Autor und Produzent David Chase hat mit der HBO Serie Die Sopranos definitiv Fernsehgeschichte geschrieben. Das Mafiadrama brachte Ende der neunziger Jahre einen neuen Qualitätsschub für das von manchen Filmfans so oft verpöhnte Medium TV. Der Aufbruch episodischer Strukturen, durchdachte Drehbücher, eine über mehrere Staffeln packend erzählte Geschichte und nicht zuletzt die ambivalenten Figuren sorgten dafür, dass Die Sopranos nicht nur bei den Kritikern gut ankamen, sondern auch ein großer Publikumserfolg wurden. Plötzlich war es wieder cool, zu sagen: “Ich glotz TV!” Und es ist fraglich, ob es Serien wie The Wire, Mad Men oder Breaking Bad ohne die Sopranos gegeben hätte. Auch wenn es in dem Mafiaepos, wie der Name schon sagt, nicht allein um eine einzelne Person, sondern um eine ganze Familie, deren Freunde und Bekannte geht, sticht doch ein Mann bzw. eine Performance ganz klar heraus. Mein heutiger Serienheld ist natürlich kein Geringerer als der so perfekt von James Gandolfini verkörperte Gangsterboss Tony Soprano.
Wer ist Tony Soprano?
Anthony John ‘Tony’ Soprano, Sr. ist zwar als waschechter Amerikaner in Newwark, New Jersey geboren, hat aber unverkennbar italienische Wurzeln. Sein Großvater Corrado Soprano Sr. wanderte 1910 in die USA aus, um als Steinmetz sein Glück in den Vereinigten Staaten zu suchen. Den Weg für Tonys spätere Karriere als Gangsterboss der Mafiafamilie DiMeo ebnete allerdings Tonys Vater John Francis ‘Johnny Boy’ Soprano, der gemeinsam mit seinem Bruder Junior Soprano den Weg für Tonys Aufstieg im organisierten Verbrechen vorbereite. Als Zuschauer lernen wir Tony quasi am Höhepunkt seiner kriminellen Karriere kennen. Zwar trägt sein Onkel Junior den Titel des Bosses der Familie, aber eigentlich lenkt Tony die Geschäfte bereits seit längerer Zeit nach seinem Geschmack. Die Machenschaften der DiMeo-Familie und sein hoher Status in der Rangordnung haben Tony zu einem wohlhabenden Mann gemacht. Zusammen mit seiner Frau Carmela und seinen beiden Kindern Meadow und Anthony ‘A.J.’ Soprano, Jr. lebt Tony komfortabel in einer Villa in einer der nobleren Gegenden von New Jersey. Bis jetzt konnte er zumindest gegenüber seinen Kindern den Schein erhalten, er verdiene sein Geld im Abfallbeseitigungsgeschäft.
Doch die Jahre als professioneller Gangster sind nicht spurlos an Tony vorrüber gegangen. Er leidet unter Panikattacken und steht kurz davor, in eine handfeste Depression abzurutschen. Zwei Probleme, deren Existenz er als Gangster und vor allem als stolzer Italiener niemals öffentlich zugeben könnte. Seinen eigenen Stolz kann er zumindest zeitweise herunterschlucken, als er sich dazu überwindet, eine Pyschotherapie bei der smarten Ärztin Dr. Jennifer Melfi zu beginnen. Hier merkt Tony, wie seine Herkunft und sein ‘Beruf’ sein Seelenleben immer stärker beeinflussen, schafft es allerdings nie komplett, seine Fassade als harter Bursche fallen zu lassen. Tony fühlt sich stets hin und her gerissen zwischen der Person, die er wirklich sein möchte und der Person, die er als Oberhaupt einer Mafia-Familie, sowie als italienischer Familienvater nach außen darstellen muss. Seine Crew muss er mit harter Hand führen, wobei Tony auch nicht vor Morden an seinen besten Freunden zurückschreckt, wenn die Situation es verlangt. Der Zuschauer kann sich allerdings vorstellen, dass Tony den Mafia-Kodex auch mehrmals ignoriert hätte, wenn es ihm irgendwie möglich gewesen wäre.
Warum Tony Soprano mein Serienheld ist
Das Stichwort muss an dieser Stelle vor allem lauten: Ambivalenz. David Chase hat mit Tony Sopranos eine Figur enrschaffen, die wohl zu den vielschichtigsten der gesamten Fernsehgeschichte gezählt werden muss. Auf der einen Seite ist Tony ein knallharter Gangster, der auch vor brutalsten Morden nicht zurückschreckt. Den Mafia-Kodex, nach dem er seit langen Jahren lebt, hat er fest verinnerlicht und lebt/arbeitet über weite Strecken nach diesen Idealen. Von den Mitgliedern seiner Crew fordert er allerhöchste Treue und Loyalität, obwohl er es gleichzeitig für angebracht hält, seine Frau regelmäßig zu betrügen.
Interessant wird die Figur des Tony Soprano an der Stelle, an der er beginnt, all diese Dinge in Frage zu stellen. Natürlich kann Tony seine Ideale, die er als stolzer Mafioso und Italiener jahrelang verfolgt hat, nicht von heute auf morgen komplett abschalten. Aber gerade der innere Konflikt, den der Gangster mit sich selbst austrägt, macht die Figur des Tony Soprano so unglaublich spannend. Tony merkt, dass er an seinem Stolz zu Grunde gehen würde, wenn er sich nicht ärztlich behandeln lässt. In der Therapie mit Dr. Melfi kommen Eigenschaften des hartgesottenen Mafioso ans Licht, die langsam seinen weichen Kern frei legen. Tony ist nich nur ein knallharter Gangster, sondern besitzt durchaus eine sensible Seite, die Dinge wie Natur, Kunst oder Romantik durchaus zu schätzen weiß, auch wenn er sich dies nicht immer gleich eingestehen kann. Trotzdem beginnt er langsam damit, mit den konservativen Lebensentwürfen zu brechen, die in seiner Umgebung propagiert werden. In diesem Sinne ist Tony, der Entenliebhaber, ein Pionier unter den verbissenen Berufsverbrechern, auch wenn er letztendlich natürlich nie komplett aus dieser Welt ausbrechen kann.