Henry Hübchen, 1947 in Berlin-Charlottenburg geboren, avancierte nach seinem Studium an der Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch Berlin (und einem nicht abgeschlossenen Studium der Physik an der HU Berlin) zu einem der gefragtesten Schauspieler der DDR. Nach der Wende konnte er seine Karriere nahtlos fortsetzen. Er erhielt (u. a.) die Lola als bester Hauptdarsteller für seine Rolle in Alles auf Zucker!. Hier spricht er ausführlich über seinen Rolle in Whisky mit Wodka, sein Verhältnis zur Figur Otto Kullberb und Regisseur Andreas Dresen.
Was war Ihre erste Reaktion, als man Ihnen Whisky mit Wodka anbot?
Mein erster Gedanke war: Wie wunderbar, ein Angebot von Andreas Dresen zu bekommen, den ich als Regisseur so schätze! Ich mag seine Filme, deren Humor und die Konsequenz, mit der er seine Geschichten erzählt. Insofern war mir das Drehbuch erst mal egal. Natürlich interessiert mich auch das Thema eines Films, das Buch, die Figur, die man mir anbietet – aber entscheidender finde ich, mit wem ich arbeite. Ich bin kein Alleinunterhalter. Film ist immer ein Mannschaftsspiel.
Und wie war Ihr Eindruck, nachdem Sie das Drehbuch gelesen hatten?
Wir Schauspieler sind ja inzwischen dieses Fernsehproduktionsniveau gewöhnt: Du schwimmst in einem Wasser, das zwar dreckig ist, aber du lebst weiter. Ich weiß, das ist eine unzulässige Pauschalisierung, es gibt auch eine Reihe von Lichtblicken. Doch du bist schon froh, wenn du ein Drehbuch bekommst, das diesen Namen verdient. In diesem Fall war aber sofort klar: Da ist wirklich nachgedacht worden; das lese ich von Anfang bis Ende gerne. So etwas passiert mir selten. Wolfgang Kohlhaase ist natürlich ein wahrer Drehbuchautor. Auf den ersten Blick wirkt Whisky mit Wodka wie eine Geschichte über die Filmbranche. Doch dann merkt man plötzlich: Das ist gar nicht das eigentliche Thema.
Sondern? Worum geht es?
Ums Versagen: Wie weit ist die Gesellschaft bereit zu akzeptieren, dass jemand mal versagen kann, ohne ihn sofort abzuschreiben? Um Einsamkeit. Um die verpassten Chancen im Leben. Um Menschen, die die richtige Gelegenheit nicht genutzt haben. Menschen, die keine Verantwortung übernehmen wollten und erst viel zu spät merken, was sie versäumt haben – und dass sie es jetzt nicht mehr richten können. Das hat etwas Trauriges, ist aber mit Witz erzählt. Eine Geschichte mit melancholischem Grundton.
Otto, Ihre Filmfigur, ist auch so jemand, der sich vor Verantwortung immer gedrückt hat.
Ja. Ein einsamer Mann. Ein Schauspieler, der seinen Beruf nicht von acht bis 17 Uhr ausübt: Der Beruf ist sein Leben. Das eigentliche Leben, das andere Leben neben dem Beruf, das kennt er gar nicht. Er hat Affären gehabt, auch tiefere Beziehungen – aber die haben alle nicht lange gehalten. Jetzt steht er alleine da, ohne Familie, ohne Kinder. Das passiert eben, wenn man an den entscheidenden Stellen im Leben keine Verantwortung übernimmt. Otto hätte das machen können, früher, mit Bettina vielleicht. Jetzt ist es zu spät. Dann verliert er seinen Vater. Den Vater, der ihm dieselbe Frage gestellt hat, die er sich selbst auch stellt: „Wer bin ich?“ Seinem Vater konnte er zumindest sagen: „Du bist mein Vater.“ Aber sich selbst kann er die Frage schon gar nicht mehr beantworten.
Fühlen Sie sich dieser Figur verbunden? Oder ist sie Ihnen eher fremd?
Die Figur ist von Beruf Schauspieler. Ich bin auch Schauspieler – das Metier ist mir also ganz nahe. Aber das war’s dann schon fast mit den Gemeinsamkeiten: Ansonsten hat diese Figur erst einmal nichts mit mir zu tun. Erstens gehöre ich nicht zu der extrovertierten Sorte von Populärdarstellern wie Otto – diese Mittelpunktstypen, die überall gucken müssen, ob sie auch gesehen werden, und denen es ganz wichtig ist, vom Publikum geliebt zu werden. Und zweitens bin ich kein Trinker. Die Alkoholsucht liegt mir total fern. Ich trinke vielleicht mal in Gesellschaft ein Glas Wein, aber der Gedanke, Probleme wegzutrinken, kam mir noch nie. Mit eigenen Trinker-Erfahrungen kann ich also nicht aufwarten. Insofern hatte ich großen Respekt vor der Rolle, weil sie äußerlich weit weg von mir war. Aber nicht das Eigentliche der Figur: Die Traurigkeit. Die nicht zu beantwortende Frage: Wer bin ich? Die falschen Entscheidungen, die vielleicht gar nicht so falsch waren. Die man sich aber nicht wirklich schönreden kann, weil man mit ständigen Zweifeln auf seinem dicken Hintern sitzt und sich nicht bewegt. Andere müssen einen bewegen.
