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Ben is back and he’s a beautiful boy

12.02.2019 - 14:55 UhrVor 5 Jahren aktualisiert
Pixabay
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Meine bewusst erlebten Kinojahre häufen sich an und bisher hatte ich es noch nicht erlebt, dass im selben Monat zwei Filme zu einem identischen Thema mit ebenfalls verwechselbaren Charakterkonstellationen in die Kinos kamen.

Immerhin kann ich nach der Sichtung die beiden Filme endlich auseinander halten, vorher haben es mir die B-lastigen Filmtitel erschwert. Ich bin eigentlich nicht so der Fan von Vergleichen, doch hier drängt es sich mir geradezu auf, unter anderem weil „Ben is Back“, den ich zwei Wochen vorher gesehen habe, immer noch so präsent ist. Doch ich möchte den Vergleich positiv nutzen und schauen, was den jeweiligen Film besonders macht und unterscheidet und vor allem welche Quintessenz, welche weiterführenden Fragen wir diesen beiden Dramen entnehmen können.

Es gibt drei Aspekte, die die Filme grundlegend unterscheiden: Dynamik, Form des Dramas (geschlossen oder offen) und Figurenkonstellation (Vater-Sohn oder Mutter-Sohn).

1. Die Dynamik

Beginnen wir mit „Ben is Back“, der eine exponentielle Spannungskurve besitzt. Der Film beginnt sehr langsam und man fragt sich schon fast, wann das Drama beginnt. Und selbst wenn es beginnt, beginnt es noch relativ langsam, überstürzt sich dann auf einmal und saugt den Zuschauer komplett ins Geschehen ein und lässt ihn nicht mehr zu Atmen kommen. Auch zeitlich scheint erstmal das Schlimmste schon überstanden, bevor der Film überhaupt beginnt. Und auch die schlimmen Dinge, die passieren, sind nur eine konsequente Fortsetzung von dem, was wir nicht gesehen haben, was wir höchstens beiläufig erzählt bekommen haben. Wir können den Protagonisten nur durch die Reaktionen seiner Mitmenschen einschätzen, nicht durch das, was wir wirklich gesehen und miterlebt haben. Erst zum Schluss wandelt sich das und wir erleben mit, was die Zukunft prägen wird.

Bei „Beautiful Boy“ herrscht eine gegenteilige Dynamik. Der Film besitzt eine lineare Spannungskurve, die immer wieder von kleinen Up und Downs irritiert wird. Dazu kommt, dass öfters in der Zeit gesprungen wird, vor allem zu Beginn, was ebenfalls irritierend wirkt, da die Kennzeichnung dieser Zeitebenen sehr oberflächlich geschehen muss (sprich in der guten alten Zeit scheint die Sonne, in der doofen Gegenwart regnet es in Strömen) Als Zuschauer erlebt man alle relevanten Stationen mit: Eindrücke aus der Kindheit, die ersten Kontakte mit Drogen, die Überdosen, die Reaktionen der Eltern. Dadurch wird das Verhalten gewissermaßen durchschaubar. Zumindest ich wusste, dass irgendwann der Punkt kommen wird, an dem die Angehörigen aufgeben, nachdem die drölfzigste Chance auf Neuanfang vertan wurde. Ich merkte, dass Nic eigentlich nie die Wahrheit sagte und auch selten im Begriff der vermeintlichen Wahrheit war. Selbst wenn er Einsichten hatte, war klar, dass diese keine Garantien haben. Diese andere Dynamik führt dazu, dass der Zuschauer eine ganz andere Rolle einnimmt. Bei „Ben is Back“ fühlt, leidet und handelt er mit, bei „Beautiful Boy“ beobachtet er.

2. Form des Dramas

Hierbei lasse ich mich von der Theorie von Volker Klotz „Geschlossene und offene Form im Drama“ inspirieren. Ich glaube kaum, dass bei postmodernen Filmen wie diesen eine Dramentheorie 1:1 verwendet werden kann, aber ich fand die Unterscheidung interessant.

Beim geschlossenen Drama werden die Einheiten von Ort, Zeit, Handlung eingehalten. Zudem läuft die Handlung auf einen bestimmten Schluss hin. Diese Form ordne ich „Ben is Back“ zu. Die Handlung erstreckt sich über einen Tag, 24 Stunden. Zudem spielt sich alles am selben Ort, in der heimatlichen Kleinstadt, ab, auch wenn die Atmosphäre der verschiedenen Plätze in diesem Ort sich stark unterscheiden. Es gibt im Großen und Ganzen einen Handlungsstrang. Alles, was abseits geschieht, dient diesem Handlungsstrang und auch wenn Ben und seine Mutter getrennte Wege gehen für eine Zeit, finden ihre beiden Handlungsstränge am Ende zum großen Handlungsstrang wieder zusammen.

