Man stelle sich vor, der große Daniel Day-Lewis hätte den Oscar für seine Leistung in Lincoln gewonnen, OHNE ihn aber entgegenzunehmen, weil er zu beschäftigt war, vor dem Dolby Theater gegen die Verleihung zu protestieren. Ein undenkbares Szenario meint ihr? Und doch ist es dieses Jahr auf ähnliche Weise passiert. Nicht bei einer solch prominenten Kategorie wie dem besten Hauptdarsteller, versteht sich, sondern bei den Visual Effects.
Der Aufreger der Woche beschäftigt sich mit der kränkelnden VFX-Branche (moviepilot berichtete) aber zeigt mit dem Finger ausnahmsweise nicht auf Hollywood als Sündenbock, sondern auf dich, mich und die Digital Artists, die mit Mistgabeln auf Ang Lee los gingen.
Hollywood frisst sich selbst
Es brodelt in Hollywood seit langem. Anfangs war es nur ein leises Wispern. Doch als James Camerons ehemaliges VFX-Studio Digital Domain letztes Jahr Insolvenz anmeldete, wurde aus dem Flüstern ein erster Schrei. Ein Schrei, der durch die Oscarverleihung 2013 endgültig an die Öffentlichkeit drang. Mit Rhythm & Hues (Der Goldene Kompass, Life of Pi: Schiffbruch mit Tiger) stand eine weitere der großen Effektschmieden Hollywoods vor dem Ende. Zufall? Gleichzeitig entließ DreamWorks Animation 350 Angestellte und nicht zuletzt musste Hollywood die Schlappe hinnehmen, dass Studien einen Rückgang der 3D-Einnahmen um fast 20% prognostizieren. Noch mehr Zufälle?
Natürlich hält sich unser Mitleid in Grenzen. Der digitale Goldrausch hat in Hollywood lange genug angehalten. Mit Jurassic Park hielten 1993 die Visual Effects Einzug in die Blockbusterindustrie und damit auch der Schlendrian. Mit Toy Story folgte anschließend der computergenerierte Animationsfilm, was den bis heute andauernden CG-Boom lostrat. Blockbuster nach der Devise „außen VFX, innen nix“ und Animationsfilme vom Reißbrett führ(t)en die Kinocharts an. Aber anstatt, dass wir – das Publikum – endlich begriffen, ließen wir uns bereits vom nächsten Boom ködern. Die Zeit von Avatar – Aufbruch nach Pandora war gekommen und das sagenumwobene 3D vernebelte unsere Sinne.
Schattenseiten der Globalisierung
Nun, im Jahr 4 n. Av., versiegt auch die stereoskopische Goldgrube zusehends und es bleiben die Überreste einer Ära der Völlerei und Habgier zurück auf Kosten derjenigen, die die letzen 20 Jahre erst ermöglichten. Die vielen für Pauschalhungerlöhne arbeitenden VFX-Unternehmen, die nicht im Konkurrenzkampf um die bestbezahltesten Filmaufträge, sondern die letzten Brotkrumen innerhalb der USA buhlen. Firmen aus dem Ausland mit Steuervorteilen im Rücken (Kanada oder England) oder aus Schwellenländern (China, Indien) kratzen seit Jahren am Effektstandort Hollywood. Die amerikanische VFX-Branche existiert seit 20 Jahren, besitzt aber bis heute keine richtige Gewerkschaft. Ohne eine solche Absicherung wurden die anfangs hohen Gehälter und satten Preise der damals noch raren Spezialisten über die Jahre auf Pauschalbeträge reduziert. Auf diese Weise wirtschaftete sich eine milliardenschwere Branche von allein zu Grunde.
Das Problem: VFX sind heutzutage billiger geworden als das gute, alte Filmhandwerk, was selbst ansonsten effektfreie Filmgenres, das Fernsehen oder die Lowbudgetszene mit einer verschwenderischen Masse unnötiger Visual Effects überschwemmt. Das lässt den Zemeckis’schen Virus besonders gut gedeihen und die Filmemacher zusehends fauler werden. Also was tun? Eine kühne Überlegung: Würde eine Anhebung der VFX-Preise nicht automatisch mehr Qualität in Hollywood bedeuten? Der Einsatz von Effekten würde sorgfältiger geplant werden, was Regisseure nach sich ziehen würde, die zur Abwechslung wieder richtig arbeiten müssten und dadurch auch die anderen Departments wieder mehr zu tun bekämen. So die Theorie.