Als Casting-Mitarbeiter von Michael Haneke war Markus Schleinzer bisher bekannt. Jetzt hat er mit Michael sein Regie-Debüt vorgelegt, das prompt in den Wettbewerb des Festival Cannes eingeladen wurde. Die ersten Kritiken deuten an, dass Markus Schleinzer in Sachen Unerbittlichkeit einiges von Michael Haneke gelernt zu haben scheint.
Michael dreht sich um “die Beziehung zwischen dem unscheinbaren Mittdreißiger Michael, tagsüber ein stiller, beflissener Versicherungsfachangestellter mit Aufstiegschancen, privat ein zwanghafter Päderast, der im schalldicht isolierten Keller seines Reihenhauses in einem Vorort Wiens einen kleinen Jungen eingesperrt hat, den er als Lustknaben missbraucht. Manchmal darf der kleine, gekidnappte Wolfgang aus seinem Verließ nach oben ins Wohnzimmer und fernsehen, manchmal macht Michael mit ihm einen Ausflug in den Streichelzoo, wo die beiden für die Öffentlichkeit wirken wie Vater und Sohn, ganz normal.” (Spiegel)
Weiter schreibt Andreas Borcholte: “Der sexuelle Akt zwischen Michael und Wolfgang wird dem Zuschauer erspart, er muss dafür aber mit den Bildern in seinem Kopf klarkommen. Ohne emotionalisierende Musik und mit distanziert wirkenden, enervierend unprätentiösen Bildern verlässt sich Schleinzer ganz auf seinen mutigen Hauptdarsteller Michael Fuith, der den Kinderschänder mit wenigen Mitteln so ausdifferenziert, dass man ihn mitleidlos verachtet, aber dennoch nicht als Monster verdammt[…].” Er kommt zum Schluss, Michael sei “ein konzentrierter, kluger, überlegter und kontroverser Film über ein akutes gesellschaftliches Thema, der trotz einiger dramaturgischer Schwächen zu den bisherigen Höhepunkten des Wettbewerbs gehört.”
Demgegenüber fragt Cristina Nord: “Darf man das überhaupt, einen pädophilen Mann in den Mittelpunkt eines Filmes rücken und dessen Handlungen mit kühlem, detailversessenen Blick verzeichnen? Und dürfen in so einem Film Elemente des Thrillers auftauchen, darf leise das Echo der schwarzen Komödie hallen?”
Für Verena Lueken jedenfalls bleibt der Film nicht fehlerlos: “Schleinzer ist subtiler, strenger, vollkommen unsensationalistisch in seinem Blick auf Michael, der mit Kollegen zum Skilaufen fährt und eine Büroparty anlässlich seiner Beförderung schmeißt, um von dort nach Hause zu fahren und mit seinem Gefangenen ein Puzzle legt. Aber gerade die Unbeteiligtheit, die Strenge der Inszenierung und das Auslassen des eigentlichen sexuellen Missbrauchs, der nur angedeutet wird, ist dann doch auch eine Verharmlosung – als hätte der Stilwille die Ungeheuerlichkeit des Geschehens in den Hintergrund geschoben. Dennoch war Michael eine der bisher unangenehmsten Seherfahrungen in Cannes, was dem Thema dann doch angemessen ist.”
Einen täglich aktualisierten Pressespiegel zum Festival Cannes findet ihr bei Film-Zeit.de.