Und wie haben Sie sich der Figur dann angenähert?
Wie gesagt: Das Letztere ist mir sehr nahe. Und den einen oder anderen Trinkerfreund habe ich ja in meiner Nähe. Ich hatte nur Angst, die Besoffenheit zu groß zu spielen, zu übertreiben. Darum habe ich mir zum Beispiel den Film Der Trinker mit Harald Juhnke angeguckt. Dann habe ich aber gemerkt: Ich muss bei mir bleiben – und mich daran erinnern, wie meine Trinkerfreunde sich verhalten.
Hatten Sie beim Dreh die Möglichkeit zu improvisieren?
Nein. Anfangs dachte ich noch, man könnte hier und da probieren, eine Szene vielleicht zu bereichern oder intensiver zu machen. Aber dann merkte ich sehr schnell: Die Dialoge sind so genau geschrieben, das ist ein so klares und stringentes und durchdachtes Drehbuch, dass es schwächer würde durch jedes zusätzliche Wort und jeden zusätzlichen Schlenker. Ich habe noch nie so viele Regieanweisungen in einem Drehbuch so bewusst befolgt wie hier. So eine Arbeitsweise würde man natürlich bei einem Andreas Dresen -Film erst mal nicht erwarten. Aber das zeichnet ihn als Regisseur ja auch aus: dass er eben nicht jedes Thema nach 08/15-Muster runterrattert, sondern für jede Geschichte eine eigene Vision hat. Darum macht er dann auch so unterschiedliche Filme wie Wolke 9 und Whisky mit Wodka.
Wie haben Sie ihn bei den Dreharbeiten erlebt?
Als einen liebevollen, lustigen Mann, der ernsthaft und mit großer Leidenschaft an einem Stoff arbeitet. Er beschäftigt sich intensiv mit der Geschichte und dem Drehbuch und ist extrem gut vorbereitet. Wir haben immer versucht, den Szenen auf den Grund zu kommen. Was uns natürlich nicht immer gelungen ist, aber wir haben es versucht. Gleichzeitig ist er aber beim Drehen überhaupt nicht verkrampft, sondern läuft mit einer gewissen Selbstironie durch die Gegend. Diese Mischung aus Ernsthaftigkeit und Lockerheit hat mir sehr gefallen.
Und wie war die Zusammenarbeit mit Corinna Harfouch?
Ich habe mit ihr schon mehrmals gedreht und Theater gespielt – und wir sind privat befreundet, weil wir längere Zeit in Berlin fast Tür an Tür gewohnt haben. Diese private Nähe hilft natürlich, wenn man am Set in den Rollen eine Vertrautheit herstellen muss. Mir macht es auch Spaß, mit Corinna Vertrautheit herzustellen.
In seiner Generalabrechnung beim Bergfest sagt Otto über die Arbeit des Filmschauspielers: „Man sitzt rum und wartet, und dann hält man auf Zuruf sein nacktes Gesicht hin.“ Deckt sich das mit Ihren eigenen Erfahrungen?
Ja. Wir Schauspieler sind ja Ausführende und Instrum ent zugleich. Das macht uns besonders verletzlich. Wir arbeiten mit Emotionen – da ist man immer mit seiner ganzen Person und seinem ganzen Körper angreifbar. Wenn ein Film schlecht ist, können sich alle Beteiligten wegducken, weil sie nicht zu sehen sind – nur der Schauspieler nicht. Dabei bin ich als Darsteller kein Entscheidungsträger. Ich entscheide weder über die Besetzung noch über die Dialoge oder über den Schnitt. Ich bin letztlich nicht einmal für meine Rolle verantwortlich, denn ich kann sie nicht allein bewältigen – ich brauche das Team. Ich nehme also teil an Projekten, die ich gar nicht selbst bestimme. Insofern bin ich nur der unmündige Frontmann. Im Falle eines Erfolges aber habe ich den Film natürlich alleine gemacht, und alles hing von mir ab!
Was ist für Sie das Besondere an Whisky mit Wodka?
Die verschiedenen Ebenen: zum einen die historische Film-im-Film-Geschichte mit einem Mann zwischen zwei Frauen, zum anderen die heutige Geschichte über Mann-Frau-Beziehungen und Einsamkeit und verpasstes Leben. Sie zeigt, wie schwer wir es uns machen, zueinander zu finden; wie wir nicht aufeinander eingehen, sondern aus Angst Wände aufbauen. Es gibt ein schönes Bild dafür im Film, eine Nachtszene: die Wohnwagensiedlung der Filmleute, wo alle in so kleinen erleuchteten Kästen leben, jeder für sich. Manchmal klopft jemand an eine Tür, es wird aufgemacht oder nicht. Man möchte im Kino lachen, weinen, träumen und und schlucken. Und all das kann man hier!
Mit Material von Senator Film.
Whisky mit Wodka startet am 3. September in den deutschen Kinos.