Von der Prärie zum Ödland – Fallout als Endzeit-Western

18.11.2015 - 08:50 UhrVor 8 Jahren aktualisiert
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Bethesda Softworks
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Wenn es um die Spielmechanik geht, wird die Fallout-Reihe regelmäßig in ihre Bestandteile zerlegt, die Beschreibung der Spiel-Thematiken beschränkt sich jedoch auf das Erwähnen der Postapokalypse. Aber Fallout ist weit mehr als das ...

Genres sind nützlich, denn sie bieten Orientierung in einer Unterhaltungsindustrie, die komplexer und verwirrender kaum sein könnte. Wir möchten einen Namen finden für unseren persönlichen Geschmack, damit wir gezielt nach verwandten Werken suchen können, bei denen wir ganz genau wissen, dass wir unseren Spaß haben werden. Das gilt für Metal-Enthusiasten ebenso sehr wie für Film noir-Fanatiker. Und natürlich hat auch die Welt der Videospiele ihren Satz an Kategorien längst entdeckt.

Aus Alt mach Neu

Fallout 4 steht seit über einer Woche in den Regalen und für alle, die nicht wissen, was es mit dem Spiel auf sich hat, gibt es eine klare Einordnung: Fallout 4 ist ein First Person-Action-Rollenspiel. Das ist umständlich formuliert, aber im Grunde korrekt. Was bei Videospielgenres aber gern vergessen wird, ist die Tatsache, dass sich gerade erzählerisch aufwendige Titel nicht allein über ihre Spielmechanik einordnen lassen. Fallout 4 ist nämlich nicht nur ein First Person-Action-Rollenspiel, sondern vor allem auch ein klares Beispiel für einen Endzeit-Western.

Huch, ein Western? Cowboys, Indianer und Duelle auf der Hauptstraße? Zugegeben, wir fahren nicht gerade mit unserem Planwagen durch den unerschlossenen Westen, dennoch bedient sich die Fallout-Reihe seit jeher an den Motiven des Western-Genres. Nur werden sie aus der staubigen Prärie in das unwirtliche Ödland verfrachtet, das die Vereinigten Staaten nach dem großen Atomkrieg von 2077 auszeichnet. Aus dem Wilden Westen wird das wilde Ödland und wir betrachten die USA nicht mehr vor dem Erwachen der Zivilisation, sondern nach ihrem Zusammenbruch.

Lucas Simms ist das Gesetz in Megaton

So unterschiedlich die Umstände auch sind, an der Lebenswirklichkeit der Bewohner hat sich dabei kaum etwas geändert. Die Welt ist rau, gefährlich und befreit von jeglicher Ordnung oder Infrastruktur. Es herrscht das Faustrecht und nur wer stark und zäh genug ist, kann sich auch behaupten. Und auch das Setting der Fallout-Titel passt sich dem filmischen Vorbild an. Wir laufen durch weite Ebenen, stoßen auf ärmliche Siedler oder marodierende Banditen und natürlich warten die größeren Ortschaften auch mit Sheriff und zwielichtigem Saloon auf.

Einsam in der Ödnis

Als Vault-Bewohner, der mehr oder weniger freiwillig seine sichere Umgebung verlässt, um in die für ihn unbekannte Welt vorzustoßen, schlüpfen wir in die Rolle des einsamen Outlaws. Wir stehen zwischen der Barbarei der Raider und den sesshaften Stadtbewohnern und erleben unsere Abenteuer, in die uns Bethesda auch in Fallout 4 wieder entlässt, als eine persönliche Grenzerfahrung. Wir verharren im Widerspruch mit uns selbst und kämpfen gegen die Lebensfeindlichkeit der Umgebung, weigern uns aber auch, sie zu verlassen.

Denn als Outlaw, der sich jeder Gesetzgebung entzieht, sei sie auch so noch rudimentär, folgen wir ausschließlich unserem eigenen Moralkompass. Wir definieren uns über unsere Erfolge im Ödland und greifen damit den Gründungsmythos der USA wieder auf. Das Triumphieren in ungeregelten und gefährlichen Bedingungen ist das Ideal, das uns Fallout 4 auch durch die Ziele zu verstehen gibt, die es im Spiel zu erreichen gibt. Jede Quest und jeder spielmechanische Fortschritt zwingt uns in das Ödland und in die Fänge von wilder Fauna und psychotischen Banditen.

Die Ghule in Fallout sind manchmal wild, manchmal zivilisiert

Doch es ist nicht nur das zugrunde liegende Thema, das Fallout zum Endzeit-Western werden lässt. Auch die Ästhetik und das Grundgefühl der Western-Filme finden sich hier wieder. Die Bewaffnung des Einzelnen ist selbstverständlich, nur dass aus den Revolvern plötzlich selbstgebastelte Pistolen und Lasermusketen werden. Aus den rechtschaffenden Cowboys werden die Minutemen, die auch modetechnisch klar dem Hollywood-Trend folgen, aus den Indianern und der Rassenthematik werden "indigene" Ghule und Apartheid. Die Banditen überfallen nun fahrende Händler mit ihren zweiköpfigen Brahmins statt antiquierte Postkutschen.

Die Mischung macht's

Während die Erfahrung des Ödlands die Eroberung des Wilden Westens widerspiegelt, greift der Charakter der Spielfiguren den Zynismus und die Schonungslosigkeit der Italo-Western auf. Alles ist schmutzig und dreckig, während die exzessive Gewaltdarstellung der Fallout-Spiele deutlich macht, dass jedes Mittel recht ist, wenn die eigenen Ziele damit erreicht werden können. Fallout ist ein Hybrid aus John Wayne und Clint Eastwood, der sich auf die Regeln der frühen Western verlässt, sie aber gleichzeitig um das Fantastische der europäischen Western erweitert.

Das Art Design der Fallout-Reihe lässt uns nie vergessen, in welcher ehemaligen Zivilisation wir uns befinden. Obwohl der Bombenregen das Leben nahezu unmöglich gemacht hat, werden wir durch den verblassten Retrofuturismus der 1950er Jahre ständig an den amerikanischen Traum erinnert, der in aller Deutlichkeit gescheitert ist. Doch trotz dieser Erkenntnis verbleiben die letzten Bewohner des Ödlandes in der Suche nach der Wiederherstellung des Einstigen. Alles soll so werden, wie es früher einmal war und notfalls durch Gewalt.

Diese Lesart bleibt leider außen vor, wenn wir von einem First Person-Action-Rollenspiel reden.

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