Anne Fontaine über Das Mädchen von Monaco

02.07.2009 - 09:00 Uhr
Das Mädchen von Monaco
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Das Mädchen von Monaco
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Regisseurin Anne Fontaine spricht in einem Interview über ihre neue Komödie Das Mädchen von Monaco und das Aufeinandertreffen von geistreichen Männern und verführerischen Frauen.

Wie ist das Projekt von Das Mädchen aus Monaco entstanden?
Ausgangspunkt war die Gestaltung einer Persönlichkeit, die die Illusion hat, ihr Leben völlig im Griff zu haben. In diesem Fall ein Rechtsanwalt, der als Verteidigungs- und Angriffsmittel nur die Sprache hat. Was mich daran interessierte, war es, eine Persönlichkeit auszuarbeiten, bei der Erotik durch die Sprache ausgedrückt wird. Diese Figur ist durch mein Treffen mit Fabrice Luchini entstanden. Wir kennen uns seit langem, weil er unter meiner Regie in Reise ans Ende der Nacht 1985/86 gearbeitet hat. Mich haben schon immer seine Einzigartigkeit, seine Fantasie und seine große Verletzlichkeit fasziniert. Das Treffen mit ihm hat die Ausgestaltung der Rolle deutlich beeinflusst.

Wie haben Sie diese Figur weiterentwickelt?
Ich stellte mir die Frage nach seiner Spontaneität und Sexualität. Bertrand ist ein ewiger Junggeselle, dessen frühere Liebesaffären wir nicht kennen. Jedoch entdeckt man sehr schnell, dass es sich um eine Art Verführer handelt, der, bevor es zur Sache kommt, von seinem Objekt der Begierde zurückschreckt. Diese Flucht verdeutlicht seine Angst, die Orientierung zu verlieren. Wenn er sich selber erlauben würde, sich zu verlieben und sich dem anderen hinzugeben, würde er sicherlich einen Teil von sich selbst wieder finden, vor dem er sich vage fürchtet. Ich wollte untersuchen, was für ein Mensch sich hinter dieser intellektuellen Fassade verbirgt, der sich gegen jede Hingabe wehrt. Und dennoch, wenn man sein Alter betrachtet, hat er nichts zu verlieren: Warum gibt er sich nicht dem Vergnügen hin? Diese Fragestellung interessierte mich.

Genau hier kommt die Persönlichkeit von Roschdy Zem ins Spiel.
Ja. Weil ich einen Gegenentwurf zum Rechtsanwalt suchte.
Ich wollte Bertrand eine Person gegenüberstellen, deren Bezug zur Libido viel einfacher ist und der Fragen als unnütz und ermüdend empfindet.
Äußerlich scheint er aalglatt, aber man merkt, dass er sich selbst nur mit Hilfe von Martial Arts beherrschen kann. Ich sah ihn als eine Art Freund und Coach für Bertrand. Aber ich wollte das alles unter dem Blickwinkel einer Komödie darstellen: Der Intellektuelle, dargestellt von Luchini, und der Bodyguard, von Roschdy Zem interpretiert, sollten von Anfang an als Gegenpole auftreten, um nach und nach in einer besonderen Beziehung zu verschmelzen.

Man ahnt, dass sie sich anfreunden werden …
Das sind wahrscheinlich die zwei gegensätzlichsten Charaktere aus all meinen Filmen. Zunächst weist nichts darauf hin, dass sie sich annähern werden, sie sind auch äußerlich völlig verschieden. Das kantige Äußere von Christophe wirkt auf Bertrand sowohl Furcht einflößend als auch beruhigend. So nimmt sich Christophe auch sehr schnell der Unfähigkeit von Rechtsanwalt Bertrand an, zur Tat zu schreiten, wie man es auch in der Szene mit Jeanne Balibar sieht. Bevor ich zu der Beziehung mit Audrey gekommen bin, ging ich zunächst von einer sehr engen Beziehung zwischen Bertrand und Christophe aus. Es gibt in diesem überraschenden Tandem zwischen den beiden Männern zweideutige und komische Aspekte.

Zwischen den beiden gibt es fast ein Spiel um die sadomasochistische Herrschaft…
In der Tat nimmt Christophe seine Mission als Bodyguard so ernst, dass er sich voll und ganz für das Leben von Bertrand einsetzt. Während Bertrand sich in seiner Beziehung mit Audrey zu verlieren scheint, nimmt Christophe immer mehr die Zügel in die Hand. Was mich interessierte, war, wie sehr sich dieser Bodyguard in das Gefühlsleben und Schicksal des Anwalts einmischt, weil er sich dafür verantwortlich fühlt. Auf der einen Seite bewundert Christophe Bertrand, aber auf der anderen Seite gesteht Bertrand seinem Bodyguard eine völlig ungewöhnliche Rolle zu, die später alles zum Umsturz bringt. Nur auf Grund der besonderen Solidarität von Christophe nimmt Bertrand emotionale und psychische Risiken auf sich. Während der Rechtsanwalt versucht, sein Leben zu vereinfachen, fängt der Bodyguard plötzlich an, Dinge des Lebens zu hinterfragen. Mir gefiel die Konfrontation zwischen einem gebildeten Bürger und einem etwas frustrierten Menschen, der es mir erlaubte vom Klassenbewusstsein zu sprechen, ohne aber belehrend zu wirken.

