Von Tarkovski zu O.C., California

03.09.2012 - 08:00 UhrVor 11 Jahren aktualisiert
O.C., California
Warner
O.C., California
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Was uns Tarkovski für die Wertschätzung einer Serie wie O.C., California lehren kann, erfahren wir in diesem Beitrag zur Aktion Lieblingsserie. Ebenso, dass reich und schön zu sein keine Abkürzung zum Glücklichsein darstellt.

Als ich deprimiert vom Abschlussball nach Hause kam, sah ich O.C. Als ich gequält von der Weisheitszahn-OP kam, sah ich O.C. Und in der schlaflosen Nacht vor meinem ersten Schultag auf dem Fachgymnasium sah ich O.C. Nur, um in eine andere Welt zu flüchten. Um mich nach den verschiedensten Lebenssituationen abzuspannen oder mich von fundamentalen Brocken eines Lars von Trier, Gaspar Noé oder Alejandro González Iñárritu zu erholen. Um in die Welt zwischen Erstreben, Intrigen, dem (nicht ganz so) normalen Erwachsenwerden und verzwickten Freundschaften, Verhältnissen oder Beziehungen einzutauchen. Eine Welt, in der die Sonne immer scheint, doch nicht überall.

Ich las einmal „"O.C., California (O.C., California)":/serie/oc-california ist für mich das amerikanische GZSZ, nur eben am Strand.“ Doch das ist es bei langem definitiv nicht. In O.C., California geht es um weit mehr als um die alltägliche Berliner Lebensart, Fremdgehereien und seltsame Ménages-à-trois. In O.C., California geht es ums Leben im vielerlei erträumten Paradies, und dass es im amerikanischen Traumland, im wunderschönen Kalifornien, genauso wenig einfach ist wie im kalten Deutschland, im verschuldeten griechischen Dörfchen oder im Land der Arbeitstiere, Japan. In O.C., California dreht sich das Leben nämlich viel weniger um den vermeintlichen Genuss der vielen Sonnentage, der palmenübersäten Strände oder der amerikanischen Freiheit, was uns für Momente vielleicht wie ein Traum vorkäme, sondern vielmehr um Betrüge, Abgründe, Hinterlistigkeiten und die manchmal ebenso normale wie verzweifelnde Lebensweise in einer Gesellschaft im Schein des finanziellen Überflusses. Wie eine Lisbeth Salander es mal ausdruckslos und äußerst ehrlich über die Lippen brachte: „Jeder hat Geheimnisse.“ Auch die Reichen, die Schönen und die, von denen wir dachten, dass sie eigentlich glücklich sein sollten. Denn sie haben alles.

Doch genau das ist der Kern der Serie: All das Haben, Besitzen und Verfügen macht nicht glücklich. Kein Geld der Welt, nicht das teuerste Auto in der Garage und auch kein Poolhaus im monströs angelegten Garten. Sondern einzig die Menschen, mit denen man das Leben teilt, was in Anbetracht des gesamten Verlaufs der Serie immer wieder zur Geltung kommt.

An und für sich ist genau diese Finesse der große Pluspunkt des Geschehens: Die Sympathie einer Serie, durch die man vollkommen mit ihren Elementen und ihrem Inhalt verschmilzt; das „in eine andere Welt flüchten“ wird erschaffen; und vielleicht nicht unbedingt in eine bessere, aber in eine Welt, in der es vertraute Menschen gibt, die mich mit mehr oder weniger offenen Armen empfangen. Abschalten. Eigene Probleme vergessen. Eintauchen. Die Probleme anderer fühlen. Genau das schafft O.C., California für mich.

Dabei ist Seth Cohen mein Held auf Ewigkeit. Nicht nur, dass uns viele Parallelen verbinden, sondern weil er einfach eine so authentische Figur ist, in die ich mich persönlich wie in keine andere Figur aus der Film- und Fernsehwelt einfühlen kann. Seth – oder herzlich einfach „Cohen“ genannt– ist der Außenseiter, versteht vieles dieser Welt nicht, und manch einer ihn dadurch nur zu gut. Am liebsten segelt er allein ins weite Meer hinaus, dort kann ihm keiner was. Er liebt Comics, zeichnet seine große Liebe Summer gerne als Actionheldin „Miss Satansbraten“, hat Humor, Sensibilität und liebt Sarkasmus.

Oder die faszinierende Femme fatale der Serie, Julie Cooper, die versteckte Filmbösewichtin, in der die Oberflächlichkeit der Society besonders aufblühend zu erkennen ist: Sie, aus armen, schwierigen Verhältnissen, ist die Figur schlechtweg, die partout die Oberflächlichkeit und Geistlosigkeit einer – keinesfalls überall und in diesem Bild pauschalisiert bestehenden, aber existierenden – Gesellschaft widerspiegelt. Jedoch wird praktisch nie plakativ gezeigt „Wer ist böse und wer nicht?“, sondern „Jeder ist in irgendeiner Weise ‚böse‘, jeder macht Fehler, jeder handelt mal falsch, viele Menschen sind ‚schlecht‘, doch in ebenso vielen schlägt auch ein Herz, in ebenso vielen ist auch ein weicher Kern und in ebenso vielen steckt auch ein Wert, dass ihnen verziehen wird“, was den Horizont der Serie in Sachen Glaubwürdigkeit und Einfühlungsvermögen um einiges erweitert.

Filme sind toll, und O.C., California mag für den intellektuellen Filmkunstliebhaber, von dem ich mich nicht allzu weit ausschließen möchte, sicherlich nicht progressiv oder revolutionär in seiner Art und Weise sein. Doch wie Tarkovsky einmal „Wir schauen nur, aber wir sehen nicht“ erwiderte, so sollten wir auch O.C., California beurteilen, denn es steckt weitaus mehr drin als das, wonach es nach zwei, drei Malen Reinschalten ausschaut.

Und wie viele Songs habe ich schon für mich entdeckt, die die Serie und ihr Leben begleiten, die nun auch mein eigenes Leben untermalen? Wie viele Themen, die auch mein Dasein beschäftigen, haben die Figuren meiner Lieblingsserie ebenfalls durchlebt – vom Trennungsschmerz und den, nicht nur von Liebschaften ausgehenden, Familienkatastrophen, dem schulischen Alltag, dem Desaster in der Nachbarschaft oder der ein oder anderen ungewollten Konfrontation mit der Vergangenheit?

O.C., California bedeutet für mich einen großen Teil des Lebens, denn Abschalten kann ich bei dieser Serie wie bei keinem anderen Film.


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