Über die vermeintlichen Tonprobleme bei Interstellar

19.11.2014 - 08:50 UhrVor 9 Jahren aktualisiert
In space, no one can hear you moan.
Warner Bros.
In space, no one can hear you moan.
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Weltweit häufen sich aufgebrachte Stimmen, denen zufolge bei der Tonmischung von Interstellar etwas schief gelaufen sein müsse. Nun meldete sich Regisseur Christopher Nolan zu Wort – mit einer Erklärung, die es nur bedauerlicherweise noch brauchte.

Scharenweise empören sich Kinobesucher dieser Tage über das ihrem Empfinden nach grandios missglückte Sound-Mixing von Interstellar. Toneffekte und insbesondere Orchestercrescendos, heißt es in den Beschwerden, seien gegenüber Dialogpassagen derart laut abgemischt, dass das Publikum kaum noch etwas von den Zwiegesprächen der Filmfiguren verstehen könne. Zahllose Twitter-Rückmeldungen  widerlegten dann auch zügig die Annahme, es handele sich dabei um Einzelfälle: Sowohl IMAX-Vorführungen als auch reguläre DCP- sowie analoge 35mm- und 70mm-Projektionen seien von der vermeintlich schlechten Tonmischung betroffen, wie den Mängelrügen von Zuschauern aus unterschiedlichsten Bundesstaaten und Ländern zu entnehmen ist. Einige Kinos der US-amerikanischen Multiplexkette Cinemark sollen über Infoaushänge  deutlich gemacht haben, dass die beanstandeten Probleme nicht auf das Equipment der Lichtspielhäuser, sondern die spezifische Abmischung des Soundtracks zurückzuführen wären. Ferner bemerkte ein Kinomitarbeiter gegenüber /film , Paramount habe die Betreiber angewiesen, den Ton so weit wie möglich aufzudrehen – gleichwohl sich nicht alle Kinos daran hielten.

Nun mag ich nicht beurteilen wollen, ob das viel buchstäblicher Lärm um nichts oder ein irgendwie berechtigtes Aufhebens ist. Und doch klingt das alles für mich zunächst eigentlich ganz wunderbar. Oder genauer: kommt mir dieser Hochbetrieb dramatisch entsetzter Publikumsreaktionen vor dem Hintergrund einer (ebenfalls?) denkbar verzichtbaren Debatte um die wissenschaftlichen Genauigkeiten des Science-Fiction-Dramas – nachzulesen praktisch überall dort, wo über Interstellar geschimpft und geschrieben wird – doch zumindest amüsant vor. Schließlich scheinen die Hans Zimmerschen Orgelarien den leider auch bezüglich dieses Films einmal mehr großzügig breitgetretenen Logikfehlerunsinn (hier zudem im Verbund mit gefährlich halbwissender Hobbyphysik) offenbar so zu übertönen, dass jeder plotfixierten Erbenszählerei im Kino gleich ohrenbetäubend Einhalt geboten wird. Ganz zu schweigen von der Ironie: Nachdem sich zahlreiche Rezensenten erst an Redeschwall und Referierendengestus der Dialoge gestört haben, stören sie sich nun also daran, ebendiese Dialoge akustisch nicht ausreichend verstehen zu können. Es ist nicht leicht, Christopher Nolan zu sein.

Mehr: Wie Christopher Nolan das (analoge) Kino rettet

Der Interstellar-Regisseur hat jetzt, knapp zwei Wochen nach Veröffentlichung seines Films und des Aufkommens entsprechender Reaktionen, Stellung bezogen. Dem Hollywood Reporter  sagte er, die Tongestaltung seiner Arbeiten sei ihm ebenso wichtig wie die visuellästhetische. Er halte die Soundmischung von Interstellar zwar für experimentell, glaubt aber, einen richtigen Ansatz für das Erfahrbarwerden eines schließlich auf große Emotionen ausgelegten Films gefunden zu haben (siehe auch Katie Kilkennys Verteidigung  des omipräsenten Soundtracks). Wie üblich, sei Christopher Nolan in mehrere Kinos gefahren, um den Ton vor Ort zu überprüfen. Er wisse dabei um die unübliche Mischung und der vielleicht ablehnenden Reaktionen auf sie, hoffe aber, die Menschen würden sie als jenes Erlebnis wertschätzen, als das es gedacht sei. "Wir mischten den Film über Monate hinweg, sprachen über jedes Detail", führt er aus. Bei der über ein halbes Jahr andauernden Tonmischung habe es sich um einen "fortlaufenden, organischen Prozess" gehandelt, Dialoge seien mitunter als Soundeffekte begriffen und gezielt unter die Musik gemischt worden. "Es ist nicht so, dass das noch niemand vor uns getan hätte. Es ist nur ein wenig unkonventionell für einen Hollywoodfilm."

