Jeder kennt das aus der Schule. Wirklich jeder. Ihr ebenso wie ich, zumindest, wenn ihr zu einer Zeit in der Schule wart, zu der es bereits Fernsehwagen gab. Das Halbjahr neigt sich dem Ende entgegen, oder es hat zwar gerade begonnen, aber die Büchervergabe hat noch nicht stattgefunden. Der Lehrer steht vor der Klasse, die sich mit ihm ein buchstäbliches Western-Stareoff liefert, während man es in seinem Kopf rattern und klicken hört, denn er überlegt fieberhaft, was man mit der Stunde jetzt anfangen kann. Mit dem Lernstoff ist es schon vorbei oder man kann noch nicht anfangen. Was tun? Ein Spiel spielen? Wiederholungen? Bis einer aus der Klasse den altbekannten Satz ruft: „Wir könnten einen Film schauen!“
Üblicherweise läuft das dann auf Dokus über das Dritte Reich, die Französische Revolution oder den molekularen Ablauf von Fotosynthese heraus.
Aber wenn man ganz viel Glück hat, hat man den/die richtige/n Lehrer/in, der/die in weiser Voraussicht etwas aus seiner/ihrer DVD-Sammlung herausgesucht hat, das zumindest halbwegs inhaltlich zum Fach passt, dabei aber aus den drögen Mustern von Lehrfilmen ausbricht.
Ich habe mich in meiner Schulzeit so einige Male durch die eben erwähnten Dokumentationen quälen müssen, doch ich hatte auch eine Hand voll richtig guter, menschlicher Lehrer, die den Wert guter Filme begriffen hatten. Hier möchte ich über die ganz besonderen Erlebnisse und Varianten des „Schau’n wir ‚nen Film“s berichten, die meine Liebe zur Kunst von Kino, Kultur und Bühne geschürt, bestärkt oder geweckt haben.
1) Film? ...Musik? Musikfilm!
Bis zur achten Klasse habe ich mich nicht im Geringsten für Musical interessiert. So gar nicht. Vielmehr war ich ein großer Fan von Mozart-Opern (ja, Opern). Aber Musical? Ich hatte zwar von einigen gehört, doch wirklich gekannt habe ich nur Disneyfilme, in denen mich das ständige Gesinge streckenweise doch eher ermüdete.
So hielt ich an meiner Abneigung gegen etwas, das nur mit Gesang und Tanz erzählte, stocksteif fest.
Doch dann beschloss mein Musiklehrer, meine Meinung gründlich zu ändern. Denn er brachte zu Halbjahresende die DVD-Version von Andrew Lloyd Webbers „Cats“ mit. Dabei gehörte Musical so gar nicht zu unserem Unterrichtsstoff. Und schon das Intro fesselte mich. Musik, Bild und Bewegungen waren eine perfekte Einheit, und für die folgende Woche hatte ich den Ohrwurm meines Lebens.
Ein guter Mitschnitt von Musicals ist eine ganz eigene filmische Herausforderung. Den richtigen Schnitt zu setzen, um die Dynamik einer Choreographie nicht grausam abzuwürgen, zur richtigen Zeit den Solisten einzufangen...es ist wirklich nicht leicht, doch bei dieser DVD ist es hervorragend gelungen. Ich besitze inzwischen dieselbe, und habe von dem Tag an ein Musical nach dem anderen kennen und lieben gelernt.
Ein Jahr später waren meine Klassenkameraden und ich der festen Überzeugung, eine Art Strafe in Form unserer schrulligen neuen Musiklehrerin erlitten zu haben. Sie war schräg, sie war pingelig, und konzentrierte sich dann auch noch auf genau den Stoff, der niemanden interessierte. Aber ich konnte mich mit ihr anfreunden, jedenfalls ab dem Tag (tatsächlich mitten unter dem Schuljahr!), an dem sie eine DVD mitbrachte und einlegte, ohne uns den Titel zu nennen.
Es war ein wunderschöner Film, mit klaren Bildern und Metaphern, einer beeindruckenden Geschichte über einen faszinierenden Menschen und verdammt guter Musik. Blues. Jazz. Ein wenig Country, R’n B und Soul. Er riss mich emotional und musikalisch derart mit, dass ich lautstark „Hit the Road, Jack“ singend nach Hause radelte. Und im Mittelpunkt ein Schauspieler, über dessen Identität ich mir erst 4 Jahre später klar werden sollte: Jamie Foxx.
Ich begriff bis lange in den Film hinein nicht, dass es sich um ein biographisches Werk handelte. Mit so etwas hätte ich ja ohnehin nichts anfangen können. Ich lebte meine eigene Geschichte, und sah mir Filme an, um etwas zu haben, was nicht der Realität entsprach, was sollte ich mir da das Leben anderer Menschen filmisch einverleiben? Tja, als ich dann begriff, dass ich hier eine filmische Biographie über Ray Charles mit dem schlichten Titel „Ray“ schaute, war ich völlig überrumpelt. Durch diesen Film lernte und verstand ich so viel mehr von der Entwicklung der Musik in Amerika und auch von der Geschichte der Rassentrennung dort, als es mir ein ganzes Schuljahr hatte beibringen können. Vielleicht hatte meine Lehrerin so etwas ja geahnt...
