Der beste Film aller Zeiten laut 3 Millionen Fans: So fühlt es sich an, Die Verurteilten zum ersten Mal zu sehen

23.09.2024 - 10:03 Uhr
Die VerurteiltenCinema International
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Die Stephen King-Verfilmung Die Verurteilten gilt unter Filmfans als einer der Standardkandidaten für "Bester Film aller Zeiten". Aber was ist, wenn man ihn als Filmfans noch nie gesehen hat?

Ich setze mich auf einen freien Platz im Stuhlkreis. Ich bin nervös wie vermutlich jede:r andere um mich herum. Geduldig warte ich ab, bis ich an der Reihe bin. Dann räuspere ich mich. "Hallo, ich bin Sophia. Ich bin seit acht Jahren freie Autorin im Filmbereich und Teil eines Filmpodcasts. Und ... ich habe noch nie Die Verurteilten gesehen."

In der Selbsthilfegruppe für anonyme Filmklassiker-Verpasser:innen versucht man, niemanden für die nie geschauten Meilensteine zu verurteilen. Trotzdem schnappen einige Mitglieder bei meinen Worten nach Luft. Die Empfehlung der Betreuerin ist stets dieselbe: Es ist meine Entscheidung, ob ich die Lücke schließen will oder nicht. Im Großen und Ganzen macht sie mich nicht mehr oder weniger zur Filmliebhaberin.

Doch ich weiß, jetzt, wo der Film fast ein halbes Jahr vor mir seinen 30. Geburtstag feiert: Es ist an der Zeit.

Die Verurteilten wird 30 Jahre alt – höchste Zeit, den Klassiker nachzuholen und das Erlebnis zu dokumentieren

Seit Jahren gibt es genau einen Film, der die Top 250 der besten Filme aller Zeiten bei der IMDb (Internet Movie Databse) anführt: Die Verurteilten. Mein Problem: Ich bin ein hochemotionaler Mensch. Gute Geschichten nehmen mich mit, ein Gefängnisdrama mit großer Ungerechtigkeit erst recht. Ich hatte bislang zu viel Respekt vor dem Film.

Doch jetzt ist es so weit. Ihr seid – mehr oder weniger – live dabei, wie ich in die Welt von Die Verurteilten eintauche, und könnt den Film durch meine Augen noch einmal zum ersten Mal erleben. Los geht's ...

Minute 2: Kaum setzt der Soundtrack während der einleitenden Gerichtsverhandlung ein, muss ich lächeln. Hallo Thomas Newman, dich erkenne ich sofort. Und ich ahne jetzt schon, dass du mir das Herz brechen wirst.

Minute 10: Einer der seltsameren Aspekte an einem Leben als spät eingestiegener Filmfan: Ich kenne so viele Darsteller:innen oft aus völlig anderen, gefühlt unpassenden Kontexten als andere. Das erste für mich vertraute Gesicht hier ist neben Morgan Freeman ausgerechnet Clancy Brown. Die erste Assoziation? Starship Troopers. Ein seltsames Gefühl, gemischt mit meiner Wut über die Behandlung der Insassen hier.

Minute 29: Bereits jetzt verstehe ich, warum diese Rolle meist als Freemans beste gehandelt wird. Reds ungebrochen schelmisches Lächeln, seine Empathie, seine in sich ruhende Ablehnung der grausameren Praktiken seiner Mitgefangenen.

Minute 33: Ich bin dankbar, dass hier explizite Bilder gegen ebenso erschreckende Andeutungen getauscht wurden. Freemans Erzählung, Newmans Heimsuchung von einem Instrumentalstück – beide reichen, um mir den Magen umzudrehen. Regisseur Frank Darabont ist viel zu gut, um auf plakative Tabulosigkeit zu setzen. Weniger ist eben oft so viel mehr.

Minute 45: Ein Vergewaltiger wird gefasst und gleichzeitig widerfährt ihm das Grausamste, was im Rahmen des Gesetzes vertuscht werden kann. Nur eine Hinrichtung wäre noch schlimmer. Gewalt erzeugt Gewalt erzeugt Gewalt. Ein Täter, der nie wieder laufen wird. Pure Selbstjustiz, die dennoch anwidert. Keines der Ereignisse in dieser Spirale sollte irgendwen glücklich machen.

