Deutschland 09: Interview mit Tom Tykwer

24.03.2009 - 11:00 Uhr
Tom Tykwer
Jörg Gruber
Tom Tykwer
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Regisseur Tom Tykwer im Gespräch zu seinem Kurzfilm Feierlich reist.

Tom Tykwer (Lola rennt, Das Parfum – Die Geschichte eines Mörders, The International) spricht in einem Interview über Starbucks in Kairo, die Globalisierung im Allgmeinen und wiederkehrende Muster.

Sie schicken Ihren Protagonisten Feierlich auf eine Reise um die Welt in wenigen Tagen. Haben Sie für den Film diese Reise selbst unternommen?
Das war das Wichtigste für mich an dem Projekt, dass wir diese Reise als Team wirklich machen, dass wir einmal um die ganze Welt fliegen, innerhalb von zehn Tagen. Dass wir in diese Städte fliegen, in diese Hotels gehen, mit diesen Limousinen fahren – ohne vorher zu wissen, was man dann wirklich in den Zwischenzonen entdeckt. Es ging darum, diese Erfahrung der ästhetischen, erfahrungsraumhaften Gleichschaltung der Welt zu überprüfen, indem wir das wirklich nachvollziehen.

Das ist für mich ein bisschen wie eine Konzeptkunst-Idee; wie bei Bildern von Thomas Demand, bei denen man weiß, dass das, was man sieht, tatsächlich gebaut und fotografisch festgehalten wurde, bevor Demand es wieder vernichtet hat. Das sind eben keine Fotos, die so manipuliert wurden, dass man hinterher meint, das stimmt schon so; sondern es hat tatsächlich existiert. Wir hätten manche Sachen vielleicht auch im Starbucks hier um die Ecke drehen können, aber wir sind ins Starbucks nach Kairo gegangen. Irgendetwas ist immer anders.

Es geht um ein Bild von Globalisierung, in dem die Unterschiede verschwinden. Die Globalisierungs-Erfahrung, die viele machen, ist eben die, dass man mitnichten versucht, einen kultur-integrativen Erfahrungsraum zu schaffen, sondern dass es stark darum geht, grenzüberschreitende Momente zu nivellieren. D.h. dafür zu sorgen, dass sich jeder überall zuhause fühlen kann, dass es Orte gibt, die überall identisch sind, und man dadurch weniger dem Stress unterliegt, sich in der Kürze der Zeit, die man auf so einer Geschäftsreise hat, an unterschiedliche Orte zu gewöhnen. Ich habe das in meiner persönlichen Lebenswelt erlebt, wenn ich auf Promotion-Tour für einen Film gegangen bin. Wenn so ein Film eine weltweite Vermarktungs-Kampagne durchläuft, wird man selbst zu einem „Asset“ in dieser Kampagne, das sozusagen mit verwertet und durch die Gegend geschickt wird. Und entsprechend wird man behandelt, es gibt Mechanismen, die einen in diesen Lauf der Dinge einbinden und denen man sich etwas schockiert, aber auch fasziniert unterwirft.

Man ist ja neugierig darauf, was für eine Erfahrung das ist. Das heißt in dem Film steckt auch Ihre eigene Erfahrung als Filmemacher?
Feierlich, unser Protagonist, arbeitet in der Modebranche, wo sich an bestimmten Punkten das Industrielle mit dem Kreativen vereinen muss. Und so ist Kino auch, Industrie und Kunst. Aber die Kunst war irgendwann weg. Wenn man als Regisseur als Vermarktungs-Asset um die Welt geschickt wird, wird man in Hotelzimmer gesetzt, die immer gleich sind, wird interviewt, und man macht das zwölf Stunden am Tag, ein paar Wochen lang: Immer an einem anderen Ort, manchmal sogar in einem anderen Kontinent, aber das Hotelzimmer ist mehr oder weniger dasselbe, die Fragen sind dieselben, und die Antworten sind dann natürlich auch irgendwann immer dieselben. Und plötzlich ist das, was man als ein organisches, lebendiges, atmendes und komplexes Wesen betrachtet hat, nämlich seine Kunst, ein Strich-Code, den man wiederholt, den man wiedergibt.

Inwiefern markieren diese “Nicht-Orte”, die die Stationen von Feierlichs Reise markieren, ein Zwischenreich, in dem man sich seines eigenen Lebendig-Seins versichern muss?
Das ist eine zentrale Frage: “Wo verorte ich diese Zustandsbeschreibung: Ich lebe?” Der Film handelt vor allem davon, wie schwer es ist, diesen Ort zu finden. Weil das Ensemble, das um uns herum konstruiert wird, immer mehr darauf ausgerichtet ist, uns dem Ensemble anzupassen statt uns die Unebenheiten entdecken zu lassen. Und verrückterweise, glaube ich, sind wir Menschen durchaus dazu konditioniert, uns diesen Prozessen zu unterwerfen. Da ist auch etwas Lustvolles dran, eine Art von Drogeneffekt. Das ist ein Reflex, den man als Kind schon lernt: ein Muster erkennen und es dann wiederholen können, ist erstmal lustvoll und wird nur auf lange Sicht ein bisschen stupide, wenn dann sozusagen die freien Radikalen fehlen, der störende Stich von der Seite …

Es ist natürlich idiotisch, unser Hauptdarsteller könnte in Kairo oder Hongkong jederzeit einfach um die Ecke gehen und eine völlig neue Erfahrung machen. Aber er hat schon längst Ängste, von denen er nicht weiß, dass sie ihn dominieren: nämlich vor einer Situation zu stehen, die er nicht kennt und in der ihn vielleicht tatsächlich eine gewisse Handlungsunfähigkeit überkommt.

Quelle: Mit Material von Piffl Medien zum Film Deutschland 09 – 13 kurze Filme zur Lage der Nation

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