Darsteller-Hypes habe ich nie so ganz verstanden. Kriterien, nach
denen ein Film für mich reizvoll wird, wären beispielsweise: Meine
Erfahrungen mit dem jeweiligen Regisseur, das behandelte Thema oder
Besprechungen durch Freunde/Kritiker, die mein Interesse wecken. Ja,
manchmal will ich auch nur ein bisschen mitreden. Meine Bewertung
bemesse ich grundsätzlich anhand des Drehbuchs sowie den Bildern, die
dafür gefunden werden. Über die herausragende Darbietung eines Mimen
oder eines Ensembles freue ich mich selbstverständlich ebenfalls, doch
in der Regel ist das lediglich mein I-Tüpfelchen, wenn alle Räder
ineinander greifen (im Rahmen eines kammerspielartigen Szenarios kann
eine Einzelleistung freilich etwas mehr an Gewicht gewinnen). Klar gibt
es Persönlichkeiten, die ich ausnehmend gerne mag. Kein Schauspieler auf
diesem Planeten jedoch rettet mir einen Streifen, der durchweg
schlampig/uninspiriert inszeniert ist oder dessen zugrunde liegendes
Skript vor Einfalt nur so trieft. Schlecht bleibt schlecht. Ich habe
schon Laiendarsteller gesehen, die durch hervorragende Führung
auftrumpfen sowie millionenschwere Akteure, die offenbar ziemlich
verheizt wurden, wenn sie sich durch unglückliche Rollenwahlenwahl nicht
sogar selbst schadeten. Auf allein sie zu setzen, wenn im ungünstigsten
Fall darüber hinaus rein gar nichts für den Film spricht, scheint mir
jedenfalls regelmäßig ein recht heikles Unterfangen. Robert Redford nun
wirft mein Filmverständnis zwar nicht über den Haufen - aber er ist
derjenige, der es beträchtlich durcheinander wirbelt. Plötzlich eröffnet
sich vor mir die Schauspielerei viel klarer als zuvor als singuläre
Kunstform.
Seine Vita weist auf dem Papier nicht unbedingt schwindelerregend viele Hits aus, was die Gefahr, ihn zu übersehen und weniger wertzuschätzen, sicherlich begünstigt. Jenseits von Afrika - obwohl mittlerweile leicht in Vergessenheit geraten - heimste seinerzeit 7 Oscars ein, an Die Unbestechlichen, Der Clou und Butch Cassidy und Sundance Kid - Zwei Banditen wird man sich zumindest erinnern, Der Pferdeflüsterer verliert - mit beiden Beinen in den 90'ern - gegen seinen Ruf, dahinter erste Fragezeichen und für den einen oder anderen wird Redford möglicherweise ewig der lächelnde Blonde sein, der Pferdeherzen heilt und Frauenherzen bricht. Unterm Strich kein Ankommen also gegen die ungleich illustreren Filmographien Robert de Niros, Marlon Brandos, Jack Nicholsons und anderer. Auch kann ich nicht behaupten, Filme wie Havanna oder Der Unbeugsame wären etwa sträflich unterschätzt respektive grob missverstanden - Redford hat unbestreitbar viel Durchschnittliches gedreht. Und doch ist so gut wie alles unter seiner Mitwirkung ein kleines bis mittelschweres Ereignis.
Dies hängt, vermute ich, damit zusammen, wie er
vermeintliche Gegensätze in sich vereint und auflöst. Das Aussehen des
jungen Redford verspricht Glanz & Glamour, sein Schauspiel dagegen
fällt allenfalls auf durch Präzision, die Abwesenheit von Overacting und
Allüren, bisweilen sogar zarte Kühle. Er ist ungemein attraktiv (das
Wort trifft zu, weil es weiter greift als bis zu den Konturen eines
hübschen Gesichts oder eines muskulösen Körpers), bestätigt aber nicht
im Geringsten Macho-Ideale von Härte und Überlegenheit. Für einen bloßen
Posterboy ist er seit jeher zu charismatisch. Sein Blick verrät ihn -
heute mehr als früher - um sein Wissen, was Einsamkeit bedeutet. Noch
kaum eine überflüssige Bewegung oder Geste von ihm hätte meine
Aufmerksamkeit erregt. Das ist so gut, dass man es erst einmal bemerken
muss. Nahtlos, für meine Begriffe, hätte Redford sich in das europäische
Autorenkino gefügt, von mir aus, um einen Vorschlag zu unterbreiten,
gerne unter Jean-Pierre Melville (Die drei Tage des Condor inspirierten mich zu diesem Gedankenspiel). Leider sollte es nicht dazu kommen.
