Spannendes Psycho-Duell mit Harry Potter-Star: Die unterdrückten Aggressionen in Hot Milk sind kaum auszuhalten

18.02.2025 - 10:39 UhrVor 2 Monaten aktualisiert
Hot Milk
Nikos Nikolopoulos / Mubi
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In dem Berlinale-Film Hot Milk liefern sich Netflix-Star Emma Mackey und die aus den Harry Potter-Filmen bekannte Fiona Shaw ein äußerst ungemütliches Psycho-Duell.

Warmer Sand und das beruhigende Rauschen des Meeres im Hintergrund: Eigentlich könnte das ein entspannender Urlaub in einem spanischen Fischerdorf sein, das sich weitab vom Rest der Welt befindet. So idyllisch die Kulisse von Hot Milk auf den ersten Blick wirkt: Das Regiedebüt von Rebecca Lenkiewicz erzählt schon bald nur noch von der Sonne, die sich erbarmungslos in zermürbte Seelen brennt.

Hot Milk konkurriert als einer von 19 Filmen im Wettbewerb der Berlinale 2025 um den goldenen Bären und basiert auf dem gleichnamigen Roman von Deborah Levy, der vor neun Jahren zum Bestseller avancierte. Erzählt wird die Geschichte einer toxischen Mutter-Tochter-Beziehung, die 92 Minuten lang auf die Folter spannt und unbehaglich zwischen Psycho-Thriller und Erotik-Drama schwankt.

Netflix-Star Emma Mackey und Fiona Shaw duellieren sich mit Hot Milk im Berlinale-Wettbewerb

Was genau Rose (Fiona Shaw) widerfahren ist, weiß Sofia (Emma Mackey) nicht. Seit den frühesten Tagen ihrer Kindheit sitzt ihre Mutter im Rollstuhl und klagt über Schmerzen. Ihre Beine kann sie nicht bewegen. Nur einmal im Jahr gelingt es ihr, aufzustehen und ein paar Schritte zu gehen. Genau diese Geschichte erzählt sie auch dem Wunderheiler Dr. Gomez (Vincent Perez), der sie in der Küstenstadt Almería in Behandlung nimmt.

Mit unkonventionellen Methoden soll Dr. Gomez das bewerkstelligen, was Jahrzehnte an Medikamenten und Arztbesuchen nicht geschafft haben. Kaum beginnt er, Rose Fragen zu ihrem Leben zu stellen, weicht diese jedoch aus. Genauso, wenn Sofia wissen will, was in der Vergangenheit ihrer Mutter passiert ist. Immer gibt es etwas anderes, das wichtiger ist, zum Beispiel ein Glas Wasser für den nicht vorhandenen Durst.

Kein Wunder, dass sich Sofia in ihren Albträumen im Rollstuhl ihrer Mutter wiederfindet. Rose' Krankheit ist längst zum Gefängnis ihrer Tochter geworden. Passiv-aggressive Blicke stehen auf der Tagesordnung. Die meisten davon sieht Rose allerdings nicht – oder blendet sie bewusst aus. Lieber fragt sie nach dem nächsten Glas Wasser oder einer anderen Nebensächlichkeit, die auf einmal unfassbar wichtig erscheint.

Obwohl das Verhältnis zwischen Mutter und Tochter so offenkundig knirscht, kommen die beiden irgendwie miteinander aus, tauschen sogar Zärtlichkeiten aus. Erst, als Sofia am Strand die scheinbar von allen Problemen der Welt befreite Touristin Ingrid (Vicky Krieps) auf einem Pferd reiten sieht, übernimmt ihre Sehnsucht nach einem anderen Leben. Doch dann droht sie, an Ingrids ultimativer Freiheit zu zerbrechen.

Rebecca Lenkiewicz beschwört in ihrem Regiedebüt eine äußerst ungemütliche Atmosphäre herauf

Schon vor Hot Milk brachte Lenkiewicz komplexe Frauenfiguren ins Kino, aber nicht als Regisseurin, sondern als Drehbuchautorin. Ida, Ungehorsam und Colette waren wichtige Stationen auf ihrer Reise. Ihren bisher größten Film schrieb sie mit dem Drama She Said, der die Geschichte der Journalistinnen erzählt, deren Recherchen zu den Missbrauchsvorwürfen gegen Harvey Weinstein Hollywood für immer verändert haben.

Mit Hot Milk wagt sich Lenkiewicz zusätzlich zu ihrer Tätigkeit als Drehbuchautorin auf den Regiestuhl und spielt so sehr mit Genre-Elementen wie noch nie in ihrer Karriere als Filmemacherin. Kaum beginnt sie, den Bewegungsradios ihrer einzelnen Figuren auszuloten, sorgen Stimmungsschwankungen für ein ungemütliches Gefühl und lassen uns rätseln, um was für eine Art von Film es sich hier wirklich handelt.

Befinden wir uns im Terrain der aufreibenden Hitze von Frau im Dunkeln? Oder übernimmt bald der Thrill-Faktor eines Sundown? Lässt Hot Milk die angespannte Situation zwischen Sofia und ihrer Mutter eskalieren und enthüllt eine Lüge/Trauma? Oder zerstört Ingrid als verführerische Kraft endgültig die brüchige Beziehung der beiden Protagonistinnen? Was es auch immer ist: Es brodelt zu jeder Sekunde.

Am liebsten verweilt Lenkiewicz in diesem Moment der Ungewissheit und beobachtet die ausdrucksstarken Gesichter ihrer beiden Hauptdarstellerinnen. Für Mackey, die mit der Netflix-Serie Sex Education ihren Durchbruch feierte, markiert Hot Milk nach dem großartigen Emily Brontë-Biopic Emily den nächsten Film, in dem sie sich in einer tragenden Rolle beweisen kann. Unmut und Hadern kollidieren in ihren Augen.

Noch verbitterter als Tante Petunia in Harry Potter: Fiona Shaw ist eine Wucht in Hot Milk

Die ungeheuerlichste Leistung gehört aber Fiona Shaw. Nachdem sie vor zwei Jahren in Andor das Star Wars-Universum zum Beben brachte, beschwört sie jetzt eine verbitterte Präsenz herauf, die nicht selten an die strengen Züge ihrer Tante Petunia aus den Harry Potter-Filmen erinnert. Sie kommandiert, bestimmt, schränkt ein. Lässt ihren Schmerz nicht zu. Leidet und jammert. Ist Unterdrückte und Unterdrückende zugleich.

Dass ausgerechnet das Drehbuch die größte Schwäche von Lenkiewicz' Regiedebüt ist, lässt sich verkraften, wenn die Kamera zwei dermaßen starke Lead-Performances einfangen kann. Mackey, deren Gesicht von der Sonne erleuchtet wird, selbst wenn sie Trübsal bläst. Und Shaw, die im Schatten des Ferienhauses versinkt, als hätte sich Petunia aus Angst vor der Zauberwelt dazu entschlossen, nie wieder das Haus zu verlassen.

Wir haben Hot Milk im Rahmen der Berlinale 2025 gesehen. Am 29. Mai 2025 startet der Film regulär in den deutschen Kinos.

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