The Sea of Trees - Matthew McConaughey wird ausgebuht

17.05.2015 - 08:50 UhrVor 9 Jahren aktualisiert
The Sea of Trees
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Gestern feierte Gus Van Sants The Sea of Trees mit Matthew McConaughey in Cannes Premiere. Bei der Pressevorführung wurde er ausgebuht. Aber warum?

Matthew McConaughey und Gus van Sant: Was kann da schiefgehen? Sehr viel, wie die Buhrufe nach der ersten Vorführung von The Sea of Trees bei den Filmfestspielen in Cannes beweisen. Das Drama über einen Amerikaner, der nach Japan reist, um sich in einem berüchtigten Selbstmörderwald das Leben zu nehmen, ist der erste Wettbewerbsbeitrag des diesjährigen Festivals, dem die Kritiker öffentlich ihren gesammelten Unmut kundgetan haben. Nicht in der Premiere, bei Anwesenheit der Stars, wohlgemerkt. Im vollen Saal befanden sich höchstens Pressemitglieder, Fachbesucher sowie die arme, hilflose Leinwand, auf der der Abspann rollte. Aber verdient der Film die Buhrufe? Verdient irgendein Film Buhrufe?

The Sea of Trees sollten tatsächlich keine Lorbeeren hinterher geworfen werden und schon gar keine goldenen Palmwedel. Matthew McConaughey schlägt sich redlich und schließt hinsichtlich seiner Rollenwahl nahtlos an seine Karriererenaissance an. Selten hat der frühere Romantic Comedy-Star so einen unauffälligen Normalo gespielt. Mit den körperlichen Strapazen, die in seinem neuen Film folgen sollen, ergänzt sein Auftritt in The Sea of Trees die Absage an die Sixpack-Poster der 2000er Jahre, welche Filme wie Dallas Buyers Club so deutlich formuliert haben. Doch so ideal die einzelnen Elemente zusammenzupassen scheinen - McConaugheys Figurentypus, Van Sant und ein todessehnsüchtiger Held, Naomi Watts und ein Glas Rotwein - so außerordentlich kalt lässt einen das Prozedere im Endeffekt. The Sea of Trees ist alles andere als ein abstrakter Film. Vielmehr bemüht sich das Drehbuch von Chris Sparling, auf jede noch so winzige Unklarheit erklärend zurückzukommen. McConaugheys trauernder, dem Leben entsagender Wissenschaftler geht bestenfalls als Best Of der McConaissance durch. Ein großer Monolog vor einem im Mitgefühl förmlich zerfließendem Ken Watanabe bettelt fühlbar um Academy-Anerkennung. Was einem wie McConaughey nun gar nicht zuzutrauen ist und eher von der disparaten Anhäufung von Szenen namens The Sea of Trees Auskunft gibt. Dem Star, einer der wenigen Lichtblicke im qualitativ zappendusteren Wald, können wir dafür kaum die Alleinverantwortung in die Schuhe schieben.

Was Gus Van Sant in den unterschiedlichen Phasen seiner Karriere zu einem der spannendsten amerikanischen Filmemacher werden ließ, wird in The Sea of Trees so seelenlos durch die Mangel genommen, dass eine Selbstparodie ohne Pointen übrig bleibt. McConaughey betritt mit dem real existierenden Wald Aokigahara ein verwunschenes Totenreich, um sich dort mit Tabletten zur letzten Ruhe zu betten. Unterbrochen von einem verletzten Selbstmörder (Watanabe), begibt er sich auf die Suche nach einem Ausgang aus dem Park. Doch was klingt wie Gerry Goes Japan, gerät anno 2015 zu einem plakativen Selbstfindungstripp mit zahnlosen Survival-Thrills. Ein in einer fehlkalkulierten Dauer-Anschwellung befindlicher Score überzieht die lustlos zusammengeschusterten Flashbacks zum Leben vor dem Wald, die aus einem anderen Film zu stammen scheinen. Die Ehefrau (Naomi Watts), die zu tief ins Weinglas guckt, die auf die Arbeit ihres Mannes (McConaughey) herabblickt, die ihm Vorwürfe macht, er verdiene zu wenig. Der Ehemann, der im Wald friert, schwindelt, blutet. Ein Schema ohne Raum für Entdeckungen. Alles gipfelt in mehreren Finalen, die in ihren Wendungen selbst einem Nicholas Sparks zu plump wären.

Aber deswegen buhen? Vielleicht waren die Rufe das vernichtendste Urteil, nicht weil sie ertönten, sondern wie: In einem kurzen Ausbruch, wenig Leidenschaft dabei, hallten die Buhs und Pfiffe durch den Zuschauerraum. Kein aus dem tiefsten Kritiker-Inneren kommender Hass, wie er dem Vernehmen nach beim Abspann von Only God Forgives ertönte. Auch der muss erarbeitet werden. Buh-Rufe begleiteten zwar so manches Meisterwerk, doch The Sea of Trees war wohl zu gewöhnlich "schlecht", um die anwesenden Zuschauer mehr als zehn Sekunden zur Strapazierung ihrer Stimmbänder anzuregen. Eigenartig wirkt es allemal, dem Buh-Chor zuzuhören. Eine Prise Fremdscham schwingt auch mit, wenn die gestandenen Kritiker auf so archaische Weise ihre Meinung äußern, weil die Tradition in Cannes es erfordert - oder ihr Verhalten sanktioniert. Wie meinte Matthew McConaughey in der Pressekonferenz zu The Sea of Trees so weise: "Jeder hat gleichermaßen das Recht zu buhen, wie das Recht zu jubeln."

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