Roschdy Zem hat übrigens eine sehr starke Präsenz auf der Leinwand …
Ich hatte ihn bei meinem ersten Film Les histoires d’amour finissent mal…en general getroffen. Als ich ihn wieder sah, wurde mir seine sehr maskuline Art bewusst, die perfekt auf die Rolle des Bodyguards passte. Roschdy ist einer der wenigen Schauspieler im französischen Kino, von dem eine Art “Animalität” ausgeht.

Die Tatsache, dass Christophe und Audrey ein Liebespaar waren, macht die Geschichte noch komplizierter…
Ich wollte vor allem nicht, dass diese alte Romanze wie eine psychologisierende Erklärung für die Haltung von Christophe ist. Stattdessen gefiel mir, dass das zwischen Audrey und Christophe auf den ersten Blick nur wie ein Abenteuer aussah, ohne besondere Bedeutung. Ich sage “auf den ersten Blick”, weil man feststellen kann, dass die Anziehungskraft von Bertrand für dieses Mädchen bei Christophe etwas Unbestimmtes auslöst, sowie seine Eifersucht in Bezug auf Audrey, weil sie mehr und mehr Platz im Leben des Anwalts einnimmt. Der Bodyguard versteht nicht, wie dieser geistreiche Mann, den er so bewundert, sich für so ein gewöhnliches Mädchen interessieren kann!

Während Bertrand etwas Weibliches an sich hat und Christophe die absolute Männlichkeit verkörpert, bekommen wir das Gefühl, dass sich die sexuellen Pole umdrehen: Bertrand wird maskuliner und Christophe wird verletzlicher.
Es stimmt, dass Bertrand zunächst weder äußerlich, noch moralisch dem Bild eines maskulinen Mannes entspricht: Obwohl er sehr beherrscht ist, ist er in Bezug auf Frauen instabil und zeigt wirkliche Schwäche. Christoph hingegen entwickelt bestimmte weibliche Charakterzüge. Mich interessieren Figuren, die nicht statisch bleiben: Es gibt nichts Frustrierenderes in einem Film, als wenn die Geschichte die Menschen nicht verändert und Dinge aufdeckt, die bis dahin verborgen waren. Deshalb mochte ich die Idee, dass dieser Bodyguard verletzlich wird und ihm es nicht mehr gelingt, die berühmten sechs Meter Sicherheitsabstand zu wahren, von denen er die ganze Zeit spricht. Er will eigentlich überhaupt nicht die symbolische Grenze überschreiten und auf die Wünsche von Bertrand eingehen …

Plötzlich regt sich etwas in dem Anwalt, was ihn menschlich macht, als hätte er seine Verirrung bemerkt, die er selbst hervorgerufen hat. Denn im Grunde hat er den Bodyguard unfreiwillig in eine gefährliche Lage gebracht. Bertrand wird zum ersten Mal in seinem Leben mit Schuld konfrontiert, ein für den Anwalt völlig fremdes Gefühl, da er sich normalerweise nicht in Angelegenheiten einmischt, die ihn nichts angehen. Seine Reaktion in diesem Moment ist von großer Bedeutung und ungeahnter Tiefe, ja sogar einer gewissen Männlichkeit: Er wird also zum Beschützer seines Leibwächters. Wie bei einem traditionellen Paar, wenn Christophe und Bertrand sich in einer gefährlichen Situation wieder finden, verhalten sie sich solidarisch zueinander und teilen eine gewisse Mitverantwortung.

Es ist das erste Mal, dass Sie eine weibliche Figur wie die der Audrey inszeniert haben.
Ich hatte noch nie über eine Frauenfigur wie sie geschrieben. Sie ist rein sinnlich und will unbedingt sozial aufsteigen, ohne andere machiavellistisch zu beeinflussen. Ich fand es amüsant, einen Typen wie Bertrand, der sich an kultivierte und gebildete Frauen wendet, mit einer Frau, von nicht außerordentlichem Intellekt, zu konfrontieren. Plötzlich wird dieser Mann, der sonst so gut seine Sprache beherrscht, sprachlos, und deshalb auch den anderen gegenüber machtlos. Audrey, trotz ihrer Unzulänglichkeiten, berührt genau die Seite von Bertrand, die ihr Widerstand leistet. Dank ihr gibt er sich zum ersten Mal in seinem Leben hin.

