Scheitern als Methode im Tatort aus Frankfurt

22.04.2012 - 21:45 UhrVor 12 Jahren aktualisiert
Tatort - Es ist böse
HR
Tatort - Es ist böse
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Einem Titel wie Es ist böse muss ein Tatort erst einmal gerecht werden. Brutale Prostituiertenmorde und ein extrem untypisches Ende fährt der neue Frankfurter Krimi deswegen auf und ist damit erfolgreich.

Die Profession des neuen Frankfurter Tatort-Teams ist es, dem Zuschauer möglichst viele schwer verdauliche Brocken auf dem Weg zum vergnüglichen Sonntagabend in den Rachen zu schieben. Tatort: Es ist böse ist der dritte Fall von Conny Mey (Nina Kunzendorf) und Frank Steier (Joachim Król). Auch hier zeichnet Lars Kraume für das Drehbuch verantwortlich. Einmal mehr verwehrt uns der Krimi den Triumph der finalen Festnahme, einmal mehr lauert das Scheitern der Polizeiarbeit an jeder Ecke. Der Tatort ist trotzdem selten so gut wie in Frankfurt.

Lokalkolorit: Dass Frankfurt ein raues Pflaster sein kann, wissen wir spätestens seit den Sawatzki/Schüttauf-Tatorten. Statt sich im ranzigen Bordsteindreck zu suhlen, setzen die neuen Frankfurter Krimis auf einen entsättigten Look, in dem die Outfits von Conny Mey einsame Farbtupfer darstellen. Tatort: Es ist böse bleibt diesem Stil treu, so dass überstylte Hinterhofwohnungen, in denen reiche Männer ihre reichen Frauen schlagen, genauso lebensfeindlich wirken wie die Unterkünfte von manischen Journalisten, Prostituierten und Mördern. Mehr noch als bei den meisten anderen Teams, die derzeit für den Tatort ermitteln, verfolgen die Frankfurter mit ihren Flashbacks, Farbfiltern und der musikalischen Untermalung eine ästhetische Einheitlichkeit, die einer wöchentlichen Serie gut stehen würde. So ziehen uns Conny Mey und Frank Steier auch nach mehreren Monaten Pause mühelos in ihre (Frankfurter) Welt, obwohl wir dort nur ungern verweilen wollen.

Plot: Eine Prostituierte wird brutal ermordet. Ein tiefer Kehlkopfschnitt scheint das Signum des Killers zu sein. Dass es nicht nur um einen Raubmord ging, wird klar, als der rehabilitierte, aber nicht weniger schmierige Kollege Erik Seidel (Peter Kurth) einen älteren Fall in die Runde wirft. Conny Mey will sich behaupten, will unbedingt die Untersuchungen leiten. Ihr Ausruf ‘Ich hab’ vor nix Angst!’, den wir der starken Kommissarin sogar abnehmen, wird jedoch unsanft mit der Realität konfrontiert. Ihre Ermittlungen ruinieren die Ehe eines Verdächtigen (Uwe Bohm), Schlaflosigkeit und Tagträume plagen sie bald. Die sonst so toughe, unbeugsame Conny Mey wird in Tatort – Es ist böse an ihre Grenzen gebracht, fast gebrochen. Plötzlich erscheint der einsame Büroschläfer Steier nicht mehr wie ein Auslaufmodell, sondern wie ihre Zukunft.

Unterhaltung: Der HR hat es sich anscheinend zur Aufgabe gemacht, konventionelle Tatorte hinter sich zu lassen. Den verspielten Krimis mit Murot aus Wiesbaden steht das Tatort-Projekt Frankfurt à la Lars Kraume gegenüber. Wie schon Tatort: Eine bessere Welt und Tatort: Der Tote im Nachtzug verwehrt uns der neue Fall von Steier/Mey den Triumph der finalen Festnahme oder überhaupt einen Ermittlungserfolg, der das Töten des Serienmörders Holger verhindert. Stattdessen müssen wir uns mit den Abgründen des menschlichen Daseins beschäftigen, der Banalität des titelgebenden Bösen. Ermittlungen, die sich auf Irrwegen verlaufen, ins Leere zielen oder schlicht scheitern, werden in Frankfurt zur Raison d’être erhoben und die letzte halbe Stunde des neuen Tatorts setzt dies noch konsequenter um, als die beiden davor. Damit sind die Fälle von Steier und Mey zäher, schwieriger als viele andere, aber auch näher an der Realität als all die auf authentisch getrimmten Kollegen.

Tiefgang: Gebtriebene beherrschen Tatort: Es ist böse. Der Ehemann, der vom Sex mit Prostituierten nicht lassen kann. Der Ex-Knacki, der sich lieber mit der Schrotflinte das Gehirn wegbläst, als weiter zu vergewaltigen. Der Reporter mit den Obduktionsfotos in der Wohnung. Conny, die hier stets auf 180 dem Täter hinterherjagt, nur um in den entscheidenen Momenten eben nicht am richtigen (Tat)Ort zu sein. Und natürlich Holger, der Mörder, der Unterdrückte, der Gequälte, der immer da ist, den aber niemand wirklich sieht; auch er einer, der seinem Trieb nur durch den Selbstmordversuch zu entkommen glaubt. Es ist bezeichnend für diesen erstklassigen Tatort, der voll von Menschen ist, aber wenig Menschlichkeit, dass er den einzigen, optmistischen Schweif in den letzten Sekunden versteckt. Da spricht endlich jemand etwas aus, da werden die zwischenmenschlichen Schranken ein wenig geöffnet und Conny darf das sagen, was wir alle dachten: “Herr Steier, das mit den Haaren geht gar nicht.”

Mord des Sonntags: Gekrümmt, neben dem Mülleimer in der Küche liegt die nackte Leiche der Frau und Mörder Holger ist sprichwörtlich an seinem Tiefpunkt angelangt.

Zitat des Sonntags: “Ich wüsste gern eines, Herr Ritter. Warum die tiefen Kehlkopfschnitte?”“Na, da sitzt doch die Sprache.”

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