Beim offenen Drama hingegen, welches ich dann „Beautiful Boy“ zuordne, gibt es keinen sogenannten roten Faden, das Hauptthema wird aber immer wieder aufgegriffen. Die Einheit von Ort, Zeit, Handlung ist nicht gegeben. Die zeitliche Weite habe ich ja bereits eben erläutert (die Handlung zieht sich über Jahrzehnte, es gibt Zeitsprünge) und auch die Orte werden häufig gewechselt in einer großen Spannbreite (Los Angeles, San Fransisco, New York…) Zudem gibt es keine Exposition, die vermeintliche Anfangsszene gehört eigentlich in den Mittelteil der Handlung. Die Handlung hat wie bereits erwähnt keinen großen Handlungsstrang, sondern besteht aus verschiedenen Handlungssträngen und verschiedenen Episoden, die voneinander abgegrenzt sind.

Diese Unterscheidung zwischen den beiden Filmen ist aber eine rein formale, es ergeben sich keine Vor-oder Nachteile daraus, ob das Drama offen oder geschlossen ist; was man lieber mag, ist reine Geschmackssache.

3. Figurenkonstellation

Der Unterschied, der wahrscheinlich am offensichtlichsten ist, ist die Figurenkonstellation. Bei „Ben is Back“ haben wir eine Mutter und ihr Sohn und bei „Beautiful Boy“ haben wir einen Vater und seinen Sohn. Das restliche Umfeld ist relativ identisch. Die Eltern sind geschieden, die Mutter oder der Vater ist neu verheiratet und hat neue Kinder bekommen, die sehr viel jünger sind und sich äußerlich stark vom Protagonisten unterscheiden. Der Sohn hat aber alle gerne und respektiert den neuen Elternteil. Bei „Beautiful Boy“ hat er zudem noch Kontakt zu seiner leiblichen Mutter, besucht diese (warum, wird nicht ersichtlich) nicht gerne. Wahrscheinlich könnte man noch zwei weitere Filme drehen, bei denen man den Sohn durch die Tochter ersetzt und dann noch Konstellation Mutter-Tochter und Vater-Tochter hat. Dennoch, wenn man sich andere Eltern-Kind-Filme ansieht, ist die Tochter nicht sonderlich beliebt. Ich wittere Potenzial. Ich möchte auch gar nicht zu sehr auf die Beziehungen eingehen, da diese das Herzstück der jeweiligen Filme ausmachen und sehr komplex sind. Die einzige Frage, die ich stelle möchte, ist: Wo hört Liebe auf? Ab wann wird Liebe zu schmerzhaft? Beide Elternteile lieben ihre Kinder kitschig ausgedrückt bedingungslos und beide sind zu weiten Teilen bereit, alles für sie zu tun. Der Vater in „Beautiful Boy“ gibt allerdings scheinbar früher auf. Seine Handlungen und Opferbereitschaft sind ähnlich zu der der Mutter, er fliegt sogar nach New York, weil Nic im Krankenhaus landet und auch er verliert irgendwann das Vertrauen und versucht seinen Sohn zu kontrollieren durch zum Beispiel Drogentests. Dennoch gibt er irgendwann auf. Nicht komplett, denn als es hart auf hart kommt, ist er wieder bedingungslos da. Bens Mutter hingegen gibt nie wirklich auf. Es gibt Momente der krassen Verzweiflung, doch aus denen folgt nur noch mehr Kampf, so sehr, dass es schon hysterisch wird. Warum ist das so?
Ein stereotypischer Schluss könnte sein, dass der Mann mehr Rationalität besitzt als die Mutter, die mal körperlich mit ihrem Kind verbunden war. Sie kann emotional nicht los lassen, er allerdings schon, als er merkt, dass er nichts mehr tun kann. Es kann durchaus sein, dass diese Antwort im Sinne des Filmes richtig ist, aber die Antwort ist eine zu einfache Antwort.
Meine These hingegen wäre, dass wir an den beiden Filmen sehen, wie Menschen damit umgehen, wenn Liebe schmerzhaft wird. Wenn die bedingungslose, biologische Liebe einen zerstört.
Bens Mutter reagiert darauf mit einem teils irrationalen Kampf: Sie bringt sich in Gefahr, sie rennt und fährt herum, sie kämpft bis zuletzt und sie würde auch nicht aufhören damit. Wenn sie aufhören würde, würde der Schmerz sie komplett verschlingen.
Nics Vater hingegen begegnet dem Schmerz damit, dass er sich von ihm verschlingen lässt. Er lässt sich und seine Liebe von ihm verschlingen und tritt heraus als emotional abgestumpfter Mensch. Er hat innerlich für sich entschieden, nicht mehr weiter zu kämpfen, auch weil er seine übrige Liebe lieber den Lebendigen schenken möchte.

Fazit

So sollte also feststellbar sein, dass die sich zuerst sehr ähnlich erscheinenden Filme in gewissen Aspekten stark unterscheiden und das wichtige Thema der Drogensucht von zwei unterschiedlichen Perspektiven aus beleuchten. Mir persönlich hat „Ben is Back“ etwas mehr gefallen, da er mich komplett in seinen dramatischen Bann gezogen und bis aufs Innerste erschüttert hat. „Beautiful Boy“ hat mich emotional nicht so intensiv gepackt, konnte aber seine Schwachstellen durch einen grandiosen Soundtrack und einige sehr ästhetische Szenen einigermaßen ausgleichen.


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