Reality-TV ist oberflächlich und unterkomplex. Zwei valide Gründe, warum ich mich in meiner Vergangenheit wenig mit Reality-Formaten beschäftigt habe. Neben der ein oder anderen Staffel des Dschungelcamps oder Big Brother als Jugendsünde, habe ich das Genre gemieden. Doch Love Is Blind: Germany soll anders sein. Das Konzept der Dating-Show soll die Oberflächlichkeit beim Kennenlernen aufbrechen. Dazu ist das die erste deutsche Staffel einer erfolgreichen internationalen Produktion. Warum also nicht der Show eine Chance geben?
Worum geht es eigentlich bei Love is Blind?
Love Is Blind: Germany ist der deutsche Ableger der gleichnamigen US-Show. In der Dating-Show versuchen Singles zueinander zu finden, ohne sich zu sehen. In sogenannten Pods lernen sich die Kandidat:innen untereinander kennen, obwohl eine Trennwand verhindert, dass jeder den jeweils anderen sieht. Wenn die Chemie stimmt, macht der Mann den Antrag und die beiden dürfen sich zum ersten Mal sehen. Einen Monat später wird geheiratet – ja, ihr habt richtig gehört: geheiratet.
Doch fangen wir von vorne an: Das Moderatorenteam erklärt kurz zu Beginn das Format und die Regeln und schon gehen die Speed-Dates los. Irritiert und beeindruckt bin ich von der Ausstattung. Die Pods werden in goldrotes Licht getaucht. Sie sehen von innen luxuriös, sehr willkommen heißend, wenn auch künstlich aus. Doch die Kameraschwenks über die Pods und den langen Gang kippen die Atmosphäre regelmäßig ins Klaustrophobische. Dann erinnert das Ganze an eine andere Netflix-Show, die für Pärchen selten gut endet: Squid Game.
1. Folge: Für eine Verlobung wird nicht lange gefackelt
Das wichtigste Element in den ersten Shows sind die Dates. Die Frauen kommen mir hierbei wesentlich reflektierter und entschlossener als die Männer vor. So erzählt Kandidatin Hanni zum Beispiel, dass sie beim Dating immer auf ihr Äußeres reduziert wird und sich daher viel von der Datingshow erhofft. Bei den Männern sieht das ganz anders aus. Die brillieren durch Unreife und gekünsteltes Interesse, was in mir wiederum ungeahnte Fremdscham auslöst.
Besonders unangenehm war mir Ilias, der sich bei seinem Date mit Hanni schlagfertiger und witziger gibt als bei Alina, bei der er sich als ernst und einfühlsam präsentiert. Mir ist nicht klar, wer Ilias ist oder wer er vorgibt zu sein, während Alina und Hanni authentisch wirken. Aber wahrscheinlich ist es diese Diskrepanz zwischen den Männern und mir, die mir die Frage aufzwingt, wie ich mich in dieser Situation verhalten würde. Würde ich auf simplen Smalltalk setzen oder mich auch trauen, mein Innerstes vor wildfremden Menschen (und Kameras) auszubreiten?
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Die bereits erwähnte Hanni trifft mit ihrem sonnigen Gemüt auf Daniel, der es schafft, sie mit lockeren Sprüchen zum Lachen zu bringen. Daniel teilt als Unternehmensberater dieselben Ambitionen wie Immobilienmaklerin Hanni. Zwischen den beiden geht es nach vier Dates dann sehr schnell. Als es nach ca. 45 Minuten zum ersten Antrag kommt, war ich dann doch ziemlich perplex. Ich konnte mir in diesem Moment einfach nicht vorstellen, dass die Paare in dieser Show wirklich heiraten sollen. Die große Zusammenkunft der beiden hat sich die Show aber für die zweite Folge aufgehoben. Durch den Cliffhanger schaue ich zähneknirschend gleich die nächste Folge.
2. Folge: So langsam könnte die Show mehr Drama gebrauchen
Mit jeder Folge kristallisieren sich die Paare mehr heraus, die sich am Ende wohl verloben werden. Am meisten sympathisiere ich mit Shella und Pascal, deren Chemie, aber auch Probleme authentisch und nachvollziehbar wirken. Pascal ist nicht nur introvertiert und wirkt nachdenklich, sondern hat auch Probleme seine Gefühle gegenüber Shella zu zeigen. Shella wirkt empathisch und emotional intelligent, vor allem wenn sie über die Wichtigkeit von Offenheit und Vertrauen in der Beziehung spricht – und über falsches Vertrauen aus früheren Beziehungen.
