Vorwürfe gegen Star Wars-Serie sind Unsinn: Warum Obi-Wan Kenobi den Kanon nicht zerstört hat

04.07.2022 - 09:35 UhrVor 3 Jahren aktualisiert
Darth Vader im Obi-Wan Kenobi-FinaleDisney
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Die Disney+-Serie Obi-Wan Kenobi sorgt mit vermeintlichen Brüchen der Star Wars-Geschichte für Diskussionen. Wir erklären, warum die Vorwürfe Unsinn sind.

Egal mit wem ihr in den letzten Wochen über Obi-Wan Kenobi gesprochen habt, irgendwann ist bestimmt dieses mystische Wort gefallen: Kanon. Seit Folge 1 hält sich die Behauptung, Obi-Wan würde den Star Wars-Kanon brechen . In der Serie trifft der von Ewan McGregor gespielte Jedi auf die jüngere Versionen der Figuren Leia Organa und Darth Vader. Damit wirbelt er – scheinbar (!) – die heilige Star Wars-Saga durcheinander. Die Szenen sorgten für Verwunderung, teilweise auch Ärger bei eingefleischten Fans. Ich hatte auch so meine Probleme mit Obi-Wan, aber die Kanon-Diskussion ist einfach Unsinn.

Lasst uns da mal genauer reinschauen und die beiden größten Kanon-Vorwürfe an die Obi-Wan-Serie durchgehen. Aber vorher ...

Was ist der Star Wars-Kanon überhaupt?

Der Star Wars-Kanon beschreibt das geltende, angesammelte Wissen über die Welt, in der sich Figuren wie Han Solo, Leia Organa, Luke Skywalker und Obi-Wan Kenobi bewegen. Er wurde von Star Wars-Erfinder George Lucas eingeführt.

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Nach dem Kauf der Marke durch Disney verlor der Kanon an Wert, ist aber immer noch eine Art Franchise-Gesetz, etwas Unbewegliches, auf das sich Publikum und Autor:innen einigen. Der Millennium Falcon ist laut Kanon zum Beispiel grau und nicht rot und Chewbacca ist zottelig und trägt keine Dauerwelle. Abweichungen sind erlaubt, aber wenn ein Star Wars-Film etwas ändert, muss er das logisch vom bestehenden Wissen ausgehend erklären.

Kanon-Brüche in Obi-Wan-Serie: Was ist dran?

Obi-Wan war von Natur aus anfällig, von der Franchise-Bibel abzuweichen. Die Disney+-Serie spielt genau zwischen den zwei alten Trilogien, sie berührt das Ur-Star Wars genauso wie das Prequel-Star Wars. Wir wissen, was mit den drei Hauptfiguren Obi-Wan, Darth Vader/Anakin Skywalker und Leia Organa vor und nach der Serie passiert. Was sie gesagt, getan und gefühlt haben und was ihre Motivationen waren. Wir sprechen über teilweise jahrzehntealtes, empfindliches Wissen.

Eine ungeschickte Serie hätte sich hier verhalten wie ein Elefant in einem Porzellanladen. Doch Obi-Wan ist vieles, aber ganz sicher keine ungeschickte Serie, zumindest nicht in Kanon-Dingen.

Kanon-Streitpunkt 1: Obi-Wan und Darth Vader haben sich zwischen Star Wars: Episode 3 und 4 nie getroffen

Die Beziehung zwischen Darth Vader (Hayden Christensen) und Obi-Wan steht im Zentrum der Serie. Da die beiden Ex-Freunde sich nicht nur aus der Ferne wütend anschweigen, ist allein diese Tatsache auf den ersten Blick ein Kanon-Bruch.

Denn als in Krieg der Sterne (oder Star Wars: Episode 4) der Millennium Falcon auf dem Todesstern landet, sagt Darth Vader, "Ich fühle etwas, eine Präsenz, die ich lange nicht mehr ..." Mit der "Präsenz" meint er seinen ehemaligen Lehrer Obi-Wan und bezieht sich wohl auf deren brutale Trennung in Rache der Sith. In der Obi-Wan-Serie liefert sich das ehemalige Padawan-Meister-Gespann dann aber mehrere Duelle. Sie trafen sich also zwischendurch doch wieder.

Kanon-Bruch ja oder nein? Vader beendet den Satz nicht, wir wissen also nicht, seit wann er die Präsenz von Obi-Wan nicht mehr gespürt hat. Zwischen dem Kampf in der letzten Obi-Wan-Episode und dem Todesstern-Moment oben sind etwa 9 Jahre vergangen. Eine lange Zeit. Da Vader den Zeitraum offen lässt, konnte die Serie beliebig in der Timeline agieren.

Das trifft auch auf den nächsten prominenten Vorwurf an die Beziehung zwischen Obi-Wan und Darth Vader zu. In Episode 4 treffen Sith und Jedi im Todesstern aufeinander. Mit viel Pathos begrüßt Vader Obi-Wan: "Endlich begegnen wir uns wieder, der Kreis schließt sich. Als ich euch verließ, war ich euer Schüler. Jetzt bin ich der Meister."

