Ernst und Zauselbart - Superheldenkino à la Nolan

07.08.2013 - 08:50 UhrVor 10 Jahren aktualisiert
Wolverine: Weg des Kriegers
20th Century Fox
Wolverine: Weg des Kriegers
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Statt an Vereinfachung und Realitätsflucht gemahnen Comicverfilmungen oft nur noch an eine vermeintliche Ernsthaftigkeit, laut der Superhelden mit Zauselbart ihr Schicksal demonstrativ vor sich hertragen müssen. Und wehe einer von ihnen ist schwul!

Zu den irrtümlich besonderen Vorzügen jüngerer Superheldenfilme, so zumindest will es ein bestimmter Zuschauerkanon, zählt deren betonte Ernsthaftigkeit. Über die beinahe bleierne Schwere eines schlicht nicht mehr so bunten, so vergnüglichen, so ausgelassenen Comickinos ist gleichermaßen viel geschrieben wie gejubelt worden. Maßgeblich dazu beigetragen haben, natürlich, die Batman-Filme von Christopher Nolan, die sich unter enormem Zuspruch des Publikums entschieden vom Studiopomp und der Camp-Ästhetik vergangener Adaptionen lossagten. Ihnen war alles Unbekümmerte restlos ausgetrieben, nicht im Spielerischen, nicht einmal im bittersüßen Eskapismus wollte diese auf der Leinwand neue Interpretation den dunklen Ritter verstanden wissen, sondern dessen Heldentum stattdessen auf eine existenzialistische Krise zurückführen.

So präsentierten die drei Batman-Filme von Christopher Nolan das Heldwerden und Heldsein unter dezidiertem Humor- und Ironieverzicht, aber umso gewichtiger: Bruce Wayne als verloderter Strafgefangener, der im ostasiatischen Exil zum Ninja werden und sich endlich auch seinem kindlichen Fledermaustrauma stellen muss (Batman Begins). Der es in einem von permanenter Angst und Unsicherheit bestimmten Gotham City mit Gegnern aufnehmen muss, die weniger physikalische Gesetze, als vielmehr eine gesellschaftliche Ordnung überwinden. Und dessen Rolle eines Superhelden sich, zwischen dem Verlust der Privatsphäre (The Dark Knight) oder globalem Börsenterror (The Dark Knight Rises), in einem ganz realen Diskurs über Recht und Unrecht neu tarieren muss. Ein allumfassendes Müssen des Comicheros eben, dessen unbedingte Bedeutsamkeit nur mit Panzern und Pauken zu vermitteln ist. In einer auf Realismus, Tiefgang und Schwere geeichten Inszenierung, die keineswegs mit quietschfidelem Entertainment verwechselt werden will.

Diese Annäherung, der so entschieden ernste Nolan-Einschlag, ist aus dem gegenwärtigen Superheldenkino kaum noch wegzudenken. Das gilt insbesondere für das bereits zum unfreiwillig komischen Klischee geronnene Motiv des Superhelden als ziellos durch Wald und Wiesen wandernden Verweigerers des eigenen Schicksals. So zeichneten nicht nur die jüngsten Batman-Filme ihre Titelfigur merklich heruntergekommen zwischen philosophischer Quest und weinerlicher Initiation, sondern auch der Nolan-produzierte Man of Steel von Zack Snyder. Im Missverständnis einer augenscheinlich von demütigem Ernst geprägten Berührung mit dem Helden, der nicht mehr Held, sondern normal, gewöhnlich, bodenständig sein möchte, muss Superman darin erst die irdischen Pfade der Selbstsuche beschreiten, ehe er in der zynischsten Zerstörungsorgie des Kinojahres ganz Metropolis in Schutt und Asche legt: Mit Zauselbart und Holzfällerhemd streift er durch die Lande, bejammert die eigenen Kräfte, träumt vom Menschsein.

Die neue Ernsthaftigkeit des Superheldencomickinos erfordert eben auch den Rückzug in die Markigkeit, in einer prahlerischen Poesie des Stählernen, die erst seriös gebrochen und dann majestätisch bestätigt werden muss. Diese Bestätigung, zumindest im zelebrierten, aber gleichfalls witzbefreiten Spektakel, verlagert Wolverine: Weg des Kriegers gleich ganz in das Hadern mit sich selbst: Das Heldsein hat bei ihm auch auf dem siegreichen Höhepunkt einen noch tristeren Beigeschmack als bei Christopher Nolan. Genau wie Batman und Superman muss Wolverine, eine Figur aus dem Marvel- und nicht dem DC-Universum, als betont gezeichneter Einsiedlerkrebs durch ländliches Gestrüpp ziehen. Diese Zottelversion eines Superhelden aber negiert die eigenen Fähigkeiten sogar noch im Schlussakt: Ohne fremde Hilfe kann Wolverine nicht einmal einen greisen Mad Scientist bezwingen, und ganz generell scheinen die ausgestellten Schwächen all der nicht mehr nur empfindsamen, sondern geradezu nörgelig-unzufriedenen Übermenschen bzw. Mutanten vergessen machen zu wollen, es überhaupt noch mit Comicstoffen zu tun zu haben: Deren Job kann ja, wenn schon Realismus und betonte Schwere, dann eigentlich auch wer anders übernehmen.

Gegen so viel (Selbst-)Beschäftigung mit der geschundenen Superheldenseele, der eigenen Männlichkeit und Willenstärke, können etwaige Innovationen, und seien sie noch so theoretisch, natürlich nichts ausrichten. Bezeichnend, welche mitunter hasserfüllten Abwehreflexe die Neuigkeit (offenbar) provozierte, Andrew Garfield könne sich für die Fortsetzung von The Amazing Spider-Man eine Liebesbeziehung zwischen Peter Parker und einem anderen Mann vorstellen. „Was, wenn Mary Jane ein Typ wäre?“, ließ er gegenüber den Produzenten verlautbaren, ja, „warum sollte er nicht schwul sein?“. Aus einer zum Teil auch witzelnden Bemerkung entfachte sich ein Shitstorm im Internet, der sich ebenso auf der Facebook-Seite von moviepilot nachvollziehen lässt. In ihm kam, nicht selten unter Rückgriff auf schlimmste homophobe Ressentiments, ein massives Unverständnis für die Idee zum Ausdruck – ganz so, als könne es schlicht nichts Schlimmeres als einen homosexuellen Spider-Man geben. Und wahrscheinlich kann es das, ganz besonders im Zeitalter der markigen, ungeheuer wichtigen und ernsthaften Filme über Superhelden, auch tatsächlich nicht. Wohl nicht einmal in einer Bärenvariante mit Zauselbart und Holzfällerhemd.

Schade eigentlich.


Als Mr. Vincent Vega polemisiert sich Rajko Burchardt seit Jahren durch die virtuelle Filmlandschaft. Wenn er nicht gerade auf moviepilot seine Filmecke pflegt, bloggt Rajko unter anderem für die 5 Filmfreunde und sammelt Filmkritiken auf From Beyond. Die Spielwiese des Bayerischen Rundfunks nannte ihn “einen der bekanntesten Entertainment-Blogger Deutschlands”.

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