Musik kann so viel mehr sein als einfach nur ein Soundtrack, mehr als die Untermalung eines Films, die Unterstützung der Bilder, die sie begleitet. Sie kann uns direkter ansprechen, als Bilder es können. Sie kann unsere Emotionen lenken, uns traurig oder glücklich machen, uns beruhigen oder erregen. Sie kann Landschaften erschaffen, Welten die wir nie für betretbar gehalten hätten. Sie kann uns überwältigen, wenn wir nicht vorsichtig sind, wenn wir uns auf sie einlassen. Solche Musik erschuf Jóhann Jóhannsson, nicht nur für Filme, nie auf einen Stil begrenzt. BaltiCineManiacs Kommentar ist mehr als eine Würdigung - er ist ein Abschied.
Der Kommentar der Woche von BaltiCineManiac zu Jóhann Jóhannsson
Die Sonne ist verschwunden und der Himmel ist schwarz. So lautet einer der Titel in der deutschen Übersetzung vom filmunabhängigen Studioalbum "IBM 1401, A User's Manual", komponiert von Jóhann Jóhannsson und erschienen im Jahr 2006. Durchaus in seiner Allegorie eine mehr als passende Umschreibung für den Gefühlszustand, der einen befällt, wenn ein Mensch für immer gegangen ist, den man persönlich gemocht hat, sei es nun, weil man ihn kannte, oder aber weil einen sein Schaffenswerk im Leben begleitet hat. Zu diesem Track entdeckte ich einen wundervoll melancholisch animierten Schwarz-Weiß-Kurzfilm, der eigentlich ein Musikvideo der australischen Alternative-Pop-Band 'The Audreys' darstellt, hier aber von einem YouTube-User "zweckentfremdet" mit der Musik des isländischen Komponisten unterlegt wurde, offensichtlich, weil er ebenso einen Verlust zu verarbeiten hatte. Wie überaus passend, so mein Eindruck! Aber schaut selbst...
"Sometimes the Stars" (Regie: Ari Gibson, Jason Pamment) Animated Short / Music Video mit der Musik "The Sun's Gone Dim and The Sky's Black" von Jóhann Jóhannsson
https://www.youtube.com/watch?v=bPcp3jxzLXgAuch ich bin ein regelmäßiger Hörer der Kompositionen des gerade
verstorbenen Isländers, war allerdings gestern Abend nur durch Zufall
auf die Nachricht von seinem frühen Tod gestoßen, die mich daher -
völlig unerwartet - recht erschüttert und ohne das rechte Wort
zurückließ. Es ist schon so eine ganz spezielle Sache mit der Musik von
Menschen, die von der Insel im Nordatlantik stammen, sehr oft mystisch,
eigenwillig, fantastisch, ein wenig weltfremd und abgehoben, durchaus
oft melancholisch und düster, in Teilen aber auch verspielt und mit
experimentellem Weltentdeckerdrang versehen, auf jeden Fall aber mit
einem seltsam intensiven emotionalen Berührungslevel, welches jedes Mal
aufs Neue greift. Immer wieder ist es beim Hören gerade so, als wenn man
durch ein zerklüftetes, mit Nebelschleiern verhangenes Tal auf Island
schreitet und zwischen den moosbewachsenen Lavakrusten ringsum jeden
Moment Trolle und Elfen auftauchen könnten, während man sich selbst beim
Hören in einer seltsamen Zwischenwelt gefangen wähnt, fern allen
Trubels.
All das traf auch auf die vielfältigen Stücke von Jóhann Jóhannsson zu, der uns mit seinem (vielleicht konventionellsten) Score zu Die Entdeckung der Unendlichkeit zeigte, dass er ebenfalls die mehr beschwingte romantische Klassikschiene beherrscht, während er ansonsten eher die unangepasste Kollision von Klassik und avantgardistischer Elektronik mit teils formidablem Dröhnen zelebrierte, der er punktuell (ethnografische) Vocalverspieltheit hinzufügte, überdies immer wieder durchzogen von Pianosolotupfern und zurückgenommener, das genau hinhörende Ohr mit Cresendometaphern umschmeichelnder Kammermusikvoluminösität. Sein unbegreiflicher (und ungeklärter) Tod ist in jedem Fall ein herber Verlust für die Gegenwartsmusiklandschaft wie auch für die Filmwelt, erschien doch sein Schaffenswille ungebremst. Nun bleibt also nur noch, sich auf die für uns hier als Hörer in Deutschland posthumen Scores zu Mandy, Vor uns das Meer und Maria Magdalena zu freuen. Und vielleicht, nur vielleicht, wird ja doch noch im Zuge des Andenkens an ihn sein nicht verwendeter Score zu Blade Runner 2049 veröffentlicht...
Danke für deine Musik, Jóhann!
Rest í friði!
Den Orgininalkommentar findet ihr hier.