Erdbeerfelder, Kannibalen und mein Herz

26.08.2013 - 19:01 Uhr
Christoph Schlingensief
Christoph Schlingensief
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Dieser moviepilot-User wählte einen Lieblingsstar, der gleichermaßen für seine Aktionskunst, wie seine surrealistischen Filme und Theaterstücke bekannt war. Hier widmet er ihm, Christoph Schlingensief Gedichte, Prosa und E-Mails.

Sommer 96

Jedes Stück,
jede Aufführung,
jede Vorstellung.
So viele Freunde mitreinschleifen
wie möglich,
auf dem Weg
von der Volksbühne zum Prater,
wir waren heiser vom Schreien,
und ich hatte Tränen in den Augen,
weil ich mich so sauwohl gefühlt habe:

“Die einfachste surrealistische Tat besteht darin, mit Revolvern in den Fäusten auf die Straße zu gehen und blindlings, solange man kann, in die Menge zu schießen.
Wer nicht wenigstens einmal im Leben Lust gehabt hat, auf diese Weise mit dem derzeit bestehenden elenden Prinzip der Erniedrigung und Verdummung aufzuräumen – der gehört eindeutig selbst in diese Menge und hat den Wanst ständig in Schußhöhe.”

- André Breton, Zweites Manifest des Surrealismus. 1930

…da muss ich jetzt gerade an Dich denken. Und grinsen.

24.04.2003 – Donnerstag:
Das letzte Mal hab ich Dich in Berlin
“Schnittstellen von Gewalt
in Horrorfilmen 1963 – 1991”
getroffen. Sicher
genau der Richtige Ort für ein letztes Treffen.
Zwischen zwei Vorträgen,
die ich nicht verstanden hab.
Ich hab Dir nicht erzählt,
dass ich einen Sohn habe.
Demian.

Es war auch kaum Zeit.
Erzähl ich Dir das nächste Mal,
hab ich gedacht.
Aber es war schön, Dich noch einmal zu sehen.

1. November 2005:

lieber robert,
dani hat mir deine mailadressew gegeben !
ich sitze gerade am bett bei meinem vater und versuche ihn zu peppeln…
dani erzählte mir kurz von dir und ich möcht das angebliche zitat von ernst jünger auch meinem vater zurufen,
doch der hat da gar keine sinne für…
also rufe ich es dir zu !!!

FUN IST EIN STAHLBAD !
und stahlbäder haben keine rollen !
das siegfriedsblatt soll dich schützen !!!

herzlichen gruß,
dein christoph

Sommer 92:
Tagebucheintrag:

“Ich war heute Abend mit Max in Kreuzberg im Kino und bin mir nicht so richtig im Klaren, was ich damit Anfangen soll.
Wir saßen auf irgendwelchen Holzbänken und am Boden waren Sägespäne (???), wie im Zirkus.
“Terror 2000” klang halt geil, aber das Kino war schon echt speziell und ich hab keine Ahnung, was ich da gesehen habe.
Im Gegensatz zu Max fand ich den Film glaube ich echt gut. Aber so genau kann ich das nicht sagen.
Ganz schön schräges Zeug. Gute Nacht, Cindy."

10. November 2005:
Lieber Robi,

Du hast am Telefon gesagt, dass ich Christoph von Dir grüßen soll und
ihn nach Deiner Geschichte fragen soll. Da ich ihn aber selten sehe,
habe ich ihm eine Mail geschrieben und von Dir erzählt. Ich habe ihn
gebeten, Dir etwas Aufmunterndes zu schreiben.
Er hat es tatsächlich gemacht.
Na Robi, was sagst Du nun ???
Deine verschmitzt lächelnde Dani
P.S.: Wenn Du die Mail von Christoph verstanden hast, könntest Du mich
ja mal aufklären.

