die Buntkarierten (1949) und Rat der Götter (1950) spannende Geschichten erzählt, mit Der schweigende Stern (1960) den ersten Science Fiction-Film der DEFA inszeniert. Kurt Maetzig hat aber auch die Ernst Thälmann-Filme (1955/1956) in Szene gesetzt, jene zwei ostdeutschen Propagandastreifen, die mit großem Produktionsaufwand und unter unmittelbarer Beteiligung der Staatsführung zum Maßstab für Filmbiographien über kommunistische Persönlichkeiten wurden und die Geschichte im Sinne der SED verherrlichen.
Widersprüchlich ist die Biographie von Kurt Maetzig, der als Halbjude knapp der Deportation entging, und sich als bekennender Kommunist 1946 der SED anschließt. Auf der einen Seite seiner Filmografie stehen plakative Historienfilme wie Die Fahne von Kriwoj Rog (1967), aber auf der anderen Seite solch ein sensibler, moderner und aktueller Film wie Das Kaninchen bin ich (1965). Der Film wird verboten, mit ihm die Hälfte einer ganzen DEFA-Jahresproduktion. Dabei erzählt er nur die einfache Geschichte einer jungen Frau (Angelika Waller), die Gerechtigkeit und moralische Integrität will. Sie wird enttäuscht von einem Richter, von einem Mann, vom System. Der politische Sprengstoff des Films liegt in der Figur des Richters, der heuchlerisch, feige und doppelzüngig nicht nur Recht spricht, sondern auch sein Leben gestaltet. Neben Spur der Steine und Denk bloß nicht, ich heule ist Das Kaninchen bin ich eines jener Beispiele, wie DEFA-Filme hätten sein können: realistisch und kritisch, auf systemimmante Schwächen hinweisend. Das ist naturgemäß nicht erwünscht und das Verbot eine nachvollziehbare Konsequenz. Kurt Maetzig übt danach “Selbstkritik”, die er später bereut. Noch bis Mitte der 1970er Jahre dreht er Filme, aber irgendwie erholt er sich künstlerisch nicht mehr von den harten Disputen um seinen Verbotsfilm, der vielleicht sein bester Film ist.
Schade, dass mehr als ein halbes Filmjahrhundert derart schnell in Vergessenheit gerät oder nur auf die eine, die staatstragende Seite reduziert wird. Kurt Maetzig hat Filmgeschichte geschrieben. An seinem Leben spiegelt sich auch ein ganzes Jahrhundert deutsche Geschichte: Er war ein reicher Bürgersohn, der an der Sorbonne studierte und promovierte, ein kleiner Junge, der schon mit acht Jahren August Bebel las und im Widerstand gegen die Nationalsozialisten zum Kommunisten wurde, ein Erneuerer, der eine neue Filmkultur entwickeln wollte, ein propagandistischer Staatsfilmer und ein verbotener Regisseur. Claus Löser in der taz fasst es heute so zusammen: “Der aus bürgerlichen Verhältnissen stammende, hochgebildete Kurt Maetzig operierte in der DDR aus der Position eines Konvertiten. Zum bedingungslos benutzbaren Opportunisten wurde er dabei nicht. Sein Leben und Werk schreiben sich in eine deutsche (Film-)Geschichte ein, deren Vermessung erst am Anfang steht.”