Apples absurde Zensur: Warum ein Spiel zur "News App" wurde

19.05.2016 - 17:05 UhrVor 9 Jahren aktualisiert
Liyla And The Shadows Of War
Rasheed Abueideh
Liyla And The Shadows Of War
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Liyla And The Shadows Of War erzählt die Geschichte eines Mädchens, das im Gaza-Streifen ums Überleben kämpft. Apple weigert sich, diesen Titel als Spiel anzuerkennen, da er eine politische Botschaft vermittle. Es ist eine Zensur, die absurder nicht sein könnte.

Rasheed Abueideh ist ein Entwickler und Familienvater, der in Palästina den Ausbruch des Gaza-Konflikts 2004 miterleben musste. Die Bilder von getöteten Menschen gehörten plötzlich zu seinem Alltag, der seitdem von Angst und tiefer Trauer beherrscht wurde. Er beschloss, seine Gefühle in ein Spiel zu übersetzen, das Spielern weltweit die Ereignisse im Gaza-Streifen näher bringen und gleichzeitig ein in Code gebetteter Hilferuf sein sollte.

Seine Erlebnisse flossen schließlich in das Mobile Game Liyla and The Shadows Of War, das zur Prüfung Android und Apple vorgelegt wurde, um einen Platz in beiden Mobile Stores zu erhalten. Android signalisierte dem mittlerweile mit dem Reboot Develop Indie Award ausgezeichneten Spiel grünes Licht , doch die Türen des App Stores blieben nach 12-tägiger Prüfung geschlossen. Die offizielle Begründung Apples für die Abfuhr teilte der irritierte Entwickler auf Twitter.

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Diese Entscheidung fußt auf Apples Richtlinien für Spiele in ihrem App Store, die in ihrer heute gültigen Form 2010 formuliert wurden und die ihr hier einsehen könnt . Diese legen fest:

Wir betrachten Apps anders als Bücher oder Lieder, die wir nicht kuratieren. Wenn Sie Religion kritisieren wollen, dann schreiben Sie ein Buch. Wenn Sie über Sex sprechen wollen, dann schreiben Sie ein Buch oder Lied — oder programmieren Sie eine Medizin App. [diese Trennung] kann kompliziert werden, aber wir haben uns dazu entschieden, bestimmte Inhalte im App Store einfach nicht zuzulassen.

Diese Implikation von Apple, dass Spiele mit sozialkritischem oder politischem Kommentar nicht die Beschreibung "Game" erhalten können, wurde seitdem immer wieder als Grundlage herangezogen, um bestimmte Titel vorsorglich oder nachträglich aus dem App Store zu entfernen. So wurde beispielsweise Sweatshop, ein Educational Game über die Probleme der industriellen Massenproduktion, 2013 aus dem Store gelöscht.

Nun befindet sich auch der Entwickler von Liyla and The Shadows Of War in der seltsamen Situation, sein Spiel, das laut Apple gar kein Spiel sein soll, erneut und beispielsweise als "News App" einzureichen.

Diese Entscheidung des großen Apfels wird umso absurder, je länger wir darüber nachdenken. Das berechtigte Stirnrunzeln beginnt beispielsweise schon, wenn wir uns ansehen, welche Spiele Apple im Gegenzug offenbar als sozialkritisch zahnlos, unpolitisch und rein unterhaltend einstuft.

Israeli Heroes ist ein Spiel, das seit dem 08. Oktober 2013 im App Store kostenfrei verfügbar ist  und in deutlicher Anlehnung an Angry Birds Langstreckenraketen mit knuffigen Gesichtern und Davidstern in Holzhütten und kleine Pyramiden fliegen lässt. Zu Beginn eines Levels rufen die Raketen "Besiegt unsere Feinde!" bevor sie sich in Zivilgebäude werfen lassen.

Auch für Nicht- oder Gelegenheitsspieler ist klar ersichtlich, dass Israeli Heroes ebenso eine politische Botschaft ausspricht wie auch Liyla and The Shadows Of War. Der große, offensichtliche Unterschied zwischen beiden Spielen ist die visuelle Präsentation. Hier scheint sich Apple von Kulleraugen und Lachmündern offenbar gerne davon überzeugen zu lassen, dass das Steuern von gutgelaunten israelischen Raketen politisch neutral und unbedenklich ist. Sonst dürfte ja auch dieses Spiel konsequenterweise nicht im App Store zu finden sein.

Auch This War of Mine – ein 2014 erschienenes, mehrfach ausgezeichnetes Anti-Kriegsspiel, das sich mit Liyla eine fast identische Farbpalette teilt – wurde von Apple zum Verkauf zugelassen. Es ist ein düsteres Abenteuer, das sich um den Überlebenskampf einer Gruppe Zivilisten in einem fiktiven Kriegsgebiet dreht. "Fuck this War!" an jeder zweiten Häuserwand, kein Einspruch von Apple, trotz erneut ganz offensichtlich politischer Botschaft.

Der explizite Bezug auf den real existierenden Konflikt im Gaza-Streifen und der Verweis auf Fotografien aus den Kriegsgebieten in ihrem Press Kit  scheint Liyla and The Shadow of War hingegen für Apples Kategorie Games disqualifiziert zu haben. "Politische Botschaften" sind offenbar also gleichbedeutend mit "realpolitischer Bezug". Unter Umständen können sich kugelrunde Augen allerdings auch beschwichtigend auf die Jury auswirken — wer weiß das schon sicher.

Die Folge daraus: Einer der größten Mobile Märkte bewirbt die Annahme, dass Spiele einzig und allein virtuelle Welten beleben und zitieren dürfen. Querbezüge zur realen Politik, Gesellschaft und unserer Kultur sind hingegen "fragwürdig und politisch aufgeladen". Dabei ist ausgerechnet diese Plattform des App Stores so wichtig, um den unzähligen Menschen, die nur hin und wieder am Handy spielen, die volle Bandbreite der Spielkultur zu demonstrieren und sie nicht etwa zu zensieren. Denn diese Kultur spricht schon lange weitaus mehr Themen an als Knubbel-Wikinger und explodierende Süßigkeiten: Videospiele sind nicht nur unterhaltsam, sondern auch autobiographisch, schwer zu schlucken, frustrierend, in unserer Welt verankert und immer politisch — auch, wenn Apple das nicht begreifen will und damit nicht zuletzt auch immer wieder Entwickler-Teams unrechtmäßig behandelt.

Wir haben den Entwickler um ein Interview gebeten und werden dieses hier einfügen, sobald wir das Gespräch führen konnten.

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