Von der Kamera an den Schreibtisch

04.12.2017 - 16:40 UhrVor 6 Jahren aktualisiert
Mélanie Laurent in Inglourious Basterds.
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Mélanie Laurent in Inglourious Basterds.
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Jeder Filmmacher fürchtet sie - die Filmjournalisten. Diese Menschen, die sich anmaßen, harte Arbeit an kalten Sets gemütlich vom Schreibtisch aus zu sezieren. In den nächsten drei Monaten drehe ich den Spieß bei moviepilot um.

Ich habe beim Film eigentlich alles schon einmal ausprobiert. Vom Set-Runner, über Regisseurin, bis hin zu der undankbaren Aufgabe, bei einer Szene, in der Jugendliche von einem Balkon spucken, darunter zu stehen und alles mit einer Plane aufzufangen. Hier erzähle ich euch meine Reise in die unendlichen Weiten der Filmindustrie und wieder hinaus.

Die Komposition Film

Angefangen hat das alles, als ich als kleines Mädchen im Schlafzimmer meiner Eltern am Zeichnen war, sie den Soundtrack von Die fabelhafte Welt der Amélie hörten, und ich nach wenigen Minuten beschloss, Klavier zu lernen. Erst ein halbes Jahr später sah ich den eigentlichen Film und war fasziniert davon, wie die Bilder fast mit denen übereinstimmten, die mir die Musik in den Kopf gezaubert hatte. Ich begriff, dass im Film die drei Dinge zusammen kamen, die ich am meisten liebte: Musik, Schreiben und Zeichnen. Zusammen erschufen sie Geschichten, die durch ihre kombinierten Stärken noch viel mächtiger wirkten als im Einzelnen - und es gab noch mehr Kunstformen dahinter. Ich wollte sie alle meistern.

Jean-Pierre Jeunets Amelie - ebenso Komposition wie Film

Meine Schwester teilte meine Faszination und da wir beide der Harry Potter-Generation angehörten, wagten wir uns an unseren ersten Film: Ein Sommer im Fuchsbau, ein ambitioniertes Projekt mit beschränkten Mitteln, sprich, wir beide spielten zusammen neun verschiedene Weasleys, mit T-Shirts in verschiedenen Rottönen auf dem Kopf. Das alles fingen wir mit einem Camcorder ein, der in höchst prekären Positionen aufgestellt wurde und oft nur knapp dem Tod entkam. Das mag alles wie ein schönes Kinderspiel klingen, aber rückblickend war es ein fantastisches Basistraining. Ich lernte Kameratricks, kreatives Schneiden und vor allem, wie man mit praktisch gar nichts viel macht - die wichtigste Fähigkeit eines jeden unabhängigen Filmmachers.

Allrounder Robert Rodriguez macht es vor

Doch ich war ein schüchternes Kind und da das Interesse meiner Schwester am Filmemachen nicht so tief ging wie meines, musste ich mich aufgrund mangelnder Weggefährten danach erstmal mit dem Lesen von Fachbüchern und dem Schauen vieler Making-ofs begnügen. Dabei lernte ich plötzlich auch Englisch und Sprachen im Allgemeinen lieben. Ein paar Jahre später fragte mein Vater mich besorgt, was ich denn bei all den Dingen, die ich da tat, später beruflich machen wollte. Ich wollte alles machen.

Das kannst du nicht, sagte er und leider gaben ihm die gefühlt immer länger werdenden Abspanne der Filme, die ich liebte, recht; die meisten Menschen beschränken sich wohl auf ein Feld. Dieser düstere Zukunftsausblick machte mir Angst. Doch dann fiel mir die DVD von El Mariachi in die Hände, jener berüchtigte Erstlingsfilm von Robert Rodriguez, der die Indie-Szene explodieren ließ. Der Mann hatte den Film produziert und geschrieben, führte Kamera und schnitt ihn selbst. In seinen späteren Filmen komponierte er sogar selber die Musik. Er war mein Held und ich weiß nicht, ob er mich rettete oder verdammte. Aber mit ihm als leuchtendes Beispiel vor den Augen beschloss ich, daran festzuhalten, so viele Disziplinen wie möglich auszuüben.

Der Mariachi muss fast so vielseitig sein wie sein Regisseur Robert Rodriguez

Ich lernte Musikinstrumente und Sprachen, kaufte eine vernünftige Kamera und begann schon sehr jung, viel zu reisen. Meine ersten etwas professionelleren Filme waren Musikvideos von befreundeten Musikern und Dokumentationen über Projekte, an denen ich arbeitete. In meiner Freizeit schrieb ich epische Fantasy-Filme und natürlich schlug ich mir die Nächte mit Filmeschauen um die Ohren. Die Welt des Films schien dieser fantastische Elfenbeinturm zu sein, in dem Künstler und Handwerker zusammenkamen, um wundervolle Geschichten zu erschaffen. Dann kam mein erstes Praktikum bei einer Filmproduktionsfirma und meine Vorstellungen brachen zusammen.

Harte Realität

Die Bürokratie beim Film ist grenzenlos, kompliziert und sehr beängstigend. Überall und vor allem am Set herrschen brutale Arbeitszeiten und alle müssen hetzen, um überhaupt ihre Arbeit zu schaffen. Dabei bleibt meist kaum Zeit, sich kennen zu lernen, geschweige denn sich über die große gemeinsame Leidenschaft Film auszutauschen. Ich fing an, bei Studentenproduktionen mitzumachen, bis ich Set-Praktikantin und später sogar Kamera-Assistentin bei professionellen Filmen wurde. Ich sagte mir, dass die schlimmen Umstände dem engen Budget und Zeitplan der Fernsehfilme geschuldet waren. Doch dann arbeitete ich an Deutschlands bisher teuersten Serienproduktion: Tom Tykwers Babylon Berlin. Nie habe ich mehr Hektik, Tränen und Streit beim Film erlebt. Natürlich war es wundervoll, die Kostüme, die riesigen historischen Sets und natürlich die Regisseure bei der Arbeit zu sehen. Es gab viele schöne Momente. Doch eins bestätigte sich mir wieder. Wer Film in Vollzeit macht, hat kaum noch Zeit, Filme zu sehen. Und das fehlte mir sehr.

Also verließ ich den professionellen Film und begann wieder, selber Kurzfilme zu drehen. Das ist zwar ebenso wahnsinnig anstrengend, doch man lacht öfter als man weint und ist sein eigener Herr. Ich kann selbst entscheiden, ob ich sowohl Regie als auch Musik machen möchte. Wenn jemand Spucke auffangen muss, dann machen das alle gemeinsam oder abwechselnd.

Die Filmindustrie hat mich sehr verschreckt und ich muss mir weiterhin überlegen, ob ich da erneut einsteigen will. Doch meine tiefe Liebe zum Film ist geblieben. Neben der eigenen Produktion möchte ich mich endlich wieder mit den vielen Filmen, die da draußen sind, beschäftigen, vom gemütlichen Schreibtisch aus. Wie gemütlich der wirklich ist, werde ich jetzt als Praktikantin bei moviepilot in den nächsten Wochen sehen. Ich freue mich sehr auf die neue Herausforderung und bin gespannt, diesen Teil der Filmwelt kennenzulernen.

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