Kanon-Bruch ja oder nein? Nein. Als Anakin/Vader Obi-Wan verließ, war er der Schüler. Von "sehen" oder "kämpfen" ist in Episode 4 nicht die Rede. Obi-Wan-Regisseurin Deborah Chow und ihr Team konnten auch hier den Kanon frei interpretieren.

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Anklagen wie diese gibt es etliche. Und ich finde sie ehrlich gesagt ziemlich kleinlich. Abgesehen davon lassen sämtliche Beispiele  den Autor:innen ausreichend Auslegungsspielraum.

Kommen wir zu ...

Kanon-Streitpunkt 2: Leia und Obi-Wan kannten sich vor Star Wars: Episode 4 nicht

Ebenfalls in Star Wars: Episode 4 schickt Leia als erwachsene Frau via R2-D2 einen Hilferuf an Obi-Wan. Darin erwähnt sie lediglich die Beziehung des Jedi zu ihrem Vater, mit dem er in den Klonkriegen gekämpft habe. Kein Wort von ihrem gemeinsamen Abenteuer in der Serie.

Kanon-Bruch ja oder nein? Nein. Wenngleich die Korrektur hier durchaus bemüht wirkt. Aber: In ihrer letzten Episode erklärt die Star Wars-Serie, warum Leia ihren Freund in der Nachricht nicht wie einen Fremden behandelt. Obi-Wan warnt Leia, dass sie, wenn sie jemals wieder seine Hilfe braucht, vorsichtig sein muss. "Niemand darf es wissen." Alle mir bekannten Kanon-Bruch-Vorwürfe im Leia-Bereich beziehen sich auf diese formelle Nachricht. Der Dialog entkräftet sie und verleiht überdies dem Hilferuf in Episode 4 zusätzlichen, emotionalen Nachdruck.

Warum vertraut Leia am Anfang von Episode 4 Obi-Wan überhaupt die wichtige Mission an? Eben weil die Serie ein starkes Vertrauensverhältnis zwischen den beiden etabliert.

Obi-Wan bricht den Kanon nicht mehr als jede andere Star Wars-Produktion

Um das mal klarzustellen: Es lässt sich nicht daran rütteln, dass lange wohl eher kein Obi-Wan-Vader-Treffen zwischen Episode 3 und Episode 4 vorgesehen war. Auch, dass Leia (Vivien Lyra Blair) und Obi-Wan sich früher schon kannten, hatte George Lucas in Star Wars: Episode 4 eher nicht im Kopf.

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Die Obi-Wan-Serie biegt sich den Kanon an vielen Stellen zurecht, um beliebte Figuren früher zusammenzuführen als wir bislang dachten. Aber das allein ist noch kein "Verbrechen" – sondern normale Kreativ-Arbeit, die einfach notwendig ist, wenn man einem alten Franchise voller Mythologie etwas Neues hinzufügen will. Wer das tut, schlängelt sich zwangsläufig durch ein Minenfeld. Obi-Wan ist damit keineswegs alleine. Blicken wir zurück, sehen wir, dass das Beugen der Kanon-Kontinuität eine gern gepflegte Star Wars-Tradition ist.

  • Als George Lucas ins Skript von Star Wars: Episode 4 schrieb, Darth Vader habe Luke Skywalkers Vater getötet, hat er das genauso gemeint. Und nicht etwa metaphorisch, wie später behauptet. So aber war einer der besten Twists der Blockbuster-Geschichte möglich. Die Obi-Wan-Serie setzt mit dem finalen Dialog zwischen Anakin und seinem Meister übrigens einen zusätzlichen stabilisierenden Pfeiler unter dieses wackelige Gerüst.
  • Dass Luke und Leia Geschwister sind, wusste wohl niemand , als die beiden sich in Star Wars: Episode 5 küssen und zuvor eine mögliche Romanze angedeutet wurde.
  • Und dass Leia Darth Vaders Tochter ist, spürte dieser in Episode 4 übrigens auch nicht.
  • Und es ist schon interessant, dass Leia sich an ihre Mutter Padmé erinnert, obwohl die bei ihrer Geburt starb .

Das alles waren sinnvolle Kanon-Interpretationen, weil sie die Star Wars-Mythologie bereicherten und wichtige Handlungsstränge erst ermöglichten. Wer einen unangetasteten Star Wars-Kanon verlangt, der kann die Skywalker-Saga eigentlich nicht genießen.

Es stimmt, eine in sich zusammenhängende, kontinuierliche Franchise-Mythologie ist nichts wert, wenn neue Autor:innen bestehendes Wissen sorglos missachten. Das aber tun die Obi-Wan-Macher:innen gar nicht. Im Gegenteil. Obi-Wan ist ein hervorragendes Beispiel dafür, wie Franchise-Beiträge den Star Wars-Kanon neu interpretieren und sogar aufwerten können.

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