Videotagebücher und Kinderschänder

01.11.2010 - 07:00 Uhr
Maria Furtwängler auf der Suche nach dem Mordmotiv
ARD
Maria Furtwängler auf der Suche nach dem Mordmotiv
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Der gestrige Tatort erfüllte kaum die Erwartungen, jedoch sämtliche Klischees aus den Bereichen Single sein und deutsche Jugendämter.

Einsame Single-Frauen klagen ihr Leid gerne ihren Camcordern, etliche Männer mit unterdrückter Homosexualität laufen wie tickende Zeitbomben umher und in den Jugendämtern der Republik treiben nationalsozialistisch angehauchte Kinderschänder ihr Unwesen. Pflegeeltern sind Menschen, die aus mangelndem Selbstrespekt fremde Kinder aufnehmen – und diese dann aus Sorge, sie zu verlieren, in einem gemeinsamen Suizid um die Ecke bringen. Sollte man dem gestrigen Tatort: Der letzte Patient – dem schwächsten Lindholm-Tatort seit langem – Glauben schenken, so müsste die Politik effektivere Konsequenzen aus all den Vernachlässigungen durch das Jugendamt ziehen und unseren Männern laut mitteilen, dass vollkommen “okay ist”, schwul zu sein.

Foto-Show: die Bilder zum Tatort “Der letzte Patient”

Das Bild der glücklichen Familie wurde von Autorin Astrid Paprotta ordentlich demontiert und mit Schreckensklischees aufgeladen, um dann vom alteingesessenen Tatort-Regisseur Friedemann Fromm blass und leidenschaftslos inszeniert zu werden. Selbstverständlich gab es sie auch, die vermeintlich glückliche Ehe mit vor Freude strahlenden Sprösslingen, die morgens früh aus dem Bett fallen, um heiter zum Frühgeigenunterricht zu stürmen. Die Rolle von Lindholms Co-Ermittlerin schrie gewissermaßen danach, vom Zuschauer für seine Perfektion gehasst zu werden. Suzuki-Methode, ein Rezept für Verliebtsein (noch nach Jahren) und Kinder, die nach dem Sprachunterricht für die Eltern “mal was Exotisches” kochen: Jeder, der Kinder hat, weiß, dass man sich nicht gerne mit den “immer so perfekten” Nachbarn vergleicht. Leider wurde die Figur der Anja Dambeck als bloßer Kontrast zur einsamen Lindholm konstruiert, die im Tatort: Der letzte Patient den plötzlichen Auszug von Mitbewohner Martin verarbeiten musste.

Klassisch begannen die Ermittlungen von Charlotte Lindholm gestern, die mit gewohnter Souveränität von Maria Furtwängler gespielt wurde. Die Ärztin Dr. Silke Tannenberg wurde tot in ihrer Praxis gefunden, schnell war klar, dass Lindholms Chef Stefan Bitomsky etwas damit zu tun haben könnte: Er hatte eine Affäre mit ihr. Doch je mehr über diesen Fall zu Tage kam, desto weniger interessierte, wer Tannenberg ermordet haben könnte. Denn in der Zwischenzeit war Lindholm einem Missbrauchsfall auf der Spur: Der geistig zurückgebliebene Tim (Joel Basman) wurde misshandelt und später tot auf der Müllkippe entdeckt. Als Schänder und Mörder stellte sich sein Vormund beim Jugendamt heraus, der durch stolze Predigten auf seine Wikinger-Vorfahrenschaft ohnehin sofort den Argwohn jedes routinierten Krimikenners erweckt hatte. Der Beamte hatte sich bereits jahrelang an wehrlosen Pflegekindern vergangen, was Dr. Tannberg anzeigen wollte. Tim, Tims narzisstisch gestörter Pflegevater und sein ebenfalls misshandelter Pflegebruder (Pit Bukowski) wollten eine Anzeige und die damit verbundene Heimeinweisung verhindern, was zum Unfalltod der Tannenberg führte.

Die traurige Thematik hätte man leider um Längen besser inszenieren müssen. Allzu bemüht verschachtelt, allzu gewollt anprangernd kam Tatort: Der letzte Patient daher und vernachlässigte die Stärke der Lindholm-Reihe, die ansonsten nicht durch klischeebehaftete Rollenmuster von sich reden macht.

Jetzt seid ihr gefragt: Wie fandet ihr den gestrigen Tatort: Der letzte Patient?

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