Die Academy hat was gegen Blockbuster. Zumindest liegt dieser Schluss nahe, wenn man einen Blick auf die Übereinstimmung zwischen Oscar-Nominierten in der Kategorie Bester Film und Box-Office-Hits der letzten Jahre wirft. Tatsächlich stimmen die Geschmäcker der Wahlberechtigten und die des Publikums nur selten überein. So spielt mit Star Wars: Episode VII - Das Erwachen der Macht der mit Abstand größte Blockbuster der letzten Jahre bei den Oscars wieder nur eine Nebenrolle. Und trotzdem könnte dieses Jahr eine Ausnahme für die Blockbuster sein. Mit The Revenant - Der Rückkehrer, Der Marsianer - Rettet Mark Watney und Mad Max: Fury Road sind in diesem Jahr gleich drei Kassenschlager in der Kategorie Bester Film nominiert. Bekommen Blockbuster bei den Oscars etwa neuen Schwung?
Mehr: Wie wird der Beste Film eigentlich gewählt?
In der Vergangenheit hatten es populäre Action-Abenteuer und Genre-Blockbuster nicht gerade leicht, bei den Academy Awards abzuräumen. Die Oscars seien für „anspruchsvolle“ Filme reserviert, heißt es oft, also für Filme, die emotionale Tiefe haben und eine wichtige Botschaft transportieren. Es geht dabei aber vor allem um eines: Prestige. Doch muss ein Blockbuster, nur weil er viel Geld einnimmt und oft teuer produziert wird, zwingend eindimensional und nur auf den kleinsten gemeinsamen Nenner aus sein? Nein! Auch erfolgreiche Filme können intelligent, originell, gehaltvoll und handwerklich auf höchstem Niveau sein. Und dennoch schaffen es auch von Kritikern gelobte Blockbuster-Filme wie The Dark Knight, Star Wars: Episode VII oder Iron Man nicht in die Top-Kategorie.
Schafft es dann doch einmal ein Blockbuster unter die Nominierten der Kategorie Bester Film, muss er sich meistens viel kleineren und nicht unbedingt deutlich besseren Filmen geschlagen geben. So verlor der wegweisende Auftakt der
Star Wars-Reihe Krieg der Sterne 1978 gegen Woody Allens Der Stadtneurotiker, obwohl beide Filme laut der Kritikerbewertung von Rotten
Tomatoes mit 94% und 98% fast gleich gut abschnitten. Auch Jäger des verlorenen Schatzes kam 1982 nicht gegen das fast unbekannte
Sportlerdrama Die Stunde des Siegers an und Tödliches Kommando - The Hurt Locker gewann 2010 vor
dem technisch bahnbrechenden Avatar. Im Fall von Indiana Jones
dürften nicht nur die Massen an Zuschauern enttäuscht gewesen sein,
da der Film laut Rotten Tomatoes mit 96% auch bei den Kritikern
besser ankam als Die Stunde des Siegers (83% ).
Mittlerweile ist es sogar schon wieder sechs Jahre her, dass ein Film,
der weltweit mehr als 300 Millionen US-Dollar einspielte, den
begehrten Filmpreis als Bester Film mit nach Hause nahm. 2011 gewann
mit The King's Speech zwar ein ziemlich erfolgreicher Film, die
wirklichen Blockbuster des Jahres, Toy Story 3 und Inception, gingen trotz positiver Kritiken leer aus.
Blockbuster haben wohl eine Chance
Ganz so düster wie auf den ersten Blick sieht es für die Blockbuster bei den Oscars aber auch nicht aus. Rechnet man die Inflationsraten in die Einspielergebnisse mit ein, wie es Box Office Mojo tut, haben immerhin noch ein Viertel der Top 20 erfolgreichsten Filme aller Zeiten einen Oscar als Bester Film gewonnen. Zu den größten Box-Office-Hits unter den Oscar-Gewinnern zählen demnach Der Clou (1974), Ben Hur (1960), Titanic (1998), Meine Lieder, meine Träume (1966), und Casablanca (1944). Auch wenn man sich nur die letzten 25 Jahre anschaut, hat die Academy doch einige Blockbuster mit einem Best Picture Award gewürdigt: Neben Titanic haben es zum Beispiel auch Forrest Gump (1995), Gladiator (2001) und Der Herr der Ringe: Die Rückkehr des Königs (2002) geschafft, die alle weltweit mehr als 450 Millionen US-Dollar einnahmen. Stimmt die Vorstellung, dass die Academy keine Blockbuster auszeichnet, vielleicht gar nicht?
