Bloodline - Deshalb lohnt sich der Einstieg in die Netflix-Serie

27.05.2016 - 09:00 UhrVor 8 Jahren aktualisiert
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Bloodline geht heute bei Netflix in seine 2. Staffel. In der Dramaserie muss sich eine Familie mit ihren verwandschaftlichen Altlasten auseinandersetzen. Dem Zuschauer verlangt die Darbietungsform viel ab, doch gerade deshalb lohnt sich der Einstieg.

Netflix veröffentlicht heute die 2. Bloodline-Staffel. Darin geht es um die Rayburns, eine Hotelier-Familie in Florida, die nach der Rückkehr des abtrünnigen Erstgeborenen und Schwarzen Schafes vor eine Zerreißprobe gestellt wird. Es gibt einige Gründe, dieser Serienperle doch noch eine Chance zu geben; fünf davon sind hier aufgeführt. Die geben euch zugleich einen Bauplan der dramatischen Mechanik der Serie an die Hand. Am Anfang steht dabei:

Die von allen guten Geistern verlassene Rayburn-Familie

Die Bloodline, die nackte Abstammungslinie, zwingt die Rayburns, sich überhaupt noch mit dem Problem-Sohn Danny (Ben Mendelsohn) auseinanderzusetzen. Danny, das ist der älteste Sohn der Rayburns, der sich irgendwie immer danebenbenimmt und nun seit Jahren weit entfernt in Miami sein Unwesen treibt: ein Störfaktor, der nur hin und wieder auftaucht wie ein Krokodil aus den Everglades und seinen Blick über die sich ihm darbietende Idylle schweifen lässt. Daran haben sich die Rayburns gerne gewöhnt, an die Abwesenheit des Problems: Freunde kannst du dir aussuchen, Familie eben nicht. Danny ist so ein Bruder, den würde man sich eher nicht aussuchen. Die unliebsame Rückkehr des Stinkstiefels wird zum Gewissenskonflikt.

Danny in Bloodline

"We're not bad people, but we did a bad thing", geißelt sich John Rayburn (Kyle Chandler) in wiederkehrender Rückversicherung selbst. Frei nach dem großen Philosophen F. Gump ist die Ausgangslage der Dramaserie Bloodline damit eigentlich klar: Dumm ist der, der Dummes tut. Ergo ist schlecht, wer Schlechtes tut. Da in der Familie Rayburn jedes Mitglied entweder dumme oder schlechte Dinge tut oder sagt, wird die Ausgangslage zur Ausgangsfrage: Wer ist der, mit Verlaub, Arsch in der Rayburn-Familie? Das ist gar nicht so leicht zu beantworten, denn schlecht geboren wird niemand. Die Ergründung dieser Frage wird für den Zuschauer zu …

… einer echten Herausforderung

Der Unterschied zu anderen Antihelden zeitgenössischer Dramaserien ist der, dass Ben Mendelsohn seinem Charakter Danny und dessen Schlechtigkeit kein charmantes, misanthropisches, moralisches oder schlicht witziges Gegengewicht entgegensetzt, und außerdem nur ein ganz kleiner guter Kern Platz in ihm findet. Danny ist schwer liebzuhaben, höchstens noch von seiner Mutter (Sissy Spacek). Trotzdem wissen wir: Er ist nicht durch und durch schlecht - jedoch zweifellos entsetzlich abstoßend. Selbst unsere in den letzten Jahren hochtrainierten Annahmen von Figurenkonstellationen in Dramaserien stellt das auf eine harte Probe. Unser inzwischen durch komplexe Charakterzeichnungen gut gepoltes moralisches Navigationsgerät mag in Bloodline oft nicht funktionieren. Wohin es uns führt, bleibt bis zum Schluss unklar.

John und Danny in Bloodline

Das ist hochspannend. Die Autoren schieben keinem Charakter ihre Sympathien zu, ersparen sich Parteinahme, überlassen es dem Zuschauer, sich einen Reim auf die eigentümlich handelnden Figuren zu machen und ihnen Zuneigung zu schenken oder eben nicht. Das ist viel verlangt. Der Zuschauer kann daran scheitern oder einfach die Lust an der Serie verlieren. (Eine zehnstündige Aufführung von Tod eines Handlungsreisenden kann dann doch anstrengend werden.) Aber nur mit der falschen Prämisse. Bloodline macht sich nämlich die vielschichtigen erzählerischen Konzepte einer alten literarischen Gattung zunutze. Die des …

… großen amerikanischen Familienromans

Zugänglicher wird Bloodline, wenn man sich der Serie nähert wie einem großen amerikanischen Familienroman, wie er heute etwa noch Jonathan Franzen (Freiheit) geschrieben wird. Die pädagogischen Vergehen von gestern sind darin die Sünden von heute. Schlampen Vater und Mutter bei der Statik, also der Erziehung, stürzt auch das schönste Haus irgendwann zusammen. Im Grunde handelt Bloodline vom Versuch der Familie Rayburn, dies zu verhindern, während es das schwarze Schaf Danny genau darauf abgesehen hat: das Schloss, das seine Tore nicht mehr für ihn öffnet, zu zerstören. Da müssen wir direkt diesen berühmten Tolstoi-Aphorismus bemühen: "Alle glücklichen Familien sind einander ähnlich; aber jede unglückliche Familie ist auf ihre besondere Art unglücklich", schreibt der in Anna Karenina. Auf Bloodline angewandt: Keine Familie ist bei genauer Betrachtung glücklich, sogar nicht in Florida, diesem wunderschönen feuchten sonnigen Flecken Erde. Verkörpert wird die unglückliche Rayburn-Familie von ...

... einem hervorragenden Ensemble

Bei der Beobachtung dieser kleinsten soziologischen Einheit folgt Bloodline keiner schnellen Story, sondern richtet sich ganz nach seinen Figuren aus, was beim Zuschauer eine intensive Beschäftigung mit ihnen voraussetzt. Hervorragende Schauspieler werden dafür gebraucht. Die hat Bloodline. Ben Mendelsohn spielt den Danny abstoßend, streut aber doch ausreichend charakterliche Anknüpfungspunkte, um den angeekelten Zuschauer nicht vollständig auszuschließen. Kyle Chandler beweist (ok, wahrscheinlich nur mir, der Friday Night Lights nicht gesehen hat), dass er mehr ist als nur ein Hollywood-Gesicht mit schön geschwungenen Augenbrauen. Chloë Sevigny vermag es, auch einer Hotpants tragenden White Trash-Braut Würde und Tiefe zu verleihen. Linda Cardellini (Voll daneben, voll im Leben), Sissy Spacek und Sam Shepard spielen ihren Stiefel solide und unaufgeregt runter.

Und über allem: das Paradies

Wenn das alles doch mal zu anstrengend werden sollte, ist da immer noch das sonnige, grünblaue Setting der Florida Keys. Katamarane durchschneiden unverschämt klares Wasser, vor jedem Fenster hängen Netze wegen der Moskitos, die aus den nahen Sümpfen herangeschwirrt kommen, die luftigen Blusen und Hemden sind ständig durchgeschwitzt. Unter Palmen lässt sich das Unglück dann doch besser ertragen. Irgendwann schafft es Bloodline jedoch, auch diese reine Schönheit unheilverkündend aussehen zu lassen. Ein Kunststück, wie die ganze Serie überhaupt.

Werdet ihr Bloodline doch noch eine Chance geben?

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