Um es also abzukürzen: Wenn Hans Zimmers mächtiges Rambazamba in Interstellar an bestimmten Stellen die Oberhand über manch Gesagtes gewinnt, dann vielleicht eben ganz einfach deshalb, weil das Gesagte keine besondere Rolle spielt. In den Hintergrund tritt. Den Blick freigibt. Sich öffnet für sinnliche Eindrücke, denen jedes Geplapper nur im Weg stehen würde. Und obwohl sich das eigentlich alles von selbst versteht – die Annahme also, ein Christopher Nolan werde schon wissen, was er da tut, so abwegig nicht sein dürfte –, muss einem Teil des Publikums ganz offensichtlich trotzdem noch mal lang und breit erklärt werden, was Kino bedeutet. Oder was Kino darf. Und laut sein, das darf es nun wirklich allemal. Besonders und ausgiebig bei Christopher Nolan, auch das ist eigentlich keine Neuigkeit. (nur fürs Protokoll: die Wahrheit ist ja, dass das bemängelte Getöse alles Erklärerische noch gar nicht genug ins unverständliche Abseits befördert)

Mehr: Mythos Filmfehler - im Zweifel für die Kunst

Nun frage ich mich jedenfalls, ob es heute wohl einen Aufstand verärgerter Multiplex-Besucher geben würde, käme beispielsweise der auf ein wunderbar widersinniges, naturalistisches Tondesign abgestimmte Klassiker Wenn die Gondeln Trauer tragen noch einmal flächendeckend auf die große Leinwand. Oder ob sich ein auf dissonante Sounds statt bekömmliche Spannungsmusik ausgelegtes Meisterwerk wie Hitchcocks Die Vögel heute eigentlich noch einem Publikum zumuten ließe. In einer Kinogegenwart zumindest, in der bereits kleinste Abweichungen von einer offenbar obskuren Vorstellung darüber, wie Film auszusehen oder zu klingen habe, nicht ohne Protest vonstatten gehen. In der jeder noch so sanfte Konventionsbruch schon einen Shitstorm heraufbeschwören kann. Mit Schrecken sei etwa auf jene Foyerhinweise  zum Kinostart von The Tree of Life verwiesen, die retourwütigen Zuschauern erst einmal schriftlich versichern mussten, was ein Autorenfilm ist. Und dass ein solcher Film glücklicherweise geeignet sein könne, das brave Einmaleins konditionierter Mainstream-Unterhaltung zu überwinden.

Keine Ahnung, inwiefern sich über die virtuell nun sicht- und nachvollziehbare Aufregung letztlich wieder ein gutes Stück Kunstfeindlichkeit Ausdruck verschafft. Gewiss aber hat sie einen unangenehmen Beigeschmack. Sie stellt ja nicht Produktions- oder gar Rezeptionsmodi in Frage, sondern begnügt sich mit bloßem Geschimpfe, formuliert aus einer Haltung, die schon wisse, wie es zu sein habe: Ich bin eindeutige Verständlichkeit gewohnt, also ist eindeutige Verständlichkeit auch richtig. Musik darf einen bestimmten Lautstärkepegel nicht überschreiten, denn das tut sie ja sonst auch nicht. Und überhaupt kann es sich dabei nur um Fehler handeln, Fehler des Films, selbstredend. Viel eher aber erinnert das in unschöner Weise an nicht totzukriegende Versuche, Kunst stets nur am Bestehenden zu messen. Wie das dann hierzulande aussieht, lässt sich ein- bis zweimal jährlich nachprüfen, wenn über die ARD zigtausende Beschwerden aufrechter Gebührenzahler hereinprasseln, sobald ein in sonst vertrauten Bahnen langweilendes Format wie der sonntagabendliche Tatort  mal wieder unter die virtuosen Fittiche von Dominik Graf gerät – unverständliche Dialoge, wirre Handlung, körnige Analogbilder. Kenn ich nicht, will ich nicht. Könnte ja eine interessante Herausforderung sein.

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