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Rammstein - Sehnsucht

20.03.2016 - 19:31 UhrVor 9 Jahren aktualisiert
Bück dich! Bestrafe mich! Spiel mit mir!
Motor Music
Bück dich! Bestrafe mich! Spiel mit mir!
3
7
Düstere, statische Electro-Metal-Kombo mit meisterhafter, verruchter Poesie
Jahr: 1997

Genre: Neue Deutsche Härte, Industrial Metal, Acid Trance

Singles: Engel, Du hast


Die internationale Karriere der deutschen Industrial Metal-Band Rammstein könnte einem Bilderbuch über Erfolg und den amerikanischen Traum entsprungen sein - dass es jeder schaffen kann, sich an die Spitze zu kämpfen. Als eine von wenigen deutschen Bands tauchen Rammstein in diversen amerikanischen Publikumscharts der besten Musikkünstler aller Zeiten auf und erfreuen sich international großer Beliebtheit sowie nahezu einhellig positiver Kritiken - verwunderlich, wo die Band doch nicht nur deutsch sind, sondern sich einer sehr harten und stereotypen Aussprache bedient. Die Bilder in eben diesem Bilderbuch wären allerdings geprägt von Lederanzügen, Schnittwunden und bizarr futuristischen BDSM-Schwulenclub-Szenarien. Auch das Bedienen von Leni Riefenstahl-Ästhetik wurde ihnen oft angekreidet und sie wurden oft ins rechte Eck gedrängt - in Wirklichkeit fängt die Band jedoch gerne die Faszination des Bösen in ihrer Musik ein.

Auf ihrem zweiten Studioalbum "Sehnsucht" befindet sich einige inhaltlich wie musikalisch überaus diabolische Musik, geprägt von Leidenschaft, Surrealismus und Schmerz, aber auch dem Vergnügen an Sünde und unmoralischem Tun. Auf einer Mischung aus statischem Acid Trance, welcher gut und gerne aus einer Ecstasy-haltigen Rave-Party hätte stammen können und harten Metalriffs, die zum Headbangen besser kaum geeignet sein können, entsteht aus Schlagzeug, verzerrten Beatboxen, Loops, Sampeln, E-Gitarren und Synthesizer ein unverwechselbarer, irrealer und extremer Klang, der die immer zwischen symbolischer, lyrischer Qualität und direkter Obszönität pendelnden Texte in ein oftmals bedrohliches, aber nicht selten einem Rausch gleichenden Licht rücken, und dabei eine wilde Mixtur an Eindrücken hinterlassen. Das Spiel mit Kontrasten macht dabei an der Musikalität einen besonderen Charme aus: durch (synthetische) Chöre und klare Synthesizer, sowie Till Lindemanns Gesang und Text entsteht eine ungeheure Emotionalität, die aber von stampfenden Beats, geloopten Samples und einem sich zumeist kaum verändernden Spiel der Gitarren eine gewisse Eintönigkeit bekommt. Ein Wenig pulsiert eine Hälfte der Musik wie ein Herzschlag, als gerade Adrenalin ausgeschüttet wird, der andere Teil jedoch könnte einem Poeten entstammen, welcher mit Feder und Pergament bewaffnet seine Katharsis vollzieht. Immer wieder schlagen diese Elemente jedoch aus - so klingt "Bück dich" in dem es um homosexuellen Analverkehr sowie Bondage geht, wie ganz harter 90s Techno, der um ebenso harte Riffs ergänzt wurde, das leidenschaftliche "Klavier", welches einen Mord aus Liebe beschreibt, lässt die eintönigen, starren Stilmittel wiederum gänzlich vermissen.

Geprägt ist die Lyrik von "Sehnsucht" durch verbotene und unmoralische, aber nicht minder leidenschaftliche Taten. "Gott weiß, ich will kein Engel sein" heißt es in der Leadsingle und nach diesem Motto lebt das gesamte Album. Abgesehen von pansexuellem Verlangen am Geschlechtsverkehr mit beiden Löchern der unteren Körperregion ("Bück dich", "Küss mich (Fellfrosch)" sind Themen wie Verbrechen aus Leidenschaft ("Eifersucht", "Klavier"), Inzest und Pädophilie ("Tier", "Spiel mit mir") und Bondage (Mal wieder "Bück dich", "Bestrafe mich"). Dabei bedient man sich zumeist einer verschlüsselten, symbolischen Sprache, die nicht selten von religiöser (oder antireligiöser?) Ästhetik sowie der Poetik entlehnten Schreibweise geprägt ist, und viel mit Assoziationen arbeitet. Damit wird jedoch nicht selten gebrochen und zum Beispiel auf dem Schlusssong explizit und vulgär gehandhabt. In aller Ernsthaftigkeit des Albums entsteht in solchen Momenten eine gewisse Komik, die dem Fluss der CD jedoch zu keiner Zeit im Wege steht.

"Sehnsucht" ist neben ihrem Debut Rammsteins elektronischstes Album, ohne dabei aber den Status als Metalband jemals zu verlieren. Tatsächlich funktioniert dieses Werk wohl für beide Zielgruppen im gleichen Ausmaß. Definitiv sicher ist, dass die Musik ein Rausch aus zutiefst bösen Themen, Adrenalinausschüttung verursachender Instrumentalisierung, einem aufregenden, schweißtreibenden Hang zur Theatralik und düsterer Erotik darstellt, welche seinesgleichen sucht. Es ist ein sehr treibendes Album - emotional wie musikalisch.

Tracklist:

1. Sehnsucht

2. Engel

3. Tier

4. Bestrafe mich

5. Du hast

6. Bück dich

7. Spiel mit mir

8. Klavier

9. Alter Mann

10. Eifersucht

11. Küss mich (Fellfrosch)

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