Produktionen aus dem Hause HBO werden für gewöhnlich ein Hit. "The Leftovers" waren hohe Zuschauerzahlen leider nicht vergönnt, obwohl die Serie fast durchweg hervorragende Kritikerbewertungen einfuhr. Der Gedanke, dass hier ein Format (bei all seiner zeitgeistigen Relevanz) womöglich doch seiner Zeit voraus ist, tröstet mich nur bedingt. So muss diese aufregende Phantasmagorie aus der Feder von "Lost"-Showrunner Damon Lindelof nach 28 Episoden leider ein vorzeitiges Ende finden... jedoch - wie ich meine - nicht, ohne auf dem Weg dorthin in geradezu heilige Sphären vorzustoßen. Und das dürfen wir am Ende vielleicht sogar wörtlich verstehen.
Wie stark ich mich dieser Serie mittlerweile verbunden fühle, merke ich schon daran, dass nach dem obligatorischen HBO-Logo nur wenige Sekunden vergehen, bis mir ein wohliger Schauer über den Rücken läuft. Eine solche Glückseligkeit bescheren mir übers Jahr verteilt ein bis zwei Spielfilme, hier aber scheint es mir so selbstverständlich wie essen oder atmen. Der Prolog der Folge "The Book of Kevin" ist in meinen Augen ein Musterbeispiel für allegorisches, um nicht zu sagen spirituelles Erzählen - und tastet sich innerhalb weniger Minuten aufs Sanfeste zur Seele der "Leftovers" vor, ohne wirklich etwas zu erklären.
Dazu reisen wir ins Jahr 1884 und erwachen in einer kleiden, bescheidenen Siedlung. Für misstrauische Blicke sorgen einige Pilgerer, die das Ende der Welt prohezeien. Eben jenes will aber partout nicht eintreten, ein "Untergangstermin" nach dem nächsten verstreicht ereignislos. Eine der Verkünderinnen hält ihren Glauben an die große Flut dennoch aufrecht, gleichwohl es die Entfremdung von ihrer Familie bedeutet. Als die Frau nach einer heftigen, doch abermals nicht verheerenden Gewitternacht unter spöttischen Reaktionen total durchnässt von einem Hausdach hinabsteigt und sich schließlich in einer Hütte schlafen legt, markiert dies eine "Leftovers"-typische, leise Gefühlseskalation. Es passiert höchst selten, dass ich zwischendurch inne halte und zurückspule, aber das mussten meine Sinne gleich noch einmal inhalieren. Erst 7 von 60 Minuten waren auf mich eingeprasselt und meine Nackenhaare tanzen Tango.
Zurück in der Gegenwart sind 7 Jahre ins Land gezogen, seit hunderttausende Menschen spurlos von der Erde verschwanden. Jene Prämisse schreit schlechthin nach (pseudo-)wissenschaftlichen Erklärungen, doch offenbar bis zuletzt schreiben die Autoren um Lindelof selbstbewusst an sämtlichen Formeln der Drehbuchschule vorbei und suhlen sich stattdessen hemmungslos in Mythen, Träumen, Schmerz und Menschenliebe. Biblische Motive halten nunmehr verstärkt Einzug, und das entwaffnend ironiefrei. Ich persönlich bin nicht religiös, diese Serie indes ist meine Arche Noah. Wenn doch nicht an Gott, so glaube ich an Empathie, an Zusammenhalt, an das Leben. Oder tue zumindest mein Bestes.
Besagten Aufhänger um die so genannten "sudden departures" als MacGuffin einzuordnen, wäre andererseits frech. Er ist ein philosophisch konnotiertes Bild, darin allerdings von ungeheurer Wichtigkeit. Denn bestimmt jeder hat sich nach einem besonders schlimmen oder ausgesprochen schönen Ereignis schon einmal gefragt: "Womit habe ich das verdient?". Ist die Geschichte des Universums in Stein gemeißelt oder eine einzige gigantische Reihe von Zufällen? Wir existieren nüchtern betrachtet bloß deshalb, weil eine bestimmte Samen- und eine bestimmte Eizelle (unter Millionen) miteinander verschmolzen sind, eine Millisekunde später hätte nach 9 Monaten eine komplett andere Person meinen Platz auf der Welt eingenommen. Ich denke, ich kann im Zweifel gut damit leben, ein unbedeutendes Körnchen Sternenstaub zu sein, das 1985 in einer lauen Novembernacht vom Himmel fiel. Eine Laune der Natur. Ein paar Antworten hin und da wären zwar OK, manches hingegen will ich gar nicht wissen. Andere wiederum (in "The Leftovers" sind es die Mitglieder der Sekte Guilty Remnant oder der Priester Matt Jamison) ruhen nicht ohne die Gewissheit eines Lebenssinns bzw. einer höheren Fügung. Doch wie das halt so ist: Manchmal - zu oft - schweigt Gott. Für solche Momente empfehle ich eine gute Medizin: "The Leftovers".