2) Ein Film rennt gegen mein Desinteresse an
In der zehnten Klasse beschäftigt man sich ausführlichst mit Dramen der Aufklärung und des Sturm und Drang. Ergo auch viel mit Theater, wenn man viel Pech hat, wird man auf eine nicht wirklich hochwertige Bühnenvorstellung von „Die Räuber“ mitgeschleppt.
...oder man hat eine coole Referendarin, die die Analyse von dramaturgischen Mitteln im Theater auf Filme erweitert. Und die einem den Film als Kunstform plötzlich völlig begreiflich macht und einer sturen Sechzehnjährigen zeigt, dass „Kunstfilme“, wenn sie gut gemacht sind, locker mit Blockbustern mithalten oder diese sogar übertreffen können.
Gegen Ende des Schuljahres neigen Lehrer dazu, den Teil des Lehrplans und des Deutschbuches außen vor zu lassen, der kein essentieller Bestandteil des Stoffes ist. So wie etwa das Thema „Film als Kunstmedium“ mit dem im Buch vorgeschlagenen Beispiel „Lola rennt“. Nicht so unsere Referendarin!
Die setzte sich mit uns hin und ließ uns erst einmal den Film anschauen. Während viele sich innerhalb kürzester Zeit langweilten, war ich im wahrsten Sinne des Wortes „geflasht“. Ich ging mit etwas weichen Knien aus dem Klassenzimmer, weil dieser Film einfach sehr intensiv ist. Alles, was passiert, spricht in gefühlten tausend Sprachen auf einmal, und der ganze Film rennt selbst.
Er besticht nicht durch eine großartig neu erzählte Story, nicht durch große Effekte, nicht durch fremde Welten, sondern durch das Medium Film und seine Möglichkeiten selbst. Er ist ein pulsierendes Kunstwerk, und hat mir wieder die Augen für etwas Neues geöffnet.
3) Das Leben ist schön – und italienisch!
An dieser Stelle werde ich wieder keinen Namen nennen, aber wenn meine Italienischlehrerin, die ich das Glück hatte von der zehnten Klasse bis zum Abi zu haben, das jetzt liest: Liebe Grüße und Dankeschön für diese drei Jahre! Und für die Filme, die Sie uns immer mitgebracht haben.
Diese Lehrerin schaute nämlich gerne und viele Filme mit uns, weil sie genau wusste, wie spielerisch und leicht man ein Gefühl für eine neue Sprache und auch ihr Land bekommt, wenn man sich Filme aus diesem Land ansieht.
Und unsere Lehrerin nahm sich darum natürlich der italienischen Filmkunst an, der einige beeindruckende Werke entsprungen sind. Wir schauten uns das italienische Remake von „Willkommen bei den ‚Schtis“ an, „Willkommen im Süden“.
Welchen ich übrigens tatsächlich lustiger fand als das Original, aber das liegt vielleicht an meiner Liebe zum Fach Italienisch. Doch wir sahen uns auch unverwechselbare italienische Originale an wie „Nuovo cinema Paradiso“, der wirklich zu Herzen geht.
Und so lernte ich letztendlich auch einen Film kennen, der mich berührt hat wie kein anderer, bei dem ich gelacht und geweint habe wie bei kaum einem anderen, und dessen Intensität und Schönheit man wirklich nur ganz erfährt, wenn man ihn im Originalton ansieht – wenn auch mit englischen Untertiteln, weil man nach 2 Jahren Italienisch definitiv noch lange nicht in der Lage ist, einem Film sprachlich gut folgen zu können.
Ich bin sicher, ihr wisst, von welchem Film die Rede ist. Roberto Benigni brilliert hier als der beste Vater aller Zeiten mit der schönsten und traurigsten Liebesgeschichten aller Zeiten: Die Rede ist natürlich von „La vita è bella“, zu Deutsch: „Das Leben ist schön“.
Nie habe ich mir so sehr gewünscht, von meinem Zukünfigen „Principessa“ genannt zu werden und auf einem Pferd in den Sonnenuntergang zu reiten. Nie hat ein Film mehr die Gewissheit vermittelt, dass einen eine liebende Familie auffängt und beschützt, was auch immer passiert.
Und nie wurde auf bittersüßere Art dargestellt, was für ein Verbrechen der Holocaust war, und das nicht nur bei uns in Deutschland. Die Geschichte von dem Vater, der es schafft, seinem kleinen Sohn ein Konzentrationslager für ein Spiel vorzumachen, um ihm ein Trauma und die damit verbundende, ewig lähmende Angst zu ersparen, hat mich schlicht und ergreifend umgehauen. Und tut es heute noch.
Und ich habe begriffen, wie viel mehr in dem Satz „La vita é bella!“ steckt, so viel mehr als nur die deutsche Übersetzung. Danke an meine Italienischlehrerin an dieser Stelle!
Und damit beende ich meine kleine Liste an Filmen, die ich dank meiner Lehrer nicht versäumt habe, und die mich gleichzeitig unterhalten, aufgeklärt und weitergebildet haben.
Hattet ihr solche Erlebnisse auch in der Schule? Oder musstet ihr immer wieder dieselben Dokus erleiden? Welchen Film habt ihr erst durch einen Lehrer entdeckt oder hättet ihr gerne im Unterricht angeschaut?