Mit jenem faszinierenden Erscheinungsbild korrespondiert zum einen die Privatperson Redford, die seit Jahrzehnten - abgeschieden vom Hollywood-Trubel - ein Anwesen im verschneiten Utah bewohnt und unnötigen Trubel meidet, zum anderen aber auch so manche Figur, die er im Laufe seiner Karriere auf der Leinwand verkörperte: Jay Gatsby, Sonny Steele aus Der elektrische Reiter sowie, natürlich, der namenlose Skipper aus All Is Lost als mutmaßlich das Redford-Sinnbild sind je auf ihre Weise Abtrünnige - nirgendwo zugehörig, aber keineswegs ohne Identität und stark genug, Hoffnung und Haltung zu bewahren, was auch immer die Zukunft für sie bereithalten möge. Die Vorstellung, der verlorene Segler repräsentiere den letzten Mensch, erhebt das minimalistischen Werk von J.C. Chandor zu einer bewegend-intensiven Endzeiterfahrung. Gatsby schließlich trifft in Nick Carraway einen Bewunderer, Steele in der Reporterin Alice und der Schiffbrüchige notwendig in uns, weil wir die einzigen Zeugen seines Erlebens auf hoher See sind.
Dabei ist zweitrangig, ob Redford
sich frei auf weiter Flur befindet oder innerhalb sozialer Kreise
operiert - jeder Film, in den man ihn hineinsteckt, erweckt wie
automatisch das Gefühl, als wäre er um ihn herum gebaut worden.
Besonders ins Auge gestochen ist mir das bei Spy Game - Der finale Countdown
von Tony Scott - an und für sich ein eher gehaltloser, cheesy Spionage-Thriller
mit teils enervierenden Mainstream-Zugeständnissen. Wie cool und
süffisant Redford die Kiste jedoch für sich einnimmt, entlockt mir auf
Nachfrage zahlreiche Superlative. Zu jeder Sekunde könnte sein Auftritt
hier in Arroganz umschlagen, wie ein Film wie dieser es von ihm
gewissermaßen ja auch einfordern sollte. Doch es passiert nicht.
Prädikat: Eigentlich "uninteressant"; mit und wegen Redford: "Ganz gut".
Ein Klassenunterschied, der bis zum Superhelden-Genre durchschlägt. Ob
man Risiken damit einging, einen 78-jährigen Redford als
Haupt-Antagonisten auf das junge Zielpublikum des kommerziell
ausgerichteten Captain America 2: The Return of the First Avenger
loszulassen? Mitnichten, die Entscheidung entpuppt sich als
spektakulärer, um nicht zu sagen hellsichtiger Besetzungs-Coup. Würde
ich gefragt, wie man sein Spiel den üblichen Blockbuster-Gepflogenheiten
anpasst und gleichzeitig einen augenzwinkernden Stempeldruck sondergleichen
hinterlässt, ich müsste nicht lange überlegen, denn ein galanter Verweis
drängt sich geradezu auf. Zwar fand ich den Film ansonsten nicht
merklich kreativer als die sonstige Standard-Kost aus dem Hause Marvel,
aber das war mir ausnahmsweise und zu meiner eigenen Verblüffung egal.
Redford magic all the way.
Vielleicht ist jetzt ein ungünstiger Zeitpunkt, zuzugeben, dass ich im Grunde gar nicht weiß, was en détail einen soliden von einem ausgezeichneten und einen ausgezeichneten von einem herausragenden Darsteller unterscheidet, aber man soll ja ehrlich bleiben. Fan sein hat bekanntlich viel mit Sympathie, inneren Berührungspunkten und solchen Sachen zu tun, und doch erst an diesem Punkt wird es abseits streng gestaffelter Bestenlisten so richtig spannend. Könnte man immer so genau erklären, warum man gerade von etwas oder jemandem verzaubert ist, wäre man es gar nicht. Und so ähnlich verhält es sich letztlich mit all unseren Vorlieben. Doch zurück zu den Dingen, die ich bestimmt weiß: Niemanden sehe ich vor der Kamera so gerne wie Robert Redford.