Sie ist sich aber nicht wirklich sicher, ob Pascal es ernst mit ihr meint. Erst als Pascal ihr in einem Brief seine wahren Gefühle zeigt, merkt Shella, woran sie bei ihm ist. Natürlich freue ich mich für die beiden, doch für die Netflix-Show hätte ich gerne mehr Drama. Ich fange an zu verstehen, dass der Reiz an Reality-TV nicht Kuschel-Vibes und das Glück der Kandidat:innen sind, sondern die Streitereien und Intrigen untereinander – und ich will mehr davon!
3. Folge: Selbst Gott kann diesem Paar nicht mehr helfen
Konfliktreich wird es erst in der dritten Folge zwischen Medina und Sally. Medina wirkt für mich wie der sympathische Typ auf der Party, der jeden zum Lachen bringt. Sally findet seine Art auch charmant, doch zusammen finden sie nur durch ihre gemeinsame Bindung zu Gott. Ich glaube, dass Sally ihre Religion ein wenig ernster nimmt als Medina, immerhin gibt sie einige Bibelverse zum Besten und erkennt Gottes Zeichen in der Beziehung.
Als die beiden, nach Medinas Antrag, aufeinandertreffen, ist die Stimmung greifbar unangenehm. Der erste Kuss ist zaghaft und als sie zusammen sitzen, schauen die beiden verlegen zu Boden. Nachdem die beiden sich wieder trennen, verlässt Sally das Set – zur Überraschung von Medina. Was ist hier gerade passiert?
Konnte Medina die Situation nicht händeln und war zu überwältigt von dem Antrag? War Sally zu überfordert von Medinas Auftreten? Oder ist sie nicht bereit für die Verpflichtung zur Ehe, besonders wenn man ihren Glauben bedenkt? Die Show wirft viele Fragen auf, aber lässt mich in einem der spannendsten Momente damit allein, denn die beiden kommen vorerst nicht mehr vor.
4. Folge: Kommt es auf Kreta schon zum ersten Betrug?
In der letzten Folge geht es dann endlich raus aus den Pods und für die Paare auf Kreta. Die Kameraschwenks der langen Gänge weichen ausladenden Drohnenshots über die luxuriösen Hotelanlagen der Insel, in denen die Kandidat:innen ab sofort ihre Zeit verbringen. Dort erwartet mich dann auch das ersehnte Drama: Ilias, der von Hanni einen Korb bekommen hat, trifft dort das erste Mal auf sie und lässt seine Verlobte Alina spüren, dass sie augenscheinlich nur seine zweite Wahl ist.
Das größte Spektakel hebt sich die Show aber hauptsächlich für die nächsten Folgen auf und die vierte Folge fungiert eher als langer Teaser. Zu diesem Zeitpunkt hätte ich dann doch gerne mehr gesehen, gerade weil mein Lieblingspaar Pascal und Shella in der Folge zu kurz kommen.
Love is Blind-Fazit: Auch oberflächliche Dialoge können unterhaltsam sein
Nach vier Folgen ist mein erstes Date mit Love is Blind: Germany vorbei. Ich komme zum Ergebnis: Reality TV ist immer noch oberflächlich und unterkomplex, aber ich hadere weniger damit. Die Dates verliefen trotz Trennwand überwiegend oberflächlich, aber was soll ich auch erwarten von einem Format, bei dem man sich nach vier Dates schon verloben soll?
Tatsächlich gehe ich überrascht aus dem Love is Blind-Binge hervor. Die Show hat mich wider Erwarten gepackt und immer wieder ertappe ich mich beim Ratespiel, ob sich die Paare nicht nur optisch anziehend finden, sondern auch, welche Paare am Ende heiraten werden. Ich verstehe nun den Reiz am Drama und der Unterhaltung, Menschen dabei zuzusehen, wie sie sich unter erschwerten Bedingungen kennenlernen und miteinander klarkommen müssen. Ein etwas anderes Squid Game – statt Maschinengewehren gibt es Small Talk und Bibelzitate.
Prinzipiell finde ich es nicht verwerflich, sich an der Oberflächlichkeit anderer Menschen zu ergötzen und genau das bietet Love is Blind: Germany, wenn auch in den ersten vier Folgen einige Paare zu kurz kommen und sich die größten Konflikte für die nächsten Folgen aufgespart wurden. Die Hauptsache ist, niemand kommt zu Schaden. Es muss ja nicht immer alles hohe Kunst sein.