Oscars 2018 – Warum dieser Film nicht gewinnen darf

21.02.2018 - 08:50 UhrVor 6 Jahren aktualisiert
Three Billboards Outside Ebbing, Missouri20th Century Fox
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Miserable Oscar-Filme gibt es in jedem Jahr, doch so dümmlich und abstoßend wie Three Billboards Outside Ebbing, Missouri sind die wenigsten. Ein Film, der Rassismus und Homophobie verharmlost, sollte keinen Oscar gewinnen.

Annähernd 90 Preise hat Three Billboards Outside Ebbing, Missouri bereits erhalten – eine Liste, so lang wie trist. Die "schwarzhumorige" Tragikomödie gewann den Golden Globe als bestes Drama und den Screen Actors Guild Award für das beste Schauspielensemble. Der London Critics' Circle zeichnete sie als "Film des Jahres" aus, den britischen BAFTA Award gab es vergangenen Sonntag noch dazu. Auch die Kritikervereinigungen von Las Vegas, Nevada und Phoenix hatten sich auf den Film einigen können, der in Los Angeles verliehene Satellite Award der International Press Academy ging ebenfalls an ihn. Neben The Shape of Water und Get Out zählt Three Billboards Outside Ebbing, Missouri zu den großen Favoriten der diesjährigen Award-Season, deren wichtigste Ehrungen die drei Filme sich bisher untereinander aufteilten. Mit sieben Nominierungen führt er die Liste der Oscar-Kandidaten 2018 zwar keineswegs an, gegenüber den zahlenmäßig überlegenen Nominierungen für The Shape of Water und Dunkirk hat er jedoch den Vorteil, in einigen Kategorien schon als ausgemachter Sieger zu gelten. Niemand könne Frances McDormand die Auszeichnung streitig machen, heißt es, und Sam Rockwell habe gleichfalls beste Chancen, die Verleihung der 90. Academy Awards als Preisträger zu verlassen. Mindestens zwei Oscars also. Und es steht zu befürchten, dass es noch mehr werden.

Frances McDormand und Sam Rockwell bilden dann auch zwei wesentliche emotionale Beweggründe für die Wertschätzung des Films. Bei der einen ist die Freude verständlicherweise groß, dass sie über 20 Jahre nach Fargo (der ihr den ersten Oscar einbrachte) wieder die Hauptrolle in einer viel beachteten Kinoproduktion spielt oder spielen darf, ohne dafür von ihrem Ehemann Joel Coen besetzt worden zu sein. Den anderen begleitet spätestens seit The Green Mile das Gerücht eines unter Wert gehandelten Schauspielers, der bei George Clooneys Regiedebüt Geständnisse – Confessions of a Dangerous Mind oder dem fast von ihm allein geschulterten Science-Fiction-Drama Moon um eine Oscar-Nominierung betrogen worden sei. Entscheidend ist zudem, dass McDormand und Rockwell in Three Billboards Outside Ebbing, Missouri zwei hochgradig publikumswirksame Over-the-top-Figuren spielen, die sich als personifizierte Punchlines durch den Film bewegen: Sie die Initiative ergreifende Mutter eines vergewaltigten und ermordeten Mädchens, dessen Täter nicht ermittelt werden kann und offenbar auch gar nicht ermittelt werden möchte; er einen trotteligen Hilfssheriff mit Mutterkomplex, hinter dessen Aggressionsproblemen sich mehr zu verbergen scheint, als es seine verbalen und körperlichen Ausfälle vermuten lassen (sollen). Die Sympathien für beide Figuren sind ungleich verteilt. Das erträgt der Film nicht. Also muss es geändert werden.

Frances McDormand

Wer so lange in trüben Tarantino-Gewässern fischte wie Regisseur und Drehbuchautor Martin McDonagh, der weiß natürlich, dass mit virilen Gangstern und Sprüche klopfenden Auftragskillern allein nicht viel zu holen ist – ein Platz im Kultfilmsegment irgendwelcher Streaming-Kanäle sicherlich, der Oscar aber benötigt wenigstens scheinbare Relevanz. Auf seine Erkennungszeichen verzichtet McDonagh nicht, die ihm eigene Vorliebe für den inflationären Gebrauch der Worte "Nigger", "Faggot" und "Midget" bestimmt auch diesen Film. Doch der Wunsch nach Bedeutung ist neu. Die ungehobelten Jugendlichen in den Schritt tretende, weder durch unfähige Polizisten noch ihren prügelnden Ex-Mann einzuschüchternde Figur von Frances McDormand ist früh als Identifikationspunkt gesetzt, und gewissermaßen wird alles, was es zu dieser einfältigen Rolle zu sagen gibt, auch von ihr selbst gesagt (bzw. in Tränen übersetzt, die sie vor einem computeranimierten Reh ausschüttet). Viel Mühe verwendet McDonagh hingegen auf die heimliche Hauptfigur des Films, den lustigen Rassisten. Lustig, weil der knautschgesichtige Sam Rockwell zwar gern mal (inhaftierte) Schwarze foltert und (mutmaßliche) Schwule zum Fenster herausschmeißt, aber nichtsdestotrotz herrlich unbeholfen wirkt, wenn er auf dem Polizeirevier zu ABBA tanzt oder wie ein Kind ins Stocken gerät, als Mutti McDormand ihm die Leviten liest. So einer Figur will niemand böse sein. Oder sie sich als Polizistenschwein ausmalen.

