Das Uhrwerk Orange nimmt dir alle Entscheidungen ab

25.07.2011 - 08:50 Uhr
Aktion Lieblingsfilm: Uhrwerk Orange
Warner Bros./moviepilot
Aktion Lieblingsfilm: Uhrwerk Orange
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Bei der Aktion Lieblingsfilm dürft ihr mit entscheiden, welcher User den schönsten Artikel geschrieben hat. Passend zum Thema erzählt hier ein User von der (Un)Möglichkeit der freien Entscheidung in seinem Lieblingsfilm Uhrwerk Orange.

Hi, hi, hi, meine Brüder! Nach einem erfrischenden Glas Molocko-Plus fühlte sich euer ergebener Erzähler nun dazu geneigt, seinen Zuhörern ein wenig von einer ultrabrutalen Horrorshow namens Uhrwerk Orange zu berichten. Die hat ihm so richtig das Hirn verknotet und ist härter als das ewige Rein-Raus-Spielchen, genüsslicher als jeder Zuckerphallus und aufregender als eine wilde Fahrt mit einem Durango 95 vorbei an den Bäumen in das tiefe Schwarz der Nacht.

Welly, welly, well, alles dreht sich um den Beethovenfan Alex DeLarge, der ganz und gar kein gewöhnlicher Maltschik ist, denn wenn er mit seinen Droogs loszieht, endet das nicht in den üblichen Alkohol- und Drogenexzessen, sondern in Ultrabrutalem, Vergewaltigungen von Dewotschkas und Tollschocks, wonach dem fantastischen Abend mit einem Gläschen Zitzenmilch in der Korova-Milchbar das Krönchen aufgesetzt wird. Bei dieser scheinbar so sinnlosen Gewalt, mit der die vier in den Farben der Unschuld gekleideten Bandenmitglieder ein Menschenleben nach dem anderen ruinieren nur um etwas Spaß zu haben, sollten eurem Erzähler eigentlich rasende, intolerable Schmerzen in den Gulliver schießen, doch das genaue Gegenteil ist der Fall. Unterlegt mit der Neunten des göttlichen Ludwig Van wirkt Stanley Kubricks stilisiertes Haudrauf auf ihn faszinierend, lässt seine Bodyhärchen aufstehen und so zu einem von Alex’ Komplizen werden.

Nicht, dass euer Freund und ergebener Erzähler ein Befürworter des Ultrabrutalen wäre, doch wird hier ein Spielchen mit ihm getrieben, das zur Folge hat, dass in ihm neben der enormen Abscheu für die grauenvollen Taten ein unangenehmes Rauschgefühl entsteht, dem er sich, so seltsam es klingen mag, nur schwer entziehen kann. Schläge in die Eggiwex sind in bester Musicalmanier inszeniert, lauthals wird „Singing in the Rain“ geträllert und dazu getanzt, was die Gewalt so unwirklich und surreal erscheinen lässt, dass sie schon fast als neue Art der Kunst durchgehen könnte. Oh, meine Brüder, es sind Szenen, die wie Spiegel sind, die die innere dunkle Seite eines jeden nach außen kehren, deren Existenz sich vielleicht gar nicht jeder bewusst ist und auch wenn man es sich nicht eingestehen will, sie ist da, righty right?

Die Droogs lassen also so richtig schön die Kuh fliegen. Doch woher kommt all die Lust nach all dem Tschipoke? Die Welt, in der Alex lebt, ist gewiss keine, in der es ihm unmöglich ist, ein erfülltes Leben zu genießen. Er hat seine Kumpanen, seine Musik, Frauen und Eltern, die sich um ihn kümmern. Nur eines fehlt und das ist die freie Verwirklichung seines Selbst, nach dem sich Alex in diesem Spießbürgertum sehnt, woraus er unbedingt ausbrechen möchte. Auf die Spitze getrieben wird dieses Thema natürlich dann, wenn Alex zur Behandlung der Ludovico-Therapie unterzogen wird, nach der er nicht mehr fähig ist, irgendeine moralische Entscheidung zu treffen. Der Staat nimmt ihm diese ab und führt ihn dazu, alles in dessen Sinne Richtige zu tun und ergreift somit jegliche Kontrolle über seine Opfer wie ein Marionettenspieler.

So entpuppt sich auch der wahre Übeltäter, der der Menschheit die Möglichkeit des freien Willens raubt und so zu einem funktionierenden Uhrwerk umprogrammiert, das ganz genau so tickt, wie es eben eingestellt wird. Das ist die wahre Gewalt, welche den einzelnen zwar zu einem Schoßhündchen transformiert, deren Folge es jedoch ist, dass lediglich mehr Gewalt entsteht und nur Opfer und Täter ihre Rollen tauschen. Es sei denn, der Staat manipuliert all seine Bürger auf diese Art, doch kann dann noch von einer lebenden Gemeinschaft gesprochen werden, deren Tun von einem anderen bestimmt wird? Ein System ohne Leid und Schmerz kann in einer Gesellschaft nicht existieren, solange wir Menschen darin involviert sind, denn der Sinn nach Rache und bösen Gelüsten ist in uns allen tief verankert. Maltschiks mit düsteren Gedanken gehören einfach dazu, so wie das Rein zum Raus oder das Plus in das Glas Molocko.

Das ist zwar alles andere als gut, aber immerhin besser, als sich nicht selbstständig für das Gute oder Böse entscheiden zu können. So muss ein Wechsel der Fronten ebenfalls durch den freien Willen und Überzeugung erfolgen, denn die Nebenwirkungen werden heftig sein. Dies verdeutlicht in diesem Beispiel, dass Alex nach seiner Behandlung fortan nicht mehr in der Lage ist seine innig geliebte Neunte des gottesgleichen Ludwig Van zu hören.

Well, nach über zwei Stunden Horrorshow war euer Erzähler einerseits von einem heftigen Gefühl der Euphorie gepackt, da sie ein unvergleichbares Festmahl für seine Glotzies war, doch anderseits konnte er es kaum glauben, von einem Mörder fasziniert zu sein und ihm später sogar noch Mitleid entgegenbringen zu können. Stanley Kubrick zauberte aus Burgess’ Vorlage einen Film auf den Screen, der so wunderbar manipulativ ist wie die Behandlungsmethode, die an Alex ausprobiert wird. Ebenso wie ihm wurde uns durch die perfekte Inszenierung die Entscheidung abgenommen, zu welcher Seite wir uns hingezogen fühlen. Sollte es nach dem Abspann jemanden danach gelüsten, selbst ein Droogy zu werden und mit Alex einen grausamen Rachefeldzug starten zu wollen, dann hat Stanley Kubrick sein Ziel erreicht und alles richtig gemacht, alright?


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