Dead Man - Für Fans des Mitternachtskinos

26.10.2011 - 08:50 Uhr
Johnny Depp in Dead Man
Kinowelt
Johnny Depp in Dead Man
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Die moviepilot Speakers’ Corner kann natürlich auch dazu genutzt werden, seinen Lieblingsfilm anzupreisen. Unser User JimiHendrix nimmt diese Möglichkeit wahr, um Dead Man von Jim Jarmunsch ein Denkmal zu setzen.

“The eagle never lost so much time as when he submitted to learn from the crow.”

Jim Jarmuschs poetisches Meisterwerk schafft es im siebten Anlauf, meine Lieblingsfilmliste zu erklimmen. Dieses Midnight Movie umgibt eine omnipräsente Magie und entführt einen in eine faszinierende Zwischenwelt in der man eine Menge Platz zur freien Bilderinterpretation bekommt.

Als ich Dead Man zum ersten Mal, mit vierzehn Jahren, sehen durfte, war ich schlicht und einfach überfordert. Ich war immer schon ein großer Fan des Westerngenres und somit war Johnny Depp im Gewand des gesetzlosen Gunman eine Pflichtaufgabe für mich. Nach wenigen Minuten stellte sich aber schon heraus, dass dieser Film nicht in die Actionrichtung gehen sollte und somit war ich fürs erste verwirrt und enttäuscht.
Trotzdem ging von diesem Werk schon immer eine eigenartige Anziehungskraft aus, sodass ich es mir immer öfter zu Gemüte führen müsste, es wurde zu einer Zwangsneurose. Und nach jeder Benutzung faszinierte es mich ein wenig mehr.

Nun sitze ich hier und suche nach den gebührenden Worten für einen atmosphärischen Meilenstein. Hier passt eigentlich alles zusammen, von der perfekten Rollenverteilung, über die Dichte und den Inhalt bis hin zum optischen und musikalischen Tiefenorgasmus. Dieser Film macht es mir schwer, filmisch abzuspritzen. Denn er übte eben diese nicht greifbare Faszination auf mich aus, so dass er schon sadomasochistische Züge aufweist, ihn sich wieder und wieder einzuführen. Doch als ich mir dann doch den filmischen Höhepunkt erarbeitet hatte, war es einfach unbeschreiblich, welche Gefühle in mir frei wurden, wenn ich die DVD in den Player schob.

Die Handlung ist im Grunde schnell erzählt, denn der Film beschreibt der Reise des Buchmachers William Blake, der durch ungünstige Umstände zum Mörder wird und von Köpfgeldjägern und Deputys gesucht wird. Aber die Art und Weise, mit der Jim Jarmusch diesen Film mit Poesie und Tragik auskleidet, ist grandios und künstlerisch höchst wertvoll.

Der Titel Dead Man spiegelt sich überall im Film wieder. Blake sieht auf dem Weg nach Machine überall Zeichen des Todes. Da fliegen am Fenster der Eisenbahn Bilder von zerstörten Planwagen und Tipis vorbei und auch das Töten von Bisons durch die mitfahrenden Trapper läutet den Tod der Ureinwohner Nordamerikas ein. Der Zug könnte als eine Art Höllengefährt interpretiert werden, bei dem das Leben an Blake vorbeizieht, der durch den Verlust seiner Eltern und seiner Verlobten gefühlstechnisch schon tot zu sein scheint. William Blake ist zu jeder zeit vom Tod umgeben oder zieht ihn magisch an, sei es weil auf ihn geschossen wird und sich Thel dazwischen wirft und die Kugel abbekommt, oder zufällige Kugeln tödliche Wirkung haben, immer ist Blake in der Nähe. Einzig der Indianer Xebeche scheint bis zuletzt in seiner Gegenwart leben zu können, aber vielleicht auch nur, weil er selber in dieser Zwischenwelt umherreist. Er ist genauso eine verstoßene und missverstandene Kreatur wie Blake selber und so helfen sie einander und fühlen sich irgendwie gegenseitig angezogen.

Auch im weiteren Filmverlauf begegnen William Blake immer wieder Zeichen des Todes und er fühlt sich zu ihnen hingezogen, wie zum Beispiel dem toten Baum oder dem Rehkitz. Man kann die seelische Verwandlung von Blake sehr gut an seinem äußeren Erscheinungsbild ablesen und er wird immer mehr zu einem Indianer und somit Teil der Natur.
Eine weitere wichtige Stelle ist der Vorabend, bevor Xebeche Blake allein zurück lässt. Xebeche verpasst Blake eine Kriegsbemalung und am nächsten Morgen zieht Blake auch nicht mehr sein Jacket mit der weißen Rose daran an. Meiner Meinung nach symbolisiert diese weiße Papierrose die Reinheit und Unschuld von William Blake und er verliert diese Unschuld an dem Morgen, als er die beiden Deputys kühl und emotionslos erschießt. Gleichzeitig drückt auch die Kriegsbemalung aus, dass die Verwandlung zum eiskalten Killer vollständig erfolgt sein muss.

Generell halte ich Johnny Depp als William Blake für eine seiner besten Rollenentscheidungen seiner bisherigen Filmkarriere. So eindrucksvoll und symbiotisch sah man selten einen Schauspieler agieren. Auch Gary Farmer als seltsamer Indianer, welcher immer einen weisen und unergründlichen Spruch auf den Lippen hat, macht den Film zu einem Highlight. Er hatte 1999 in Jarmuschs Film Ghost Dog – Der Weg des Samurai noch einmal einen kleinen Kurzauftritt auf dem Dach beim Taubenschlag. Seine Leistung als Nobody wird mir immer im Gedächtnis bleiben. Michael Wincott als redseliger teddybärliebhabender Kopfgeldjäger Conway Twill ist ebenso amüsant anzusehen, wie sein schweigsames Gegenstück Cole Wilson, der als gnadenloser und unnachgiebiger Verfolger mit einem Hang zu kannibalischen Essensverirrungen von sich reden macht. In weiteren erwähnenswürdigen Nebenrollen tummeln sich Robert Mitchum als knochiger und eisenharter Patriarch Dickinson, Iggy Pop als Iggy Pop bohnenkochende Sally und Billy Bob Thornton, welchen ich erst nach dem vierten Mal gucken unter seinem dichten Bart erkannte.

Als weiterer dicker Baustein für dieses gelungene filmische Weltkulturerbe steht Neil Young mit seinem musikalischen Beitrag. Selten passten Bild und Ton so gut zusammen wie in diesem Streifen. Der Altwoodstocker steuert hier die wohl melancholischsten Gitarrenklänge der cineastischen Epoche bei. Es braucht kein großes Orchester, sondern manchmal ist weniger eben doch mehr.

Diesen Film kann ich Fans des gepflegten Mitternachtskinos nur empfehlen. Wer Action und Unterhaltung möchte, sollte besser bei den John Wayne -Filmen bleiben.


Vorschau: Nach der Liebeserklärung diese Woche wird es in sieben Tagen etwas kritischer, wenn der Remake-Wahn an Hand eines Beispiels unter die Lupe genommen wird.


Dieser Text stammt von unserem User JimiHendrix. Wenn ihr die Moviepilot Speakers’ Corner auch nutzen möchtet, dann werft zuerst einen kurzen Blick auf die Regeln und schickt anschließend euren Text an ines[@]moviepilot.de

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