Crowdfunding: Eine Chance auf bessere Filme? - Teil 2: Lotte

19.06.2016 - 08:50 UhrVor 8 Jahren aktualisiert
LotteMartin Neumeyer
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Heute wollen wir euch im Rahmen unserer Textreihe zu Crowd-finanzierten Filmen die erfolgreiche deutsche Independent-Produktion Lotte von Julius Schultheiß vorstellen. Wir haben uns mit dem Nachwuchs-Regisseur getroffen, um mit ihm über die Möglichkeiten und Chancen unabhängig realisierter Filmprojekte zu sprechen.

Nachdem wir uns im ersten Teil der Textreihe Crowdfunding: Eine Chance auf bessere Filme? bereits intensiv mit schwarmfinanzierten Debütfilmen auseinandergesetzt haben, möchten wir euch nun ein solches Projekt einmal genauer vorstellen: Lotte von Julius Schultheiß.

Man wird ja auch oft gezwungen, am System vorbei zu arbeiten! (Julius Schultheiß)

Junge Filmemacher haben es meist nicht leicht, in der Kreativbranche Fuß zu fassen. Die Konkurrenz ist hoch, der tatsächliche Bedarf an neuen Talenten gering, und zwar aus dem einfachen Grund, dass die finanziellen Mittel zur Nachwuchsförderung in Deutschland ziemlich begrenzt sind. So fällt es Nachwuchs-Filmemachern selbst, wenn sie erfolgreich ein Filmhochschulstudium abgeschlossen haben, häufig sehr schwer, auf sich und ihre Filmideen aufmerksam zu machen - aus der Masse herauszustechen. Da heißt es oft jahrelang für seine Visionen kämpfen, Geduld haben und den Mut nicht verlieren! Viele Talente bleiben dabei (womöglich) auf der Strecke, aber es tun sich auch immer wieder neue, vielversprechende Filmkünstler hervor. Julius Schultheiß ist einer von ihnen. Der aufstrebende Filmemacher aus Marburg konnte mit seinem wahrhaft unabhängig finanzierten und produzierten Filmprojekt Lotte auf der diesjährigen Berlinale  in der Sektion Perspektive Deutsches Kino  glänzen. Wir haben mit ihm ausführlich über seine Arbeit an Lotte gesprochen. Das aufschlussreiche Interview könnt ihr hier lesen! Erst einmal möchten wir euch diesen mutigen Film nun genauer vorstellen.

Lotte

Karin Hanczewski als Lotte

Lotte (Karin Hanczewski) ist nie wirklich erwachsen geworden. Ziellos lässt sich die rüpelhafte Frau durch Berlin treiben und stolpert rauchend und saufend durch die Straßen der Großstadt. Dabei verprellt die Herumtreiberin regelmäßig Liebhaber und Freunde. Schnell wird klar, dass sich Lotte um nichts und niemanden kümmert. Gerne trinkt die freche Krankenschwester mal einen über den Durst und versüßt sich ihren chaotischen Alltag mit einem ordentlichen Vollrausch. Lotte scheint keinerlei größere Ambitionen zu haben, außer, so wenig Verantwortung wie nur irgend möglich für sich selbst und ihre Mitmenschen zu übernehmen. Und damit ist die impulsive Draufgängerin bis jetzt auch immer irgendwie durchgekommen. Doch plötzlich sieht sich Lotte mit ihrer Vergangenheit konfrontiert, und zwar in Fleisch und Blut: Auftritt Greta (Zita Aretz), ihre 15-jährige Tochter, die sie direkt nach ihrer Geburt bei ihrem Vater zurückgelassen hat. Das neugierige Mädchen will einfach nicht lockerlassen und Lotte unbedingt näher kennenlernen, auch wenn die ihr anfangs alles andere als wohlwollend gegenübertritt. Doch ganz langsam scheint es Greta zu gelingen, ihre pampige Mutter für sich zu gewinnen und zu ihr durchzudringen. Zumindest manchmal. Und in wenigen Momenten schimmert gar durch, dass die unnahbare Lotte im Grunde bloß tief verletzt und einsam ist. Aber das soll niemand sehen, auch nicht Greta. Und so spielt Lotte auch weiterhin ihre jahrelange Paraderolle ohne Rücksicht auf Verluste. Ob sie jemals wirklich aus ihren Fehlern lernen, Nähe zulassen und endlich Verantwortung für ihr eigenes Leben übernehmen wird, bleibt am Ende genauso offen wie die Frage, wovor Lotte eigentlich so verzweifelt davonläuft.

