Natural Born Killers & der wahrgewordene Alptraum

01.06.2011 - 18:50 Uhr
Natural Born Killers
Warner Bros. Pictures
Natural Born Killers
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Oliver Stone ist nicht jedermanns Sache, erst recht nicht sein Film Natural Born Killers. Für mich völlig unverständlich … mich hat dieser radikale Film jahrelang nicht losgelassen.

Immer wieder muss ich mich fragen lassen, warum Natural Born Killers von Oliver Stone zu meinen Lieblingsfilmen zählt. Da zieht ein junges Paar der weißen Unterschicht (Woody Harrelson und Juliette Lewis) mordend durchs Land, verfolgt von einem sensationslüsternen Journalisten (Robert Downey Jr.) und einem mordenden Polizisten (Tom Sizemore). Sie werden weltweit gefeiert für ihre Morde, weil sie sich perfekt in Szene setzen, immer einen Zeugen zurücklassen, der von ihnen berichten kann. Aus dem Gefängnis kommen sie durch eine blutige Revolte frei, ermorden den Journalisten vor der Kamera, die Welt schaut zu und sie reisen dann – Achtung: Happy End – friedfertig durchs Land. So weit so gut.

Die Geschichte selbst sagt wenig aus über den Bilderrausch, der den Zuschauer erwartet … und der ist es, der mich für Jahre in den Bann gezogen hat. Dabei ist es eine Hassliebe, die mich Natural Born Killers nicht vergessen lässt. Es war im Sommer 1994, in irgendeinem Kino am Rande von San Francisco. Es war ein heißer Nachmittag, ich saß fast allein im kühlen Saal, wollte mein schlechtes Englisch etwas auffrischen … und dann das. Ein gewaltiger Bilderrausch: Zeichentrick und Pop-Art, Schwarzweißbilder und Sitcom-Elemente, Collagen und Clips, TV- und Wrestlingshows, Gewalt und Sex vermischten sich zu einem beißenden Kommentar auf die mir so fremde Welt da draußen.

Dieser Film ist ein Holzhammer. Er schlägt brachial auf dich ein, immer wieder und wieder, lässt dich nicht mehr los, hält seinen moralinen Finger in eine große klaffende Wunde … und wird selbst zu einer.

Dieser Film ist ein Feuerwerk. Rastlos und dynamisch frisst er alles an Bildern und Mythen auf, die sich ihm bieten. Bonnie und Clyde, der Regenwald, Stalin, Indianer, Scarface, Missbrauch, Hitler, Mutterliebe. Er frisst und frisst … und irgendwann ist da nur noch Leere.

Dieser Film ist ein Alptraum. Er zeigt uns, wie die Medienwelt uns eine Wirklichkeit vorgaukelt. Eine Wirklichkeit, in der sie selbst zum Täter wird und die immer schneller und wilder werden muss, weil wir uns unser Adrenalin aus ihren medial inszenierten Skandalen holen. Der Film hält uns einen Spiegel vors Gesicht, ist ein wahrgewordener Alptraum, er schlägt uns ins Gesicht … und hat selbst eine zerschlagende Fratze.

Dieser Film ist radikal. Wir werden bombardiert mit einer Bilderflut, welche auf die gesellschaftliche Realität abhebt, die zu einem wesentlichen Teil aus populärkulturellen Bildern besteht – Werbung, Videoclips, Reality-Shows. Der Film arbeitet sie als Teil der Realität in die filmische Erzählung ein. Hintergrund ist die allgemeine mediale Präsenz der Bilder durch das Fernsehen. Das Verhalten im Fernsehzeitalter, der Gestus des Zappens, des episodenhaften Schauens wird konsequent zum Erzählprinzip. Bilder, so schnell und so viel wie möglich, umgeben den Zuschauer. Der Film kritisiert die Gewalttätigkeit in unserer Welt … und ist genau das, was er kritisieren will.

Wie kann ich einen Film lieben, den ich für all das, was und wie er es zeigt, gleichzeitig verabscheue? Der mich mit seinem Holzhammer fast erschlägt? Indem ich ihn gesehen habe, übrigens mehrfach, mich mit ihm immer wieder auseinandersetzte, habe ich meine Leidenschaft für die Bilder, für das Kino entdeckt. An ihm habe ich mich abgearbeitet, bin erwachsen geworden für die Welt, konnte mich nicht bequem im Sessel zurücklehnen.
Dafür liebt mein Kopf diesen Film, mein Herz und mein Bauch lieben ganz andere.


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