Empörung über Netflix: Dieser Film soll aus dem Berlinale-Wettbewerb fliegen

13.02.2019 - 20:00 UhrVor 5 Jahren aktualisiert
Elisa & Marcela: Der Netflix-Film läuft im Berlinale-Wettbewerb
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Elisa & Marcela: Der Netflix-Film läuft im Berlinale-Wettbewerb
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Mit der lesbischen Liebesgeschichte Elisa & Marcela läuft ein Netflix-Film im Wettbewerb der Berlinale 2019. Der erzürnt die deutschen Kinobetreiber. Dabei passt der Film ganz hervorragend in den Wettbewerb.

Nur 16 Filme gehen dieses Jahr ins Rennen um den Goldenen Bären und wenn es nach Kinobetreibern ginge, wäre es einer weniger. Das spanische Drama Elisa & Marcela verfolgt ein hehres Ziel, immerhin erzählt er die Geschichte der ersten gleichgeschlechtlichen Ehe in Spanien (im Jahr 1901!). Mit Isabel Coixet führt eine Berlinale-erfahrene Filmemacherin Regie. Inszeniert wird die Geschichte in geschmackvoll romantischem Schwarz-Weiß, beim Sex geht es züchtig zu. Grau ist eine lauwarme Farbe.

Es sind alles Anzeichen eines gewöhnlichen Beitrags im Berlinale-Wettbewerb. Wäre da nicht das aus bunten Strahlen sich zusammensetzende N im Vorspann. Das wurde in der Pressevorführung sogar ausgebuht. Elisa & Marcela wird als einziger Film im Wettbewerb der Berlinale 2019 von dem Streaming-Anbieter Netflix vertrieben, weshalb nun Forderungen laut wurden, den Film aus dem Wettbewerb zu verbannen.

  • 160 unabhängige Kinobetreiber in Deutschland fordern in einem offenen Brief den Ausschluss von Elisa & Marcela aus dem Wettbewerb.
  • Elisa & Marcela schildert hochromantisch die Geschichte einer lesbischen Liebe um 1900.
  • Als Figuren bleiben Elisa und Marcela leidenschaftlich aufgeladene Schablonen, so schwarz-weiß wie ihre kontrastreiche Umgebung.
  • Berlinale 2019 - Alle Artikel zum Festival auf einen Blick

Der Netflix-Film soll aus dem Wettbewerb ausgeschlossen werden

Letztlich dürfte die Aufregung um Netflix der Grund sein, warum Elisa & Marcela in Erinnerung bleiben wird (außer der Film gewinnt - nicht auszuschließen - einen Preis). In dem offenen Brief (PDF ) an Staatsministerin Monika Grütters und Festivaldirektor Dieter Kosslick heißt es:

Wir, die unabhängigen Filmkunstkinobetreiber in Deutschland, sind nicht damit einverstanden, dass im Wettbewerb der Berlinale mit Elisa y Marcela von Isabel Coixet ein Film gezeigt wird, der keine reguläre Auswertung im Kino bekommt, sondern nur auf Netflix zu sehen sein wird. Wir fordern daher, den Beitrag außer Konkurrenz zu zeigen!
Elisa & Marcela

Dabei wird Netflix vorgeworfen, ein "öffentlich gefördertes internationales Kinofilm-Festival als Werbeplattform" zu missbrauchen und gleichzeitig die gängigen Regeln bei der Auswertung von Kinofilmen zu untergraben. So gerät die Berlinale etwas verspätet in einen Konflikt, der Cannes seit Längerem beschäftigt. Dort wurde 2017 Okja im Wettbewerb gezeigt, was zu heftiger Kritik führte.

Ein Jahr später sollte Netflix nur noch außer Konkurrenz laufen, weshalb der Streaming-Dienst seine Filme ganz zurückzog. Stattdessen liefen sie in Venedig, wo der Netflix-Film Roma 2018 den Hauptpreis gewann. Ist Venedig deshalb ein "Fernsehfestival" (Wortlaut aus dem Brief)?

