Wicked City - Unser erster Eindruck

29.10.2015 - 09:11 UhrVor 8 Jahren aktualisiert
Der charmante Killer Kent auf der PirschABC Networks
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Ein Killer(-Pärchen) mordet sich durch das Los Angeles der 1980er-Jahre. Dem verführerischen Bösen wird dabei viel Screen-Time eingeräumt. Wir haben den Piloten der Anthologieserie Wicked City ganz genau unter die Lupe genommen.

Im Jahr 1982 muss der Sunset Strip in L.A. sowas wie der Styx-Fluss der westlichen Zivilisation gewesen sein. Dem Mörder in der neuen Krimiserie Wicked City jedenfalls dient der sündige Boulevard of Broken Dreams als beständiger Quell frischer Opfer in Form liebesuchender Frauen. Wieder einmal also fliegt Los Angeles, der produktivsten Fiction-Stätte der Welt, sein nett gemeinter Kosename um die Ohren. Denn in diese Stadt der Engel hat sich bestimmt schon lange kein Engel mehr verirrt. Und wenn doch, dann nur, um dem Traum zigtausender anderer zu folgen, Schauspieler, Model zu werden oder irgendwas, das die Verlockungen ungeteilter Aufmerksamkeit entrichtet. Aber die Stadt wendet sich gegen ihre Bürger, und wo Sünde ist, da wird auch gemordet, nicht nur leidenschaftlich, sondern ziemlich strukturiert, serienmäßig.

Seit Jahrzehnten präparieren Los Angeles' Drehbuchautoren ihre Stadt in einem neurotischen Akt zu einem bösen Zwilling ihrer selbst, in dem die bösesten, verdorbensten, sündigsten Eigenschaften dieses kulturellen Glutofens ausgestellt werden. Deshalb ist auch der erste Bewohner, den wir in Wicked City heraus aus dem Fenster eines donnernden Mustangs sehen, eine Prostituierte. In diesem Mustang kriegt der verehrte Killer schon bald einen Fellatio serviert, aber erst dann einen hoch, als er auf seine Auserwählte des Abends einsticht – mit einem Messer wohlgemerkt. Das Messer hatte er griffbereit da versteckt, wo viele Menschen in den Achtzigern ihre Autoschlüssel deponierten.

Ein neuer Tag, eine neue Leiche

„Another Day, Another Body in der Mord-Hauptstadt des Landes.“, gibt der zynische Moderator eines Radiosenders am nächsten Morgen an die Bevölkerung durch. Unter jenem Off-Kommentar tritt Detective Jack Roth (Jeremy Sisto) auf. Am Tatort ist direkt was faul, denn rein zufällig wurde die Leiche genau dort abgelegt, wo der legendäre Hillside-Strangler knapp fünf Jahre zuvor sein erstes Opfer drapierte. Schon am Tatort muss Roth überdies Abteilungsgrabenkämpfe mit einem unangenehmen Kollegen ausfechten. Ohnehin sehen wir bei Detective Roth das volle Cop-with-Character-Programm: einsamer Wolf, Koks, Geliebte, liebende Frau, pubertierende Tochter und bald ein neuer, ungewollter Partner (der unangenehme Kollege von oben, versteht sich). Die aufgetakelte Ausgestaltung seiner Figur steht dem meist etwas schwerfälligen Jeremy Sisto aber eigentlich ganz gut.

Mit Jack Roth als starkem Vertreter der Guten müssen wir uns aber wohl zufrieden geben, weitere schlagkräftige Instanzen deuten sich bislang nicht an. Diese zehn Episoden umfassende Anthologieserie läuft ganz klar auf ein Fernduell zwischen Mörder und Cop hinaus. Im Pilot gewinnt da ziemlich deutlich der charismatische Mörder Kent, gespielt von Ed Westwick (Gossip Girl). Killer Kent hat ein Herz für Kinder und zementiert damit den nicht mehr ganz neuen Dexter-Allgemeinplatz: Auch die psychopatischsten Mörder sind am Ende doch nur Menschen mit einem natürlichen Verlangen nach Wärme. Kent, von dem mehr als die Hälfte der Spielzeit bestritten wird, bandelt an mit der Mutter und Krankenschwester Betty (Erika Christensen). Die lebt ihre sadistische Neigung vorerst noch an Patienten und Spinnen aus. Und damit Kent beim Beischlaf sein nötiges Nekrophilie-Feeling kriegt, stellt sie sich währenddessen schlafend. Zum Ende der Episode machen sich die beiden auf zum ersten gemeinsamen Mord, unter Killer-Paaren sowas wie die Fifth Base.

Se7en lässt grüßen

Die uninspirierte Achtziger-Playlist fällt dabei nicht groß auf und wirkt ziemlich obligatorisch, nach dem Motto: Wir sind halt in den Achtzigern, müssen wir Achtziger spielen. Trotzdem ein netter Einfall: Jedes künftige Opfer wird vom Killer mit einem Radiogruß plus Song gekennzeichnet. Mit einer gutgemeinten Sieben-Reminiszenz hat sich Wicked City dann allerdings vielleicht schon selbst verraten und offenbart, was ihm bei aller Unterhaltsamkeit fehlen könnte: Klasse nämlich. Wicked City zeigt mit ausgestrecktem Finger auf den abgetrennten Kopf im Karton, wo andere ein Gespinst aus Angst und undenkbaren Vermutungen ersannen. Wicked City geschieht das, was so mancher amerikanischer Qualitätsserie bei allen erzählerischen Wundertaten ebenfalls widerfahren ist: ein gewisser filmsprachlicher Analphabetismus in Gewaltszenen.

Bestenfalls wird Wicked City trotzdem das, was Zodiac - Die Spur des Killers hätte werden können, wenn ihm das vergönnt wäre, wovon Wicked City mit seinen zehn Episoden massenhaft zur Verfügung steht: viel Zeit. Davon bekommt hoffentlich auch Taissa Farmiga als Jung-Journalistin noch mehr. Denn der Fokus liegt doch auffällig stark auf dem Handlungsradius des allerdings auch ziemlich interessanten Mörder-Pärchens. Vielleicht wollen die Herren Jon Cassar und James M. Muro (beide Regie) aber auch zu sehr wie Dexter sein. Das nun wäre dem ersten Eindruck zufolge für alle Beteiligten wohl eine Nummer zu groß.

Werdet ihr Wicked City eine Chance geben?

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