Three Billboards Outside Ebbing, Missouri setzt die nötige Hemmschwelle zum Liebhaben deshalb tief an. Von der sadistischen Gewalt gegen den schwarzen Häftling zeigt er vorsichtshalber nichts, auch nähere Details erspart uns Martin McDonagh. Beim Angriff der Rockwell-Figur auf den unliebsamen Verkäufer der titelgebenden Werbetafeln wird die Sache schon komplizierter, das nämlich kann der Film nicht einfach ausblenden. Der Angriff ist als Kamerafahrt ohne offensichtliche Schnitte in Szene gesetzt – ein Tracking Shot, der nicht nur Eindruck schinden, sondern kurzzeitig alle Aufmerksamkeit auf reines Handwerk verlagern möchte. Wahrscheinlich wäre die unglaubwürdige Zuneigung, die das Opfer seinem Täter später entgegenbringen wird, ohne den abschwächenden Effekt dieser Methode deutlicher als das erkennbar, was sie ist, ein auf falscheste Art rührseliger Moment, der sich kein bisschen für den misshandelten Mann interessiert. So aber geht die Taktik im Sinne einer Erzählung auf, die den lustigen auch zum menschelnden Rassisten werden lässt. Buchstäblich reicht ihm der Film den rettenden Strohhalm. Und wer es bis dahin noch nicht verstanden hat, bekommt vom Voice-Over des mittlerweile seligen Sheriffs, dessen einzige Funktion es ist, Unterschwelliges an die Oberfläche zu zerren, versichert, dass der Rassist "tief im Innern ein anständiger Typ" sei (heimlich schwul noch dazu, auch Homophobie will der Film auf den möglichst simpelsten Grund gehen).

Sam Rockwell

Durch die Sheriff-Figur kommen McDonaghs peinliche Drehbuchmanöver besonders zur Geltung. Eingeführt, um zu sterben, verliest sie mit fortschreitender Handlung Abschiedsbriefe, die sowohl den Plot ("toller Schachzug, diese Werbetafeln") als auch Sam Rockwells tragische Geschichte erklären ("du wolltest gar nicht werden, was du geworden bist"). Mit der jenseitigen Hilfe seines Vorgesetzten ist die Wandlung des brutalen Muttersöhnchens vom Bad Cop zum Best Cop soweit vollzogen, dass er ein ehrliches Interesse an der Aufklärung des Mordes entwickelt (und ihr, Dank eines weiteren Drehbuchmanövers namens Zufall, auch sehr nahe kommt). Solche Erlösermotive ohne Selbsterkenntnis, weil ohne Konfrontation mit den Folgen der Gewalt und vor allem ohne Reflexion der Voraussetzungen ihrer Ausübungspraxis, sind ein erfolgsversprechendes Mittel von Oscar-Filmen über Rassismus. L.A. Crash, den die Academy-Mitglieder 2006 zum besten Film kürten, erzählte von weißen Kaliforniern, die ihre nicht-weißen Mitmenschen demütigen, weil sie frustriert und von sich selbst enttäuscht sind. Am Ende reifen sie zu geläuterten Alltagshelden, der rassistische Polizist rettet eine zuvor missbrauchte Frau aus einem Autowrack. Blind Side, für den Sandra Bullock 2010 einen Oscar gewann, renovierte seine Geschichte über den sozialen Aufstieg eines schwarzen Jungen mit der alten Idee vom weißen und Menschen wie ihn erst disziplinieren müssenden Erretter.

An diese intellektuellen Bankrotterklärungen knüpft Three Billboards Outside Ebbing, Missouri nahtlos an, ergänzt lediglich um vermeintlich bösen Humor. Vielleicht wäre die pos(s)enhafte Selbstgenügsamkeit des Films erträglicher oder jedenfalls leichter zu ignorieren, wenn seine Räuberpistolensentimentalität dabei nicht mit Tiefsinn verwechselt würde. Viele Kritiker meinten in ihm einen Diskussionsbeitrag zu erkennen, der "wichtige Fragen unserer Zeit" aufgreife, als handele es sich dabei um ein ernstzunehmendes künstlerisches Kriterium. Offenbar ist das Verlangen nach Gesinnungskino mittlerweile so ausgeprägt, dass auch der absurdeste Spielraumentwurf tagesaktuelle Zustandsbeschreibung sein muss – sogar eine Welt wie die von Martin McDonagh also, in der Menschen weder reden noch handeln wie Menschen, sondern allenfalls Schablonen für den nächsten Witz sind, beliebig hin und her geschoben auf einer vor Vulgärpsychologie strotzenden Landkarte. Die Oscar-Academy scheint so etwas zu lieben. Im letzten Jahr umarmte sie eine Reihe von Befindlichkeitsfilmen und Speckgürtelerzählungen über abgehängte, auf der Strecke gebliebene Menschen, jetzt soll es zusätzlich noch um Machtmissbrauch gehen. Mit Three Billboards Outside Ebbing, Missouri verläuft sich das so nachvollziehbare wie notwendige Interesse am Trump-Amerika in eine Affirmation des Ressentiments. Sollte der Film tatsächlich gewinnen, wäre das im ersten Oscar-Jahr nach Moonlight wahrlich eine preiswürdige Pointe.

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