Roman Polanski ist ein Meister der klaustrophobischen Orte, der Seelengefängnisse. Wie kein anderer versteht er es, den Schrecken und die Angst in Szene zu setzen. Bei ihm sind es die Details des Alltags, die zu Wahnvorstellungen führen, ist es eine feindliche Umgebung, die Menschlichkeit nicht zulässt. Schon sein erster großer Film Das Messer im Wasser (1962) – noch entstanden in Polen – ist kein oberflächlicher Thriller, sondern thematisiert den Verlust der Menschlichkeit in der polnisch-sozialistischen Gesellschaft erzählt. Auch das Drama Ekel (1965) mit Catherine Deneuve in der Hauptrolle der schönen Französin Carol, die sich von den Männern und der Gesellschaft überhaupt angewidert fühlt, ist als Psycho-Thriller perfekt und spannend inszeniert.
Mit der Persiflage tanz der Vampire (1967) erreicht Roman Polanski endlich auch ein großes Publikum. Ein alter Professor und sein Gehilfe (den er selbst spielt) begeben sich auf Vampirjagd und landen direkt in einer Familienfeier der Untoten. Charmant und witzig, intelligent und ironisch werden Klischees des Vampir-Films von Nosferatu bis Dracula benutzt, um sie genüsslich auseinander zu nehmen. Hinter der Geschichte verbirgt sich dann auch wieder ein Thema des Regisseurs, zu dem er in allen seinen Filmen immer wieder Stellung beziehen wird: Wie bleibt Menschlichkeit in einer feindlichen Umgebung möglich?
Der Film sichert dem Regisseur die Eintrittskarte nach Hollywood. Hier dreht er den Horrorstreifen Rosemaries Baby (1968). Themen wie Aberglaube und Psychoanalyse, Jungfräulichkeit und Entfremdung, Angst und Paranoia werden hier zu einem subtilen, stimmungsvollen und raffinierten Horrorfilm verwoben. Die katholische Kirche in den USA läuft Sturm gegen den Film, kann aber den Erfolg und seinen Aufstieg zum Kultfilm nicht stoppen. Nach verschiedenen kleineren sowie gescheiterten Projekten und einer blutigen und beeindruckenden Version von Macbeth (1971) entsteht Chinatown (1974) mit Jack Nicholson, Faye Dunaway und John Huston in den Hauptrollen. Der Thriller verleugnet seine Vorbilder, die klassische Kriminalfällen eines Raymond Chandlers und den film noir nicht. Der Gangsterfilm zeigt ein Amerika der 1930er Jahre, dass in seinem tiefsten Inneren marode und korrupt ist. Ganze 11 Mal ist der Film, der mittlerweile zu einem der wichtigsten Werke der 1970er Jahre zählt, für die Oscars nominiert, unter anderem auch Roman Polanski als Bester Regisseur.
Dann folgen Bitter Moon (1991), Der Tod und das Mädchen (1994) und Die neun Pforten (1999). In allen Fällen schafft er es, das Mainstream-Publikum mit anspruchsvollen Inhalten zu überzeugen. Mit Der Pianist (2002) gewinnt Roman Polanski die Goldene Palme in Cannes und seinen ersten Oscar. Erzählt wird ein Teil der authentischen Lebensgeschichte des polnisch-jüdischen Pianisten Wladyslaw Szpilman (Adrien Brody), der mit seiner Familie nach dem Einmarsch der Deutschen Wehrmacht im Warschauer Ghetto leben muss. Er kommt frei, einige Freunde helfen ihm für kurze Zeit, er lebt monatelang fast verhungert und erfroren in Ruinen und wird von einem deutschen Offizier (Thomas Kretschmann) vor dem Hungertod gerettet. Der Film lebt von seiner Wirklichkeitsnähe, die nie in Sentimentalität abdriftet und keine Stereotypen bieten. Konzentriert erzählt der Filmemacher von einem Leben jenseits der Menschlichkeit, von einem Menschen, der sie sich bis zum Schluss bewahrt.
Ein Leben wie jenes von Roman Polanski könnte selbst ein Drehbuchautor nicht erfinden: Er ist als kleiner jüdischer Junge aus dem Krakauer Ghetto entkommen, überlebt die deutsche Besatzung bei polnisch-katholischen Bauern; wird im sozialistischen Polen als junger Regisseur gegängelt; hat in Los Angeles 1968 den Mord an seiner Ehefrau und seines ungeborenen Kindes durch Sektenangehörige zu verarbeiten; entzieht sich in den USA einer Klage wegen Missbrauch einer Minderjährigen. Ein bewegtes Leben, zu dem die Inszenierung einiger Filmklassiker gehört. Vielleicht kommt ja noch der eine oder andere dazu. Glückwunsch, Roman!