Stanley Kubrick - Die übersehene Wärme eines Perfektionisten

26.07.2018 - 08:50 UhrVor 5 Jahren aktualisiert
Stanley Kubrick
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Stanley Kubrick
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Heute wäre Stanley Kubrick 90 Jahre alt geworden. Grund genug, sich einmal mit dem wohl am häufigsten geäußerten Vorwurf gegen die Werke der Regie-Legende zu befassen.

Stanley Kubrick drehte zu Lebzeiten 13 Langfilme, was verglichen mit vielen seiner Kollegen wirklich nicht viel ist. Sein künstlerisches Vermächtnis jedoch geht weit über diese Zahl hinaus. Dies dokumentiert unter anderem der Umstand, dass es von Steven Spielberg über Martn Scorsese bis hin zu Christopher Nolan praktisch keinen gefeierten zeitgenössischen Filmemacher gibt, der sich noch nicht direkt oder indirekt auf Kubrick berufen hat. Nolan war es auch, der in diesem Jahr eine 70mm-Kopie von 2001: Odyssee im Weltraum mit nach Cannes brachte - rechtzeitig zum 50. Jubiläum, das der Science-Fiction-Klassiker 2018 feierte. Der Film prägte das Science Fiction-Genre wie kein zweiter und wäre seiner Zeit in vielen Belangen auch dann noch voraus, würde er heute erstmals das Licht der Welt erblicken. Zugleich schwebt ein Stigma über ihm, das zu gleichen Anteilen von Faszination und Ablehnung kündet: 2001 ist ein technisch perfekter, aber kalter Film, heißt es. Kubricks Detailversessenheit am Set habe generell makellose und zugleich blutleere Klassiker hervorgebracht. Um richtige Menschen gehe es bei ihm nie.

Emotionen haben bei Stanley Kubrick viele Gesichter

Nun sind Gefühle - in der Kunst wie auch im echten Leben - schon ihrer Natur nach eine maximal subjektive Angelegenheit. Trefflich über sie streiten lässt sich indes trotzdem. Kubrick bediente sich nie konventionellen Kniffen, um den Augen seines Publikums ein Meer aus Tränen zu entlocken. Eine Szene mit rührseligen Streichern zu unterlegen und so Traurigkeit zu suggerieren - das war nicht sein Ding. Im Gegenteil verzerrte er potentiell dramatische Begebenheiten mitunter sogar ins Groteske und beraubte sie so absichtlich einer durchschlagenden Emotionalität. Uhrwerk Orange liefert dafür zahlreiche Beispiele wie etwa den schrillen Gesichtsausdruck von Mr. Alexander (Patrick Magee), als dieser den Vergewaltiger seiner Frau wiedererkennt.

Uhrwerk Orange

Dennoch geht mir der Skandalschocker von 1971 bei jeder Sichtung unglaublich nahe, weil ich mit fortschreitender Laufzeit gegen meinen Willen Mitleid für Alex DeLarge empfinde. Er randaliert aus Langeweile, besitzt aber auch die unschuldige Ausstrahlung eines kleinen Jungen und wird schließlich selbst zum Opfer. Kaum eine Leistung eines Schauspielers hat so viele innere menschliche Widersprüche ausgedrückt wie die von Malcolm McDowell in Uhrwerk Orange. Abseits seiner inszenatorischen Eigenständigkeit und visuellen Ausdruckskraft zeigt mir der Film jedes Mal die Grenzen meines Wissens um Gut und Böse auf. Das ist zum Glück der gegenteilige Effekt jener auf Konditionierung getrimmten Ludovico-Technik, die Alex DeLarge über sich ergehen lassen muss. Beim Anschauen von Uhrwerk Orange fühle ich mich also im besten Sinne unwohl.

Auch für 2001 aber - den mutmaßlich kältesten aller kalten Kubricks - möchte ich eine Lanze brechen. In einer ikonischen Sequenz schaltet der Astronaut Dave Bowman (Keir Dullea) hier die Funktionen des Supercomputers HAL 9000 ab. Dieser äußert kurz zuvor, er habe Angst und singt den Song Daisy Bell. Kubricks Kritiker behaupten daher gerne zynisch, die künstliche Intelligenz verhalte sich in 2001 humaner als die Figuren aus Fleisch und Blut, wobei es sich um einen ebenso verlockenden wie sinnstiftenden Trugschluss handelt - denn seine "Gefühle" wurden HAL natürlich nur einprogrammiert. Selten genug gewürdigt wird demgegenüber ein wichtiges Detail: Dave spricht während des entscheidenden Vorgangs zwar kaum ein Wort, doch wir hören ihn durch seinen Helm atmen und kommen ihm daher ungemein nahe. Beinahe ist es so, als würde der Zuschauer mit in Daves Anzug stecken. Überwältigt von dieser Intimität bleibt (mir) dann nicht viel übrig, als einfach die Luft anzuhalten.

In Barry Lyndon bricht die Welt in einer Szene zusammen

Die unmissverständlich sentimentalste Szene aller Kubrick-Filme beinhaltet wahrscheinlich Barry Lyndon. Der kleine Bryan Lyndon ist vom Pferd gestürzt und ringt seinen Eltern am Totenbett das Versprechen ab, einander immer zu lieben, sodass alle drei später einander im Himmel wiedersehen können. Vater Barry versichert seinem Sohn zwar, er werde wieder gesund, der Junge weiß es allerdings schon besser. Dann erzählt Barry noch eine (erfundene) Geschichte, doch er muss abbrechen, um sein nasses Gesicht mit einer Hand zu stützen. Zwischendurch waren zwei Tränen von Ryan O'Neals Kinn abgeperlt. Nun schlägt Georg Friedrich Händels Sarabande auf der Tonspur erbarmungslos zu, während uns der nächste Schnitt auch schon zum Trauermarsch für den verstorbenen Bryan führt. Der kleine Sarg lässt keine andere Schlussfolgerung zu.

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Mit dem Hinweis auf die vermeintliche Gefühlskälte seiner Filme geht häufig auch der Vorwurf einher, Stanley Kubrick sei Misanthrop gewesen. Ein Thema, um das viele seiner Werke kreisen, ist das menschlicher Torheit, aber ich habe darin nie Verachtung, sondern immer nur die Suche nach einer tieferen Wahrheit entdeckt. So zeigt uns der Antikriegsfilm Wege zum Ruhm einerseits, wie sinnlos wir töten, und andererseits, wie uns ein einfaches Lied berühren und wieder zusammenführen kann. Der auf eine Minderjährige gerichtete Liebeswahn von Humbert Humbert in Lolita wird nie erklärt - ich vermute, Kubrick sah in dieser tragikomischen, von ihm sehr einfühlsam bebilderten Story auch unendliche Schönheit. Und dann wäre da noch ein langer Monolog von Alice Harford (Nicole Kidman) aus Eyes Wide Shut, in dessen Verlauf sie unter Marihuana-Einfluss gesteht, ihren Mann vor Jahren beinahe mit einem Offizier betrogen zu haben. Jeder, der einmal geliebt hat, wird verstehen, warum Tom Cruise daraufhin die Gesichtszüge einfrieren. Es ist ein großer Liebesfilm, der auf seine ganz eigene Weise von dem Verlangen nach Nähe erzählt.

Was ist euer liebster Moment aus einem Stanley Kubrick-Film?

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