Die Academy hat nicht grundsätzlich etwas gegen populäre Filme. Schaut man sich allerdings die fünf Oscargewinner unter den Top 20 der erfolgreichsten Filme (inflationsbereinigt) genauer an, sieht man schnell, dass sich unter den großen Kino- und Oscar-Hits mehr Dramen befinden als bahnbrechende Science-Fiction- oder Action-Blockbuster. Die Filme, die heute die Massen in die Kinos locken, sind andere als noch vor 25 oder mehr Jahren. Mit den fantastischen technischen Möglichkeiten des Filmemachens gehört das Kino immer mehr den Eventfilmen, deren Spezialeffekte, Animationen, Stunts und epische Soundtracks auf der großen Leinwand oder noch besser im IMAX erst richtig zur Geltung kommen. Ein Grund für die wenigen Kassen-Hits unter den Oscar-Gewinnern in der Kategorie Bester Film ist also nicht nur eine Abneigung der Academy gegen Mainstream-Unterhaltung sondern auch der veränderte Geschmack der Kinogänger.
Neue Regeln, neues Glück
Dass die Schere zwischen den Vorlieben der Oscar-Wähler und denen der Zuschauer immer mehr auseinander geht, ist natürlich auch nicht im Interesse der Academy. So hat die Oscar-Verleihung selbst seit Jahren mit abnehmenden Zuschauerzahlen zu kämpfen. Um populäreren Filmen bessere Chancen zu geben und vielleicht auch wieder mehr Zuschauer für die Übertragung der Veranstaltung zu gewinnen, änderte die Academy 2009 und 2011 die Regeln für die Nominierungen in der Kategorie Bester Spielfilm. Heute dürfen in dieser Kategorie bis zu 10 Filmen nominiert werden, müssen aber nicht. Geholfen hat diese Regeländerung allerdings nicht. Die Zuschauerzahlen sinken weiter und statt mehr populären Filmen in der Hauptkategorie sind die vereinten Einnahmen der Nominierten für den Besten Film laut Hollywood Reporter in den letzten Jahren sogar stetig gesunken. Dazu kommt die anhaltende Kritik aus den eigenen Reihen, wo sich über die „Verwässerung“ und den „Prestige-Verlust“ des Filmpreises aufgeregt wird. Tatsächlich überlegt die Academybereits die Anzahl der Best-Picture -Nominierten wieder auf 5 zu beschränken und das Experiment damit als gescheitert zu erklären.
In diesem Jahr können die Blockbuster allerdings noch von den „offeneren“ Oscar-Regeln profitieren und mit drei Blockbustern unter den acht Nominierungen stehen die Chancen gar nicht mal so schlecht. Das letzte Mal war das 2010 der Fall, dem Jahr, in dem mit King's Speech das letzte Mal ein zumindest ziemlich erfolgreicher Film den Oscar gewann. In diesem Jahr könnte es mit Ridley Scotts optimistischem Sci-Fi-Film Der Marsianer - Rettet Mark Watney (619 Millionen US-Dollar weltweit), der verrückten Wüsten-Dystopie Mad Max: Fury Road (377 Mio.) oder dem harten Überlebenskampf von Leonardo DiCaprio als The Revenant – Der Rückkehrer (383 Mio.) wieder so weit sein. Nicht nur in der Kategorie Bester Film sieht es für das populäre Kino in diesem Jahr gut aus. Mit 7, 10 und 12 Oscar-Nominierungen sind zum ersten Mal seit langem wieder drei Blockbuster auf den ersten drei Plätzen der Filme, die in diesem Jahr die meisten Nominierungen erhalten haben. Ob es in diesem Jahr tatsächlich mal wieder ein Blockbuster schafft, den Oscar als bester Film abzuräumen, werden wir schon an diesem Wochenende in der Nacht zum 29. Februar 2016 erfahren, wenn die Preisverleihung der 88. Academy Awards in Los Angeles stattfindet.