1975:

In diesem Jahr verfilmte der damals 14-jährige Christoph Schlingensief rund um Mühlheim einen Roman von Dan Shocker (Jürgen Grasmück)
mit dem unheilvollen Titel: Das Totenhaus der Lady Florence. Die bisher einzige Verfilmung eines Larry-Brent-Romanes.Ich wurde ein Jahr später im Mai in Berlin geboren.

Dezember 1987:

Als ich ungefähr 11 war, bekam ich zu Weihnachten in der Schule beim Julklapp eine Hörspielkassette geschenkt,
mit dem unheilvoller Titel:

Die Irrfahrt der Skelette – von Dan Shocker

Ich musste die Kassette mit meinen Eltern zusammen im Wohnzimmer anhören.
Wenn ich mich recht erinnere, sind sie dabei eingeschlafen.
Ich jedoch hatte einen neuen Helden: Larry Brent (X-Ray 3) von der PSA, der Psychoanalytischen Spezialabteilung David Gallans
(X-Ray 1).

Ich sammelte natürlich alle Kassetten.
Dass es von der 7. Folge bereits eine Verfilmung gab,
erfuhr ich erst 15 Jahre später.

Heute, 13.08.2013:

Es ist gar nicht notwendig, alles aufzuschreiben, was mir gerade durch den Kopf geht.
Du hast die Kunst und Filmwelt gerockt wie kein Zweiter und es war immer schön, mal dabei zu sein, oder Dich auch einfach oft aus der Ferne zu beobachten. Wir haben uns nie wirklich kennengelernt, uns aber immer mal wieder getroffen.

Ich habe einen ganzen Haufen Menschen mit Deinen Filmen in Berührung gebracht.
Einige hat´s voll erwischt.
Andere sind schreien weggelaufen.
Das hat immer Spaß gemacht.

Vielleicht klingt das blöd, aber ich hatte in meiner Kindheit den gleichen Helden wie Du, nur eben 14 Jahre später.
Und später noch dann, warst Du einer meiner Helden.
Und dann einfach eine Art fremder Freund.

Die Zeit hat über Dich geschrieben.
Ein Haufen Kulturmagazine auch. Ich hab keinen Nachruf gelesen.
Ich hab mich dann auch kaum an Gesprächen beteiligt, egal ob die Leute gutes oder schlechtes über Dich gesagt haben.
Ich hab mich mit Dir als Künstler nicht mehr viel beschäftigt. Das haben andere zur Genüge.
Ich les gern in den paar Büchern, die ich von Dir habe. Aber ich habe keines ganz gelesen.
Ich denke gerne an Dich, so wie ich Dich kennengelernt habe:
Schreiend und schwitzend auf der Bühne. Verzweifelt, getrieben und brüllend.
Politik war für Dich nicht wählen gehen, nicht Demokratie, sondern Krieg und Poesie.
Da hat dann ein Schauspieler Angst vor Dir bekommen.
Du hast ihn umarmt. Ich glaube, der wusste nicht was kommt.
Und hast ihm gesagt, dass Du ihn lieb hast.

Kein Scheiß.

zum 21.8.2010:

so schön wie hier
wird’s wohl nicht mehr
ist ein wenig öder geworden
für mich

Deine letzte Chance
2000 am Sunset Boulevard
Terror im Himmel
trotz Egomania Sylvester
Countdowning vor Tunguska
in Afrika auf Raumpatroille Wagner
Massaker in Mutters Maske
wir schießen Dich mit Werner von Braun ins All
100 Jahre Leoparden küsst man nicht
und wie oft haben wir Viva Maria gesehen

nicht oft genug, mein Lieber

Als ich nach einer Aufführung
geweint habe, hat mir
Dani ihren Ring geschenkt,
der mich daran erinnern soll,
dass ich mit all dem Kram,
den ich gemacht habe,
immerhin sie berührt habe.

Immerhin hast Du mich berührt.

Für Christoph von Robert

PS: Jetzt bist Du jedenfalls schlauer, alter Katholik. ; )


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