Minute 60: Ein Mann tritt in die Freiheit. In eine Welt, die 50 Jahre schneller und weiter ist als er. Mein Hals schnürt sich zu. Ich ahne, was kommt. Newmans Musik versucht nicht, mir weiter weh zu tun. Sie ist tröstlich.

Minute 90: Ich stelle fest, dass ich vergessen habe, mir Notizen zu machen. Die Verurteilten halten mich mit ihnen gefangen in der Welt eines Mannes, der kaum zu brechen ist. Tim Robbins lässt mich nicht mehr los.

Minute 100: Ich wünschte so sehr, dieser Film wäre nicht mehr aktuell. Doch er ist es mehr denn je, der willkürliche Machtmissbrauch ist ein Thema, das schmerzhaft real widerhallt. Die Beiläufigkeit der Grausamkeit hat sich nicht geändert.

Minute 188: Ich mag keine Gewitter. Ich fürchte mich vor ihnen, besonders draußen im Freien. Das hier aber ist das triumphalste Filmgewitter, das ich je erleben durfte. Wie kann ein Film so schön gefilmt und komponiert sein und zugleich so wenig damit angeben?

Minute 129: Da ist er wieder. Dieser nachdenkliche, liebevolle, tröstliche Score Newmans. Ich habe gelernt, ihn zu lieben und zu fürchten. Da ist Reds Lächeln, ein wenig anders als zuvor. Vielleicht ein bisschen zurückhaltender. Ich weiß nicht, ob ich lachen oder weinen soll.

Das große Fazit: Ist Die Verurteilten auch in den Augen einer Ahnungslosen der beste Film aller Zeiten?

Abspann. Ich atme tief durch, lächle. Nun, drängt die Stimme in meinem Kopf: Ist es der beste Film aller Zeiten? Ganze ehrlich? Ich weiß es nicht. Wer kann dieses Urteil schon ganz allein fällen? Auf jeden Fall war es gut, mir nie Druck zu machen, ihn unbedingt zu sehen. Jetzt gerade war der richtige Zeitpunkt, und nach diesem Kriterium sollte jedes Medium konsumiert und genossen werden.

Wird Die Verurteilten jemals die für mich besten Filme ablösen? Vielleicht nicht gerade das. Aber vielleicht wird er sich neben sie einreihen. Alles, was ich weiß, ist: Ich verstehe jetzt, warum so viele Menschen diesen Film lieben. Und das nicht nur wegen eines Drehbuchs, das fast zweieinhalb Stunden Laufzeit problemlos rechtfertigt, uns völlig fertig macht, bis hin zu einer Auf- und Erlösung, die mir im Gedächtnis bleiben wird.

Darabonts geniale Inszenierung ist völlig unaufdringlich, aber in jeder Sekunde bewusst, sodass sich dieser Ort, diese Menschen real anfühlen. Von den klugen Kameraeinstellungen bis zur ewigen Geräuschkulisse Shawshanks. Das Gefängnis lebt, ist hässlich, aber es gibt eben auch lichte Momente, und die gehen samt Bild und Ton unter die Haut. Umso mehr freue ich mich auf Darabonts kommende Projekte.

Ich verstehe auch die Gefühle und den bittersüßen Reiz des Ganzen. Wir verbringen so viel Zeit mit einem mutmaßlichen und einem definitiv zu Recht verurteilten Mörder. Ihre Menschlichkeit ist dennoch wahr und spürbar ist. Freeman und Robbins spielen sich in die Annalen der Filmgeschichte. Mit absoluter Sicherheit ist Die Verurteilten durch sie einer der kathartischsten Filme, die ich in letzter Zeit sehen durfte.

Ich wusste vor dem Schauen nur sehr wenig über diesen Film. Ich habe mir eine neue Synopsis überlegt, die er von seinem 30. Geburtstag an überall tragen sollte: "Die Verurteilten ist ein Film über Hoffnung im Angesicht absoluter Hoffnungslosigkeit." Und mehr muss, glaube ich, niemand vorher wissen.

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