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Al Pacino triumphiert mit Kätzchen

28.06.2015 - 09:00 UhrVor 9 Jahren aktualisiert
Al Pacino in ManglehornIFC Films
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Seit Freitag ist das 33. Filmfest München in vollem Gange. Auch ich habe mich in die bayrische Hochburg verirrt, um den cinephilen Freuden zu frönen. Und schon jetzt kann es nur einen Gewinner geben: Al Pacinos Katze!

Im Angesicht unzähliger Filmtitel in zig Kategorien, fiel mir schnell auf, dass selbst neun völlig dem Kino verschriebene Tage bei weitem nicht ausreichen, um die Sehwünsche mit den leider naturgegebenen 24 Stunden eines Tages in Einklang zu bringen. Ein kleiner Anteil würde entweder meinem Schlafbedürfnis oder der Arbeitszeit am Festivaltagebuch zum Opfer fallen.

Gestern ging der zweite Filmfesttag zu Ende und mein bisheriger Verlust beläuft sich nur auf eine Frühvorstellung von Dietrich Brüggemanns Nazi-Satire Heil, die ich wohl oder übel später im heimischen Berliner Kiezkino nachholen muss. Auf der anderen Seite stehen bereits zehn gesehene Filme, die nicht unterschiedlicher sein könnten. Vom semi-experimentellen, kubanischen Arthouse-Film bis hin zum chinesischen Action-Blockbuster war schon alles dabei. Doch was blieb bis jetzt hängen?

In Anders Thomas Jensens neuem Film Men & Chicken werden die beiden Brüder Elias (Mads Mikkelsen) und Gabriel (David Dencik) mit ihrer genetischen Disposition konfrontiert bzw. müssen überhaupt erstmal herausfinden, wer ihre biologischen Eltern sind. Ihren angeblichen Vater sowie drei weitere am Rand des Genpools sprießende Brüder spüren sie in einem verfallenen Sanatorium auf der gottverlassenen Insel Ork auf. Es ist Jensens erster Film seit zehn (!) Jahren. Viel verändert hat sich aber nicht. Die Besetzung ist fast die gleiche wie bei Adams Äpfel und Jensens angenehm konventioneller Regie-Stil dient wieder in erster Linie seinem mit Thesen, narrativen Finten und schwarzen Humor reichlich bestücktem Drehbuch. Wie der Titel des Films bereits impliziert, führen die Figuren zu Tieren ein äußerst enges Verhältnis. Am Ende hatte ich das Gefühl einen umgestülpten Backwood-Horror gesehen zu haben, der Albert Schweizers Ethos dem bloßen Terror vorzieht. "Ich bin Leben, das leben will, inmitten von Leben, das leben will."

Viel Tierliebe zeigt auch ein fantastisch aufspielender Al Pacino in David Gordon Greens Drama Manglehorn. Der rüstige A.J. Manglehorn pflegt zu seiner Umwelt ein eher schwieriges Verhältnis. Seine große Liebe Clara hat er vor vielen Jahren leichtfertig verloren. Seitdem schreibt er ihr vergebens Briefe. Die Leute um ihn herum, einschließlich seines Sohnes, straft er dagegen mit kühler Distanz. Selbst die ihm stets gesonnene Bankangestellte Dawn (Holly Hunter) bekommt seine kalte Schulter bei einem katastrophalen Date zu spüren. Einzig seine Katze Fanny wird liebevoll umsorgt. Auch die Kamera klebt wie ein Twentysomething in der Youtube-Schleife an dem haarigen Geschöpf und fängt ganz nebenbei die wahrscheinlich schönsten Reaction-Shots des Festivals ein. Höhepunkt dieses Real-America -Katzenvideos ist eine Einstellung, in der Pacino und Fanny zusammen auf einem Baum sitzen. Mehr will ich auch nicht vom Kino.

Der Regisseur selbst war leider nicht zugegen. Green meldete sich nur per Videobotschaft, die es seit diesem Jahr neu ins Programm geschafft haben. Wirklich toll ist das aber nicht, beschränken sich die kurzen Schnipsel doch meist auf bloße Begrüßungen und Danksagungen. Wenigstens Peter Bogdanovich nutzte die Gunst der Stunde und bewarb stilecht mit einer Bücherwand im Hintergrund die Crowdfunding-Kampagne seines laufenden Orson-Welles-Projekts. Nichts geringeres als die Fertigstellung des letzten Films der 1985 verstorbenen Regielegende ist in Arbeit. Bogdanovichs Broadway Therapy brachte das Publikum danach gehörig zum Lachen. Zahlreiche Verweise zur Filmgeschichte bilden das Fundament dieser fast klassischen Chaoskomödie mit Owen Wilson, Imogen Poots und Jennifer Aniston. Nicht verwunderlich bei einem Regisseur, der zu einem Großteil als Talking Head in unzähligen Porträt-Dokus über Altmeister von John Ford bis Alfred Hitchcock glänzt. Am Ende von Broadway Therapy taucht jedenfalls Quentin Tarantino auf, der Quentin Tarantino spielt und die zierliche Imogen Poots zum nächsten Kung-Fu-Streifen zerrt. Spätestens da fiel die vierte Wand lautstark vor mir zusammen.

Warum leiblich anwesende Filmemacher_innen besser sind als pixelige Durchsagen auf der Leinwand, demonstrierte Indie-Auteur Nathan Silver nach der Vorstellung seines Drogendramas Stinking Heaven und stellte damit kurzerhand den Rekord als witzigster Comic-Relief nach einem zutiefst deprimierenden Film auf. Stinking Heaven porträtiert eine Selbsthilfe-WG ehemaliger Süchtiger in einem Vorort von New Jersey, Anfang der Neunziger Jahre. Silver ließ seine teils über Craigslist gecasteten Schauspieler_innen überwiegend improvisieren. Das gleiche galt auch für den Kameramann, der mit einer analogen Röhrenkamera  aus den Achtzigern und mit hoher Brennweite dem Geschehen hinterher schwenkte. Dank des präzisen Schnitts, überlässt der Film nicht gänzlich dem beeindruckenden Schauspiel das Feld, sondern spinnt bewusst filmisch ein enges Netz aus Nahaufnahmen, Schuss- und Gegenschüssen. Die streckenweise geradezu überfordernden verbalen Kämpfe der Figuren werden dadurch auch ästhetisch perfekt vermittelt. In Frankreich kam sein Film gar nicht gut an, beichtete Nathan Silver beim Q&A danach. Ein besonders verärgerter Zuschauer soll sogar Filmkritiker_innen aufgefordert haben, vor dem "ungemein hässlichen" Film zu warnen. Ich empfand die analogen Videobilder umso reizvoller. "High Definition" kann nie mehr als Mittelmaß sein, erklärte der Regisseur deutlich. Stinking Heaven bleibt somit schon allein visuell in Erinnerung, auch bei sechs oder noch mehr gesehenen Filmen pro Tag. Vielleicht bleibt er mir ja sogar noch bis zum Ende des Festivals und darüber hinaus erhalten. Der Großteil des Filmfests liegt allerdings noch vor mir.

Conrad Mildner (bei moviepilot seit Jahren als Kubrick_obscura unterwegs) arbeitet fürs Fernsehen und liebt Filme. Manchmal dreht er auch selbst welche. Hauptsächlich bloggt er aber bei Cinema Forever , twittert  oder spricht drüber bei Podcasts wie "Die Abspanner"  und "Der Perser und die Schwedin" .

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