Lotte (Karin Hanczewski) und ihre Tochter Greta (Zita Aretz)

Ohne Filmförderung zum Erfolg

Jungregisseur Julius Schultheiß hat mit Lotte einen kühnen Debütfilm vorgelegt, der mit all seinen Ecken und Kanten wunderbar unvollkommen daherkommt. Genau darin liegt nämlich die Stärke dieses Films. Es ging Julius Schultheiß bei Lotte eben nicht um erzählerische Perfektion, sondern vielmehr um den Sprung ins kalte Wasser, in unbekanntes Terrain: einmal radikal sein, eine unkonventionelle Geschichte mit extrem eigenwilligen Figuren erzählen, fernab jeglicher narrativer Konfektionsware. Einmal wahrlich innovativ und originell sein, frei von Rollenklischees und filmischen Erzählkonventionen! Genau das ist dem Absolventen der Kasseler Kunsthochschule mit Lotte gelungen. Doch so extrem unangepasst und trotzig Lotte nun daherkommt, so extrem unabhängig ist der Film auch entstanden. Und genau diesem Umstand gebührt eigentlich am meisten Respekt. Denn Julius Schultheiß hat sein Debütfilmprojekt Lotte größtenteils aus eigener Tasche bezahlt, indem er seinen eigenen Bausparvertrag auf den Kopf gehauen hat. Ein kleinerer Anteil, genauer gesagt der 2. Drehblock des Films, wurde außerdem erfolgreich über eine Crowdfunding-Kampagne  finanziert. Dazu gehört Mut, aber den hatte der Nachwuchs-Filmemacher zum Glück reichlich. Zwangsläufig auch deshalb, weil ihm während der Stoffentwicklung schnell klar wurde, dass Lotte so nie gefördert werden würde:

Der Punkt, an dem ich entschieden habe, Lotte aus eigener Tasche ohne Fördermittel oder gar Sender-Beteiligung zu finanzieren, war sehr früh erreicht. [...] Man braucht für diese Förderanträge einfach einen Produzenten an seiner Seite [den ich nicht hatte], jemanden, der gut vernetzt ist und sich für dich stark macht und mit den Sendern auf Tuchfühlung geht. [...] Anfang 2014 habe ich zwar nochmal in Hessen Förderung beantragt, aber letzten Endes war das verschenkt [...], weil das Drehbuch zu der Zeit auch noch nicht ausgereift genug war. Ganz unabhängig davon hat der Film auch überhaupt keine Struktur, die förderungswürdig wäre. Obwohl ich den Film eigentlich nie als wirklich krass [und radikal] empfunden habe. [...] Aber viele Leute fragen sich wahrscheinlich schon, wo denn eigentlich die Charakterentwicklung der Figur [Lotte] ist. Wann versteht sie denn endlich was? Und vor allem, wo ist das Ende? Also in jeglicher Hinsicht wäre das Projekt so gar nicht zu fördern gewesen. Und das liegt auch daran, dass das Drehbuch nie perfekt war. Das Drehbuch hatte nie mehr als 65 Seiten und da würde natürlich auch jeder [Förderer oder Redakteur] skeptisch sein und fragen: Wie, du willst daraus einen 90 minütigen Spielfilm machen?

Dennoch oder gerade drum ist Lotte letztlich ein wunderbarer Film geworden, wunderbar unangepasst und freigeistig. Und trotzdem funktioniert er gleichzeitig auch dramaturgisch und zieht das Publikum in seinen Bann - gerade weil Julius Schultheiß mit Lotte den Mut hatte, narrativ neue Wege zu gehen und so eine ungewöhnliche Geschichte zu erzählen. Und obwohl Lotte so eine extrem eigensinnige Frau ist, die es kein Stück darauf anlegt, von irgendwem gemocht oder gar geliebt zu werden, gelingt es Karin Hanczewski, der Figur stets auch ein sympathisches Gesicht zu verleihen. Ihr bemerkenswertes Spiel trägt letztlich den gesamten Film. Dank ihr können wir mit Lotte mitfühlen - Karin Hanczewski verleiht Lottes Geschichte Leichtigkeit und Schwere zugleich.

Julius Schultheiß macht mit seinem Debütfilm Lotte Mut, sich von filmischen Stereotypen und narrativen Konventionen zu befreien, Erzählgrenzen zu sprengen und neue Wege im Geschichtenerzählen einzuschlagen - auch, wenn das erstmal sehr viel Kraft und finanzielle Risikobereitschaft fordert. Für ihn hat sich sein großer Einsatz unlängst gelohnt. So arbeitet der Nachwuchs-Filmemacher nun fleißig mit einem Produzenten an Folgeprojekten und darf sich über eine Kinoauswertung seines Debütfilms freuen. Noch dieses Jahr soll Lotte in die deutschen Kinos kommen. Ein genauer Starttermin steht derweil noch nicht fest.

Lest hier unser Interview mit Julius Schultheiß!

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