Wir schauen Homeland - Staffel 2, Folge 3 & 4

06.10.2013 - 20:41 UhrVor 10 Jahren aktualisiert
Homeland
Showtime
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Nachdem Homeland in Beirut is Back unsere Erwartungen an den Verlauf von Staffel 2 in neue Richtungen drängte, lotsen uns die Autoren in Folge 3 und 4 gekonnt zu einer lange ersehnten Konfrontation.

Wer gedacht hatte, dass Homeland nach dem Adrenalin-geschwängerten Finale von Staffel 1 irgendwann mal eine kleine Pause einlegt, um zu Atem zu kommen, hat sich geschnitten. Die erste Hälfte von Staffel 2 zieht das Tempo an, ohne daraufhin zu hyperventilieren. Zwar überzeugen in State of Independence eher die Einzelmomente, als die gesamte Folge, doch das macht nichts, wenn sich eine großartige kleine Episode wie New Car Smell anschließt, die fraglos einen Sonder-Emmy für die beste olfaktorische Inspiration bei der Folgenbetitelung verdient hätte. Außerdem dürfen wir uns über eine neue Figur freuen: Quinn (Rupert Friend) gibt den dringend nötigen Sparring-Partner unter den bisher konturlosen CIA-Kollegen von Carrie. Vor Spoilern sei wie immer gewarnt.

Homeland Staffel 2, Folge 3: State of Independence

Was passiert: Saul reist mit Brodys Terror-Tape dank geschickter Agententricks vom Libanon in die USA, was sich zum Schluss für die suizidale Carrie als Segen erweist. Der wurde zuvor von Estes jede Hoffnung auf eine weitere Beschäftigung in der Agency genommen, was ihr die ganze Leere ihres Privatlebens schmerzlich vor Augen führt. Brody ahnt nicht, dass die CIA nur noch einen Schritt von seiner Enttarnung entfernt ist. Über Roya erhält er den Auftrag, den Bombenschneider in Gettysburg in ein Safe House zu bringen und wie wir alle nicht erst seit einem gewissen Denzel-&-ein-anderer-Typ-Thriller wissen, ist das leichter gesagt, als getan. Eine Reifenpanne später liegt Brody keuchend unter einem Baum, die aufgebrachte Ehefrau am Handy, das tapfere Schneiderlein mit gebrochenem Genick im Arm. Für Jess könnte die Enttäuschung über Brodys Abwesenheit beim Fundraiser der Second Lady größer kaum sein. Doch ihre Improvisationsfähigkeit und der vertrauende Blick von Mike im Publikum deuten einmal mehr an, dass Brodys Freizeitaktivitäten nicht nur sein Heimatland gefährden, sondern auch die wachsenden Ambitionen seiner Ehefrau. (“You are a great American story that is just beginning.”)

Die Agency: Carrie ist high, das lässt sich anders nicht beschreiben. Ihre in der ersten Episode angedeutete häusliche Routine hinter sich lassend, arbeitet sie die Nacht durch, um den Bericht über Beirut fertigzustellen. Ihr Vater ist berechtigterweise besorgt über ihr manisches Verhalten und wir Zuschauer werden bald verstehen, warum. Die Sicherheit verleihenden alltäglichen Handlungen, die Carrie mit Schwester und Vater eingeübt hatte, sind längst aufgeweicht. Am Ende von Beirut is Back hatte sie ein leeres Haus betreten, das der Kanalisierung ihrer aufgestauten Energie nun nicht mehr standhält. Umso schwieriger fällt es ihr wegen des schwindenen Schutzwalls dann, mit der Zurückweisung durch Estes umzugehen. Längst in alte Muster verfallen, zieht Carrie aus dem Haus ihrer Familie aus, zurück in das eigene Heim.

Was nun folgt, ist schlichtweg eine der besten Szenen, die ich jemals in einer Fernsehserie gesehen habe und das nicht wegen eines großen Twists, der sich mit viel Tamtam in die Sequenz drängt, sondern dem gegenteiligen Vorgehen. Carrie kommt heim, weiß nicht, was sie ohne Arbeit tun soll, schminkt sich, macht sich hübsch. Es sind unspektakuläre Momente, wie wir sie so ähnlich schon zu Beginn von Staffel 1 gesehen haben. Wir folgen ihr, wie sie durch die Wohnung sträunt, vorm Spiegel stehen bleibt und dann gibt es da nur noch Claire Danes’ Gesicht, in dem etwas quasi in Zeitlupe umkippt und mit ihr tut es die ganze Sequenz. Aus den vielfach wiederholten, profanen Handgriffen erwächst ganz organisch, ganz langsam eine Verzweiflungstat, die den alltäglichen Trott in einer für den Zuschauer schrecklichen Erkenntnis durchbricht: Carrie versucht sich umzubringen. Es gibt keine Warnung, keinen Brief, kein emotionales Gespräch, nur diese alles verschlingende Leere, die auf Carries verbliebene Bewältigungsstrategien (Alkohol, Sex) übergegriffen hat, weshalb sie keinen Ausweg mehr sieht.

Einer de herausragenden Aspekte dieser Sequenz neben ihrer unspektakulären Inszenierung und Claire Danes Darstellung, ist die Tatsache, dass sie überhaupt funktioniert. Bei genauerer Hinsicht ist die Dramaturgie von Carries Handlungsbogen in dieser Episode grobschlächtig: Carrie wird von der CIA abgewiesen. Carrie schrammt am Selbstmord vorbei. Super-Saul gibt ihrem Leben zum rechten Zeitpunkt wieder einen Sinn. Auch bei mehrmaligen Anschauen fällt dies nicht ins Gewicht, denn sowohl Carries Beinahe-Suizid wie auch ihre Reaktion auf Brodys Geständnis werden derart feinfühlig gespielt und eingefangen, dass sie, losgelöst von ihrer bloßen Bedeutung im Plot, emotional glaubhaft sind.

Home Sweet Home: Problematischer fällt da Brodys Trip nach Gettysburg aus, der zweierlei narrative Beweggründe zu haben scheint: Erstens muss Brody Jess aus irgendeinem Grund bei dem Fundraiser im Stich lassen, damit ihre Ehe wieder ordentlich kriselt. Zweitens soll Brodys Road Trip als spannungstechnischer Gegenpol zur eher introspektiven Carrie-Story dienen. Spannung erzeugen die Blickwechsel und Missverständnisse und es ist immer löblich, wenn Kongressabgeordnete/Terroristen ihren Zuschauern Tipps im Umgang mit Autopannen ohne Wagenheber geben. Ein bisschen dämlich ist Brodys röchelndes Telefongespräch im Wald nichtsdestotrotz. Es leuchtet mir auch nach einem Jahr Bedenkzeit nicht ein, warum ausgerechnet Brody den Bombenbastler ins Safe House bringen soll, ist er doch Abu Nazirs wichtigstes “asset”, wie es so schön in Agentensprech heißt.

Jess darf dafür in einer gelungeneren Entwicklung auf den Pfaden von Jacky Kennedy wandeln und unfreiwillig unterstreichen, warum die Brodys trotz morgendlicher Turteleien weit entfernt vom Traumpaarstatus sind: Wenn zwei Eheleute ihre Gefühle einzig in Reden für ein anonymes Publikum ausdrücken können, ist eine Paartherapie angebracht. Ob Dr. Jennifer Melfi einen Termin frei hat?

Zitat der Folge: “I was right.”

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