Wie haben Sie sich dafür entschieden, wer die Rolle der Audrey übernimmt?
Ich wollte, dass sie auf der einen Seite eine “Femme Fatal” und auf der anderen Seite sehr natürlich ist, kombiniert mit einer bestimmten Makellosigkeit. Ihre Rolle hing sehr von der Wahl der Schauspielerin ab, und ich habe auf die ideale Person gewartet. Als ich Louise Bourgoin zum ersten Mal sah, hatte ich das gleiche Gefühl, wie mit Stanislas Merhar zurzeit von “Nettoyage à sec”: Sie war nicht gekünstelt und versuchte nicht eine Rolle zu erfinden. Ich wusste instinktiv, dass sie auf Luchini jene Wirkung auslösen würde, die ich suchte.

Wie haben Sie Fabrice Luchini Regieanweisungen gegeben?
Ich habe das Gefühl, dass man oft ein Dokument über “die Schauspieler, mit denen man arbeitet” entwickelt. Selbst wenn natürlich Fabrice Luchini sich nicht selbst mit seiner Rolle verwechselt, finde ich es immer aufregend, wenn sich die persönliche Entwicklung eines Schauspielers mit seiner Rolle vermischt. Ich denke, dass Luchini, der in der Regel kontrolliert ist, Sachen im Film liefert, die man selten vorher gesehen hat: Verletzbarkeit, Schmerz und vor allem geistige Verwirrung. Ich finde, dass er etwas Unentschlossenes und Kindliches hat, als sei er noch nicht im Erwachsenenalter angekommen. Ich wollte, dass er seine Rolle nicht beeinflusst. Er hatte manchmal das Gefühl nichts zu tun und genau dieses “Nichts” interessierte mich. Schauspieler wie er, die ein echtes komisches Talent haben, verstecken sich oft hinter einer Maske und haben Schwierigkeiten damit, zu verstehen, dass sie manchmal gerade dieses “Nichts tun” interessant macht. Fabrice, wie auch Michel Bouquet, weiß, dass sich gerade in diesem “Nichts” das Menschliche einer Rolle zeigen kann. Je größer die Persönlichkeit des Schauspielers, desto interessanter ist es, diese einzubremsen. Es scheint mir, dass sich gerade in dieser Dualität die größte Wahrheit offenbart.

In ihren Filmen spielen die Schauplätze oft eine besondere Rolle. Das 13. Arrondissement in “Augustin roi du kung-fu”, Belfort in “Nettoyage à sec” und hier Monaco.
Ich kann keinen Ort auswählen, der nicht einen psychologischen Einfluss auf die Personen ausübt. Mit dem wohlgeordneten Fürstenstaat Monaco assoziiert man beispielsweise Sicherheit, und man kann sich nicht vorstellen, dass es dort Gefängnisse gibt.
Mir gefällt es, den Kontrast zwischen einer intellektuell brillanten Person und einem Ort, der mir als märchenhaft erscheint, herauszuarbeiten. Ich stellte diese Geschichte in ein Operettendekor, um dem Film eine Nuance der Lächerlichkeit und eine gewisse Absurdität zu geben.

Die Einrichtung des Zimmers von Audrey, zu Ehren von Lady Di, ist unwiderstehlich.
Es war ein Vorteil in Monaco zu drehen, weil die Kriterien für Eleganz nicht die gleichen sind wie die in Paris. Ich fand, dass das Zimmer von Audrey Teil der psychischen Verlorenheit ausmachte, die dieses Mädchen in Bertrand verursacht. Wenn der Anwalt in ihrem Zimmer ist, verliert er jeden Sinn für Kritik. Guter Geschmack wird unwichtig.

Haben Sie sich über den Beruf des Anwalts informiert?
Ich recherchiere immer eingehend das Milieu, das ich in meinen Filmen zeige. Ich habe das Gefühl, dass man ein Milieu nicht zeigen kann, wenn man es nicht selbst genau erlebt und erforscht hat. Ich habe ganz genau Gerichtsprozesse verfolgt und Anwälte im täglichen Leben beobachtet. Man ist sich nicht bewusst, bis zu welchem Punkt der Beruf das Verhalten eines Menschen beeinflusst. Eigentlich haben Anwälte viele Gemeinsamkeiten mit Schauspielern. Wie sie, können sie sich manchmal als wichtig aufspielen oder sich auch zurücknehmen.

Die Anwesenheit von Stéphane Audran evoziert zahlreiche Films Noirs.
Ich brauchte eine Schauspielerin, die innerhalb von zehn Sekunden verspüren lässt, dass sie etwas begonnen und keinerlei Gewissensbisse hat. Stéphane ist eine Schauspielerin, die ich immer bewundert habe. Sie ist wunderbar in den Filmen von Claude Chabrol. Ich fand es amüsant, dass gegen Ende des Films der Anwalt und seine Mandantin sich in völlig umgekehrten Situationen wieder treffen. Darin liegt die Ironie des Schicksals, die, wie es mir scheint, immer gewinnt.

Quelle: Interview mit Anne Fontaine zu Das Mädchen aus Monaco; mit Material von MFA+

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