Die sinnvolle Diskussion um die Auswertung von Netflix-Filmen und die Drohung eines Monopols wurde damit nicht beendet. In Sachen "Filmkunst" (was auch immer das genau ist) wurde der Streaming-Dienst durch Roma als Filmproduzent jedoch legitimiert. Bisher hat der Wettbewerb unter den großen Festivals eine gemeinsame Linie in Sachen Netflix verhindert. Der Sieg in Venedig dürfte daran wenig ändern und die Berlinale kann es sich ob des oft mageren Programms nicht leisten, Netflix kategorisch auszuschließen.

Die Aufregung jedenfalls, so zumindest mein Eindruck, kommt zu spät. Netflix ist bei den Festivals angekommen, auch weil große Autorenfilmer wie Martin Scorsese dem Dienst ihren Segen gegeben haben.

Elisa & Marcela

Ausgehend von der Qualität hat Elisa & Marcela eigentlich nichts im Wettbewerb der Berlinale zu suchen. Andererseits liegt die Latte des letzten Kosslick-Jahrgangs so niedrig, dass einen gar nichts mehr verwundert. Erzählt wird eine beinahe unglaubliche, wahre Geschichte. 1901 verkleidet sich Elisa (Natalia de Molina) als Mario, um ihre geliebte Marcela (Greta Fernández) vor einem Priester zu ehelichen. Die Liebe der beiden Frauen ist in Spanien und anderswo verpönt und schon bald kommen die Behörden den beiden auf die Schliche.

Elisa & Marcela passt perfekt in den Berlinale-Wettbewerb

Zwei verzweifelt Liebende allein gegen Staat und erzkonservative Gesellschaft - das ist der Stoff aus dem gute Filme gemacht sein könnten. In Elisa & Marcela gelingt dies allerdings nicht. Ausgerechnet die dramatischen Passagen des Lebens von Elisa und Marcela gehören zu den schwächsten des Films.

Vor den Persönlichkeiten der beiden bewundernswerten Heldinnen hält das Drehbuch von Isabel Coixet (Das geheime Leben der Worte) und Narciso de Gabriel einen Sicherheitsabstand. Beide erscheinen wie undurchdringliche historische Größen, einzig charakterisiert durch jene Liebe, die ihnen einen Wikipedia-Eintrag verschafft hat.

Elisa & Marcela

Dafür entfacht Elisa & Marcela im Kennen- und Liebenlernen der beiden angehenden Lehrerinnen eine einnehmende überbordende Romantik. Wir kommen Elisa und Marcela kaum näher, ihre Liebe allerdings überwältigt den Film. Klaviernoten überschwemmen die Tonspur, als die Hände der beiden über Spitze und Korsett streichen und sie ihrer Sehnsucht endlich nachgeben können.

Leidenschaftliche Briefzeilen steigen in den Nachthimmel und Marcelas großes Gesicht liest weit über den Bergen Spaniens daraus vor. Was die beiden allen Widrigkeiten, allen schweren Opfern zum Trotz zusammenhält, wird in dieser überhitzten Phase des Films entblößt. Wenn es nichts zu erzählen gibt außer die Liebe, kommt Elisa & Marcela - wie seine Heldinnen - zu sich.

Mit Einschreiten der misstrauischen Nachbarn, der männlichen Grobiane und schließlich von Religion und Gesetz, geht dem Netflix-Film die Energie abhanden. Der Sturm und Drang der lesbischen Liebe erlahmt unter den Mühen, die Stationen ihres Kampfes abzuhaken. Es ist ein enttäuschender Film, der sich auf seiner wahren Geschichte ausruht, ohne wie seine Heldinnen höher und weiter zu streben. Er passt hervorragend in den Wettbewerb dieser Berlinale.

Was haltet ihr von der Diskussion um Netflix bei Filmfestivals?

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