Die Hexe zwischen Aufklärung und Romantik

21.01.2014 - 08:50 UhrVor 11 Jahren aktualisiert
Häxan
Criterion Collection
Häxan
7
35
Teufel, Untote und künstliche Lebensformen gehören zum festen Figurenrepertoire der Schwarzen Romantik. In dieser fünfteiligen Artikelreihe durchleuchten wir die Beziehung zwischen jener künstlerisch-literarischen Strömung und dem Kino des frühen 20. Jahrhunderts.

Sie braut magische Elixiere im stillen Kämmerlein, trifft sich mit ihresgleichen zu konspirativen Ritualen oder durchstreift auf einem Besen die Lüfte: die Hexe. Im dritten Teil der Artikelreihe wollen wir jener schwarzromantischen Figur und ihrer – im Allgemeinen recht spärlichen – medialen Präsenz im Kino des frühen 20. Jahrhunderts nachspüren. Abermals führt die Exkursion in die nordischen Gefilde Europas, wo abseits der deutschen Stummfilm-Industrie die wohl stärkste Verquickung von Schauerromantik und Bewegtbild existierte. Verantwortlich hierfür waren unter anderem Regiegrößen wie Carl Theodor Dreyer, Victor Sjöström und Benjamin Christensen. Letzterer wagte mit Die Hexe (1922) ein in vielerlei Hinsicht aufregendes Experiment, das darüber hinaus mit kunsthistorischen Bezügen zur Schwarzen Romantik aufwartet.

Die Dialektik der Hexen – Zwischen Aufklärung und Romantik
Zweifelsfrei ist Häxan das wohl unkonventionellste Werk dieser Artikelreihe. Als Hybridwesen siedelt die schwedische Produktion im schwer zu definierenden Niemandsland zwischen Spiel- und Dokumentarfilm – eine wegweisende Verquickung Anfang der 1920er Jahre. Zunächst bereitet ein essayistisches Kapitel den Einstieg ins Geschehen vor. Im ersten Akt kommentiert Regisseur Benjamin Christensen aus der Ich-Perspektive dokumentarisches Bildmaterial unterschiedlicher Quellen, das in den Hexen- und Dämonenglauben früherer Kulturen einführt. Erst mit dem Jahr 1488 setzt die – zugegebenermaßen mitunter nur wenig kohärente, aber umso magischere – Spielhandlung ein. Der Zuschauer wird Zeuge, wie Frauen sprichwörtlich des Teufels Hintern küssen, satanische Rituale auf dem Brocken feiern und die kirchlichen Inquisitoren ihrem gnadenlosen Tagewerk nachgehen. Abschließend springt der Film im siebenten Kapitel ins 20. Jahrhundert und wagt den Versuch, die vermeintlich verräterischen Hexenkennzeichen mittels moderner Psychologie zu deuten. Zeitgeschichtlich überlagert sich dieser Erklärungsansatz mit der aufkeimenden Popularität der Psychoanalyse.

Wie bereits angedeutet, nimmt Häxan in vielfacher Hinsicht eine Sonderstellung ein. Aus einer aufgeklärten, vernunftorientierten Perspektive widmet sich Benjamin Christensen der Geschichte des Hexenglaubens und deklariert diesen – und somit die Hexe per se – gleich zu Beginn als Ausgeburt eines naiven Weltbildes. Hierbei offenbart sich die fruchtbare Ambivalenz des filmischen Ansatzes. Denn trotz des unmissverständlich antiromantischen Grundtenors schwelgt der Regisseur in den Bildwelten der Schauerromantik, die eine metaphysische Atmosphäre voller Angst und Unbehagen forcieren. Bei alledem soll jedoch nicht die Existenz des Übernatürlichen als Faktum etabliert werden. Vielmehr sucht Benjamin Christensen nach visuellen Äquivalenten, um die allgegenwärtige Furcht vor Hexen und Dämonen aus dem subjektiven Blickwinkel seiner Figuren in erschreckenden Bildkompositionen zu manifestieren. Schlussendlich zu diesem Zweck verwertet Christensen wiederholt gängige Themen aus der schwarzromantischen Literatur und Bildkunst, beispielsweise die Visualisierung des Teufels, den rasenden Wahnsinn der Ordensschwestern und die mannigfaltigen, okkulten Praktiken.

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