Pirat zu sein ist eine tolle Sache. Weil man in der Karibik rumschippert, ist jeder Tag Sommer, an Land gibt es viele wunderschöne Damen, Unmengen Wassermelonen und Papayas und wenn die Pflicht ruft, muss man sich mit bösen Voodoozauber herumschlagen, um an den begehrten Schatz zu gelangen, den man dann auch gleich wieder im Sand verbuddelt. Natürlich nicht ohne das berühmte X auf die Karte zu setzen.
“Mein Name ist Guybrush Threepwood und ich möchte ein mächtiger Pirat werden.” Dieser Satz aus dem Spiel “Monkey Island” hat meine Kindheit geprägt. Ich hatte nämlich zwei Nachbarn, die 10 Jahre älter waren als ich. Und weil ich als Kind eine Menge Zeit hatte und größere Jungs immer cool sind, lief ich oft rüber um zu nerven. Wegen der guten Nachbarschaft konnten sie mich allerdings nicht bei einem meiner vielen Besuche einfach hinauswerfen. Schließlich wäre ich dann heulend zu meiner Mama gerannt, die wiederum bei deren Mama gepetzt hätte, was den beiden wohl nicht gut getan hätte. Also kamen sie auf einen verwegenen Plan und parkten mich, wann immer ich mal da war, einfach vor ihrem Rechner. Absolutes Highlight ihrer Spielesammlung war das Spiel “Monkey Island”. Mit Knacksound-Soundtrack, schwindelerregender Amiga-Grafik und unlösbaren Rätseln, machte das Spiel alles aus, was das Piratenleben für mich damals darstellte.
Da echte Erwachsene recht langweilig waren und immer nur über Geld, Arbeit und Rechnungen nachdachten, wollte ich viel lieber Seeräuber werden. Ein Leben voller Freiheit, die Sonne scheint unentwegt, es ist auch jede Nacht Vollmond und überall herrscht ein mystischer Schein von Voodoozauber und Rätseln. Ich und meine Kumpels haben auch mal ein Floß gebaut, um auf unserem nahegelegenen Fluss auf große Kaperfahrt zu gehen, jedoch sanken unsere zusammengebundenen Bretter schon gleich bei der Jungfernfahrt. Davon unbeeindruckt spielten wir auch immer Piraten, sobald wir mal am Strand waren. Wir dachten uns Geschichten aus von verborgenen Schätzen, alten Flüchen, Kannibalen, Meerjungfrauen, holden Insulanerschönheiten, die es zu retten galt, und wenn immer es an Land ging, also zu unseren Müttern mit den Picknickkörben, verwandelten sich normale Speisen in allerlei exotisches. Und so wurde der Apfelsaft schnell zum Grog umbenannt, auch wenn wir damals keine Ahnung hatten, was ein Grog sein soll.
Es kam jedoch, wie es kommen musste. Ich wurde älter und die Kindheit geriet immer mehr in Vergessenheit. 2003 hatte ich meine erste Freundin und die Prioritäten wechselten von Seeräubern hin zu… ähm… anderen Sachen.
Da man im Kino gut knutschen kann und ungestört von den Blicken der Erwachsenen ist, ging es im Sommer in einen Film, von dem ich mir nichts versprach und den ich auch eher für einen Kinderfilm hielt, da das Disneylogo recht deutlich auf dem Plakat prangte. Als er jedoch anfing war die Freundin vergessen. Auch alles andere um mich herum. Der Film war GENAU das was ich mir immer unter Piratsein vorgestellt und nachgespielt hatte. Ich fühlte mich schlagartig wieder wie mit sechs Jahren. Ich wollte nicht nur Jack sein, für zwei Stunden WAR ich Jack, verdammt noch mal. Jeder Witz saß, jeder romantische Moment war wunderschön, jeder Schwertkampf nervenzerreißend, jeder Geist unheimlich und alles war genau richtig. Es heißt, man geht ins Kino, um seine Sorgen zu vergessen und in eine andere Welt hineinzutauchen. Über diesen Satz kann man nun diskutieren, aber bei diesem einen Film in dieser einen Vorstellung traf es genau auf mich zu. Ich war nicht im Kino, ich befand mich in der Karibik, konnte die Sonne auf meinem Gesicht spüren und die Wellen rauschen hören.
Einen Wermutstropfen hat die Sache allerdings. Anscheinend war ich wohl nicht der einzige Pirat im Kino. Auf einmal fing jeder an, Jacks torkelnden Gang zu imitieren, auf den Heften von Schulmädel klebte ein Gesicht des Captains, Reisen in die Karibik waren der Renner und Disney nutzte den Hype für eine weltumfassende Marketingkampagne. Und so hatten viele recht schnell die Schnauze voll, überall von Piraten angegrinst zu werden. Dieser Hype ist es wohl auch, was vielen auf die Nerven geht, wenn man den Filmtitel auch nur erwähnt.
Schade, ist mir aber trotzdem egal, dafür finde ich den Film einfach viel zu gut, um etwas auf Gerede von anderen zu geben. Natürlich guck ich mir den Film heutzutage ganz normal an. Ich freu mich zwar, ich werde auch immer noch köstlich unterhalten, aber so eine große Gefühlsaufwallung ist es nicht mehr. An sich nicht weiter schlimm, ich liebe den Film und mag die Fortsetzungen, außer vielleicht Teil 3.
Mit 16 ist man ja leider schon aus dem Alter raus, in dem Filme eine unglaubliche Sogwirkung versprühen. Filme toll finden? Ja klar, aber heutzutage hüpfe ich nicht mehr auf dem Sofa herum, wenn Marty McFly Gitarre spielt. Ich verstecke mich auch nicht mehr unter der Decke, wenn ein Alien im Bild zu sehen ist. Manchmal vermisse ich das, diese Kinderaugen, mit denen man Filme gesehen hat und jeden Effekt geglaubt hat, egal wie schlecht er ist. Fluch der Karibik hat bei mir jedoch genau das bewirkt und schafft es teilweise noch immer. Auch wenn die Story nicht wirklich hart ist, ich krallte mich in den Kinositz, wenn die Geisterpiraten auftauchten und es fehlte nicht viel, und ich hätte Elizabeth Swan oder Jack Sparrow lauthals angefeuert. Dies wäre dann nicht nur mein bester Kinobesuch gewesen, sondern wahrscheinlich auch der peinlichste geworden. Wie dem auch sei, sowas hat kein Film Jahre davor und auch keiner seitdem je wieder bei mir geschafft, und darum ist Fluch der Karibik einer meiner absoluten Lieblingsfilme. Und nun weiß ich auch, was Grog ist, also, trinkt aus Piraten, yoho!
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